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BERICHT/043: Den Farben abgerungen - Widerspruchsvermächtnis eines Malers ... (SB)


"Aus dem künstlerischen Nachlaß" - Bilderblicke auf das Werk von Thomas von Scheven

Ausstellungseröffnung am 8. November 2014 in Hamburg-Harburg


Porträt - Foto: privat

Thomas von Scheven
Foto: privat

Der Schmerz in die Seele gebrannter Widersprüche treibt Menschen zu vielem, was ihre Wünsche und Hoffnungen zutiefst enttäuscht. Anstatt dies als Befreiung von Trugbildern zu erleben und neuen Mut zu fassen, fallen sie häufig noch tiefer in emotionale Abgründe und seelische Verzweiflung. Für die monadischen Existenzen der neoliberalen Arbeitsgesellschaft sind die Krankheitsbilder der Depression und des Burn Out zu ständigen Begleitern geworden, richten sich ihre destruktiven Auswirkungen doch nicht gegen die Verhältnisse, denen sie entspringen, sondern die Menschen, die unter ihnen leiden. Während dieser Mißstand durch den damit befaßten gesellschaftlichen Reparaturbetrieb auf allgemeinverträgliche Weise stabilisiert wird, kapituliert der auf notdürftiges Funktionieren getrimmte Mensch vor der Last einer Ohnmacht, die zu bestreiten desto aussichtsloser wird, als er die bloße Aussicht auf eine Lösung dem tätigen Streit gegen die ihm aufgeherrschten Zwänge bevorzugt.

Die Ausnahmen, die diese Regel bestätigen, sind dünn gesät und stehen zum gesellschaftlichen Alltag in um so schärferem Kontrast. Der 2003 verstorbene Künstler Thomas von Scheven, dem zur Zeit eine Ausstellung im Kulturcafé "Komm du" in Hamburg-Harburg gewidmet ist, war eine solche Ausnahmeerscheinung. Mit Hilfe der Malerei nahm er seine Probleme auf eine Weise in den Griff, die ihm neue Möglichkeiten der Kommunikation und Bewältigung eröffnete. 1953 geboren, schon bald mit dem frühen Tod der Mutter konfrontiert und an den Vater, einen hochrangigen Beamten, auf konfliktträchtige Weise gebunden, rannte er zeitlebens gegen sichtbare und unsichtbare Mauern an. Von berstender Vitalität erfüllt und nicht dazu bereit, sich den Vorgaben und dem Distinktionsstreben seiner großbürgerlichen Klasse zu unterwerfen, war die Auseinandersetzung mit allem, was für ihn inakzeptabel und überwindenswert war, Daseinszweck und Lebenselixier.

Detailstudie - Foto: © 2014 by Andrea von Scheven

Foto: © 2014 by Andrea von Scheven

Als Kind einer rebellischen Zeit war Thomas von Scheven stets bewußt, daß die kollateral auftretenden Probleme keinem numinosen Schicksal geschuldet, sondern unauflöslich mit der eigenen sozialen Herkunft und der Fremdheit einer Gesellschaft verknüpft sind, die auszugrenzen sucht, was sich nicht als nützlich und verwertbar bewährt. Den Menschen in seinem ganzen Potential und seiner ungeteilten Daseinsberechtigung zu erforschen, war ihm so sehr Anliegen, daß er keinen Erkenntnisweg ausschloß. Wo er versuchte, die ihn bedingenden Einflüsse auf naturwissenschaftliche Weise zu durchdringen oder mit Hilfe psychotroper Substanzen einen Blick hinter die so wichtig wie undurchdringlich gemachte Fassade der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu werfen, da wurde die dabei entstehende Reibung von berufener Seite her als Abweichung von der verlangten Normalität diagnostiziert und dementsprechend psychopharmazeutisch reguliert.

Seine Auseinandersetzung fand zum einen im Engagement in der Selbstorganisation psychischer Kranker statt. Die im Inneren auszutragenden Kämpfe hingegen trieben ihn häufig nachts rastlos durch die Straßen von Bonn, der Stadt, wo er den größten Teil seines Lebens verbrachte. Mitte der 1990er Jahre, wohl nicht ganz zufällig kurz nach dem jähen Absetzen aller