Schattenblick → INFOPOOL → KUNST → REPORT


BERICHT/053: documenta, Fragen und Kritik - zähflüssig ... (SB)



Wie erzeugt man während einer Großausstellung innerhalb einer neoliberalen Ökonomie kritische Handlungsmacht? Kann sich das Museum den eigenen kolonialen und partriarchalen Regimen widersetzen? Kann der Spannungsbogen zwischen Athen und Kassel als kritischer Raum genutzt werden, um ein kooperatives künstlerisches und aktivistisches Projekt jenseits des Rahmens von Nationalstaaten und Unternehmen zu entwerfen? Wir werden scheitern. Aber wir versuchen es.
Aus einer offiziellen Broschüre über die documenta 14

Das Unmögliche zu versuchen war schon immer die bessere, weil nüchternere Wahl im Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens. Von vornherein seinen Frieden mit all den Dingen zu machen, die einem ohnehin aus dem übervollen Becher des Schmerzes eingeschenkt werden, lebt von der irrigen Annahme eines Ewigkeitsmerkmals, laut dem alles immer so weitergeht wie bisher. Man sei gut beraten, die Dinge nicht zu hinterfragen und dabei vielleicht Unangenehmes, ja Inakzeptables in Erfahrung zu bringen, verheißt das Versprechen unbefristeter Ruhe. Daß der Mensch diese auch nur auf dem Friedhof fände, ist nicht mehr als fromme Hoffnung.

Die dem Infomaterial über die documenta 14 entnommenen Fragen rühren denn auch an dem grundsätzlichen Verhältnis zwischen Kunst und seinem gesellschaftlichen wie sozialen Umfeld. Gedacht zur Einführung in das "Parlament der Körper", das Herrschaftsverhältnisse politischer und kultureller Art in kollektiver Form bearbeitbar machen soll, verweisen die Fragen auf das Grundproblem jeglicher Betrachtung oder Erfahrung von Kunst. Sich ihr zum Zwecke einer produktiven Erkenntnis zu nähern, die sich nicht viel schneller und bequemer als konsumgerechter Infohappen in Wort, Bild und Ton verabreichen läßt, setzt das Interesse an einer Konfrontation voraus, der nicht auszuweichen unbequem und anstrengend sein kann. Diese eher nicht in Angriff zu nehmen entspricht dem bedrohlichen Potential gesellschaftlicher Bruch- und Konfliktlinien, zu jeder Zeit und an jedem Ort hervortreten zu können. Der Permanenz sozialen Not- und politischen Ausnahmezustands gemäß ist der Schritt, sich aus vermeintlich sicherer Distanz ins Handgemenge unlösbar erscheinender Probleme einzumischen, immer und überall möglich.


Zwei Personen vor Tafel 'Das Parlament der Körper' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Körper im Wartestand
Foto: © 2017 by Schattenblick

Das dem Allgemeinen passiv erlittener Vergesellschaftung gegenüber Besondere einer kulturkritischen Kunst ist paradoxerweise in einer institutionalisierten Form angesiedelt, die sich dagegen sträubt, für fremde Zwecke vereinnahmt zu werden. Tut sie dies nicht, ist ihre Rekrutierung für herrschaftskonforme Zwecke vorprogrammiert, siehe die Etablierung einer Staatskunst nicht nur unter diktatorischen Regimes, die Zurschaustellung avancierter Kunst in den Agenturen des abstrakten Geldwertes oder die fast fließbandartig verlaufende Herstellung dekorativer Unikate für den seit Jahren immer höher bewerteten Kunstmarkt. Schon weil dieser als schriller Zirkus eines neofeudalen JetSet-Lifestyles Furore macht und jenen Kunstsinn nährt, dessen Wahrheit mit dem Geldwert eines Bildes oder Objektes steht und fällt, ist eine mit dem Anspruch, den ästhetischen und gesellschaftlichen Wirkungsgrad zeitgenössischer Kunst auszuloten, befrachtete Großausstellung wie die documenta bemüßigt, mit dem Warencharakter gesellschaftlicher Produktion und kulturindustrieller Verwertung nicht gemein gemacht zu werden.


Rauchinstallation Expiration Movement von Daniel Knorr auf dem Zwehrenturm am Fridericianum- Foto: © 2017 by Schattenblick

Weißer Rauch ... wir haben documenta!
Foto: © 2017 by Schattenblick

Es steht dem Kurator Adam Szymczyk denn auch gut zu Gesicht, "seine" documenta mit einem Aufruf zu politischer Streitbarkeit in Bewegung zu setzen, der den absehbaren und zahlreichen Versuchen ihrer zweckdienlichen Vereinnahmung entgegenwirkt. So erklärte er kurz vor Beginn der documenta 14 am Standort Athen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk:

Es geht um den individuellen, den denkenden Körper, der sich dem Machtapparat entgegenstellt. Ich denke, das ist das Schlüsselmoment. Und die Künstler sind bestens gewappnet, um sich diesem Schlüsselmoment zu stellen. Gemeinsam können sie vielleicht der Masse eine Stimme verleihen, können Vielfalt repräsentieren. (...)

Die documenta versucht also, sich einer emanzipatorischen Bewegung anzuschließen, die sich der Passivität und der Unausweichlichkeit der Situation, in der wir uns befinden, entgegenstellt. Und sie versucht, dem Lauf der Dinge eine andere Form zu geben, in dem wir öffentlich Farbe bekennen. Und die documenta-Kunstwerke sind Teil dieses vielfältigen, dynamischen, öffentlichen Statements, das wir abgeben - ein Statement, mit dem wir uns dem immer gleichen Narrativ widersetzen, das den Menschen überall, von der Türkei bis Amerika, aufgezwungen wird. [1]


Zeitschrift South as a State of Mind im documenta-Buchladen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Ambitionierte Textproduktion auch im Print-Format
Foto: © 2017 by Schattenblick

Die Frage, wie sich Kunst der Totalität des herrschenden Verwertungsregimes entzieht, um überhaupt von affirmativen Zwecksetzungen unkontaminierte Aussagen treffen zu können, bestimmt das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit der documenta 14 wie ein Lackmustest. Das seit alters her komplexe Problem der Kunstvermittlung wird durch die Positionen Szymczyks und seines Kuratorenteams, die in umfassenden Publikationen zur diesjährigen documenta wie vor allem den ihr gewidmeten Ausgaben des Magazins South as a State of Mind [2] dargelegt werden, nur auf den ersten Blick leichter begehbar. So schließt die Inanspruchnahme einer antagonistischen Haltung als Grundlinie künstlerischen Selbstverständnisses vieles aus, was der warenförmige Kunstbetrieb selbstredend mittransportiert, wenn es nicht ohnehin sein einziger Existenzzweck ist. Wie jedoch soll sich ein international wahrgenommenes und bewertetes Großprojekt wie dieses gegen seine Instrumentalisierung für nicht intendierte Zwecke aller Art verwahren?


documenta-Halle, Rahmenbau, Installation When We Were Exhaling Images - Foto: © 2017 by Schattenblick

Wo Bilder noch zum Eintreten einladen ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

Die aus der Theorieproduktion der documenta 14, der räumlichen Plazierung und kontextuellen Einbindung ihrer Exponate sprechende Herangehensweise an die Präsentation von Kunst läßt das oben prognostizierte Scheitern als Versuch präventiver Schadensbegrenzung erscheinen, während der dennoch vorgenommene Versuch, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, dem "Aber"-glauben der Hoffnung frönt, schadlos mit der bloßen Simulation ernstzunehmender und folgenreicher Streitbarkeit davonzukommen.

So ist der Arbeitstitel "Von Athen lernen" zumindest als politischer Auftrag, als den man ihn angesichts der neokolonialistischen Okkupation Griechenlands durch die deutsche Hegemonialmacht verstehen könnte, weitgehend ergebnislos geblieben. Dies belegt nicht nur die harsche Kritik, mit der sich viele Künstlerinnen und Künstler in der griechischen Metropole dem Eventimport aus der Bundesrepublik entgegengestellt haben, sondern auch die zwar in einzelnen Exponaten, kaum aber im Gesamtkonzept wahrnehmbare Gegenposition zu der vom Schuldendienst und dem dadurch begründeten Privatisierungsdiktat verursachten sozialen Verelendung im Lande wie der Aneignung attraktiver Liegenschaften durch deutsche Investoren.

Ein Grund dafür könnte in dem paradigmatischen Ansatz des Kurators liegen, die Aufteilung der documenta 14 auf Athen und Kassel unter dem Vorzeichen einer Dekolonisierungsthese vorzunehmen, die vom "Misstrauen gegenüber allen essenzialisierenden und reduzierenden Konzepten von Identität, Zugehörigkeit, Wurzeln und Eigentum in einer Welt, die sichtlich aus den Fugen geraten ist" [3], getragen wird. Während die antiessentialistische Lesart des Kolonialismus dessen rassistische und patriarchale Imperative höchst differenziert herausarbeitet, bleibt sie sie auf dem Gebiet einer materialistischen Staatskritik und Klassenanalyse zahnlos. Eine internationalistische Position gegen den deutschen Imperialismus würde in dieser Lesart vermutlich als Affirmation des Nationalismus verstanden und zu Lasten dieser gerade in den Ländern des Südens nicht unbedeutenden Form des Widerstandes gegen staatlich formierte Aggression verworfen werden. Dementsprechend weit offen steht das Einfallstor moralischen Schuldbewußtseins, das dem bürgerlichen Denken adäquater ist als die Aufhebung des privatwirtschaftlichen Eigentumsrechts, das die freiheitliche Willkür kapitalistischer Aneignung zu Lasten der rechtmäßig Enteigneten schützt.

Eine weitere Hürde, die die intendierte Gegenposition zu herrschaftsförmigen Zwecken verhindert, ist die institutionelle Einbindung der documenta in kommunal-, landes-, bundes- und unternehmenspolitische Legitimationsstrategien. Spätestens seit die berühmte Kulturindustriethese von Horkheimer und Adorno die Debatte zum dialektischen Verhältnis von indviduellem Kunstschaffen und gesellschaftlichen Widerspruchslagen weit über akademische Kreise hinaus entfacht hat, tritt die instrumentelle Zurichtung künstlerischer Artefakte auf ganz andere Zwecke als die ihnen eingeschriebenen auch dort unverkennbar hervor, wo sie entschieden dementiert wird. Das ändert sich erst, wenn sie so unverträglich wird, daß ihr der Stecker gezogen und alle Zuwendungen gekappt werden. An dieser Schwelle erweist sich das Spannungsverhältnis von gesellschaftlicher Sichtbarkeit und politischer Widerständigkeit als lange Leine, mit der Aktivisten und Künstlerinnen dem Regelwerk des Erwünschten und Erlaubten unterworfen werden sollen.


Volkswagen-Shuttle vor Henschel-Hallen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Mobilitätsformat unter Rechtfertigungsdruck
Foto: © 2017 by Schattenblick

Tourismusmagnet und Legitimationsvehikel

Für die - laut amtlicher Bezeichnung - "documenta-Stadt Kassel" von geradezu identitätstiftender Bedeutung lockt die berühmte Ausstellung seit ihrer Gründung 1955 eine Jahr für Jahr steigende Besucherzahl in die nordhessische Verwaltungsmetropole. Bei der letzten dOCUMENTA (13) vor fünf Jahren wurden 860.000 Gäste gezählt, womit eine Dimension gesellschaftlich wirksamer Deutungsmacht betreten wird, in der sich nicht unbedacht manövrieren läßt, ohne Gefahr zu laufen, mit den maßgeblichen Förderern des Ereignisses aneinanderzugeraten.

Die documenta und Museum Fridericianum gGmbH wird als gemeinnützige Gesellschaft von der Stadt Kassel und dem Land Hessen finanziert und darüberhinaus von der Kulturstiftung des Bundes und dem Auswärtigen Amt finanziell unterstützt. Wesentliche Sponsoren sind zudem die Volkswagen Aktiengesellschaft und der Deutsche Sparkassen- und Giroverband. Zwar wirbt der Volkswagen-Konzern, der in Kassel ein Werk für elektrische Antriebe betreibt, damit, daß die Gäste der documenta 14 selbst Gelegenheit haben, ein elektrisch betriebenes Fahrzeug auszuprobieren, doch hat es schon einen schalen Beigeschmack, wenn Annette Kulenkampff, Geschäftsführerin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, etwaiger Kritik an einer möglichen Rücksichtnahme auf die Interessen dieses die physische Integrität von Mensch und Natur kalkuliert mißachtenden Konzerns mit den Worten vorbeugt:

Die Institution braucht verlässliche Partner, die ihre Besonderheiten uneingeschränkt akzeptieren und die Auffassung teilen, dass die Freiheit der Kunst existentielle Voraussetzung für eine offene Gesellschaft und funktionierende Demokratie ist. [4]

Schließlich ist es bei noch so effizientem Zeitmanagement ein Kunststück, auch nur einen Teil der 35 über Kassel verstreuten Ausstellungsorte in einem zeitlichen Rahmen zu begehen, der sich bei einem Tagespreis von 22 Euro respektive 38 Euro für ein Zweitagesticket für Normalverdienerinnen überhaupt bezahlen läßt. Auch die Ermäßigung für Menschen mit Behinderung, Auszubildende, Schülerinnen, Studierende wie Empfängerinnen von Grundsicherungsleistungen von 15 respektive 27 Euro verlangt diesen Einkommensgruppen viel ab, dabei entspräche lediglich eine Dauerkarte für 100 respektive 70 Euro dem hohen Grad an Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit, die dem Publikum dieser Mammutausstellung abverlangt wird.

Nimmt man den emanzipatorischen Anspruch des Kurators ernst, dann wird die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit dieser documenta zwar nicht kleiner, aber es läßt sich auch leichter erkennen, welche Kunst von angemaßter Wichtigkeit und welche von existentieller Auseinandersetzung getragen wird. Ganz sicher ist es keine schlechte Idee, "sich der Passivität und der Unausweichlichkeit der Situation, in der wir uns befinden," entgegenzustellen, doch was bedeutet das für den praktischen Umgang mit künstlerischen Arbeiten? Ein solches schon in den alltäglichen gesellschaftlichen Kämpfen schwer zu verwirklichendes Vorhaben setzt ein fundiertes Interesse daran voraus, im ästhetischen Erleben den abwartenden, kein persönliches Wagnis eingehenden Standpunkt des bloßen Betrachters zu verlassen und aktiv einzugreifen. Das Publikum emanzipierte sich womöglich davon, ein solches zu sein, und bemühte sich um Kunst auf eine Weise, die nicht in der Übernahme angebotener Deutungen, der Unterwerfung unter die herrschenden Konsensproduktion oder der bloßen Affirmation sinnlich spektakulärer Darbietungen verebbt.

Kunst nicht zu konsumieren, sondern aktives Engagement aufzubringen, um in den Genuß des postulierten Erkenntniswertes zu gelangen hört sich stark nach Arbeit an, und das ist es - auf allerdings selbstbestimmte Weise - auch. Wer könnte anderes vermuten, wenn angesichts des desolaten Zustandes der Wirklichkeit die Durchdringung der Suggestivkraft herrschaftlicher Zurichtungen, die Befreiung vom sozialen Normierungsdruck und das Fassen von Mut zu radikaler Veränderung das notwendige Minimum an subjektiver Mühe markieren, diesen emanzipatorischen Schritt tatsächlich in Angriff zu nehmen.

(In weiteren Beiträgen zur documenta 14 sollen einige ihrer Exponate besprochen werden. Hinzu kommt ein Bericht über eine Konferenz der Marx-Engels-Stiftung anläßlich dieses Ereignisses in Kassel.)


Verspiegelter Kubus mit Fahrstuhl, breite Treppe - Fotos: © 2017 by Schattenblick Verspiegelter Kubus mit Fahrstuhl, breite Treppe - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Himmelhoch, bodenschwer ... auf der Grimmwelt Kassel
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.deutschlandfunk.de/documenta-kurator-adam-szymczyk-die-kunst-hat-eine.911.de.html?dram:article_id=382838

[2] http://www.documenta14.de/de/publications/

[3] http://www.documenta14.de/de/south/12_editorial

[4] https://www.volkswagen-media-services.com/detailpage/-/detail/Weltkunstausstellung-documenta-14-erffnet-in-Kassel-Volkswagen-Konzern-erneut-Hauptfrderer/view/5100353/6e1e015af7bda8f2a4b42b43d2dcc9b5?p_p_auth=z4hBx3Q6


12. Juli 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang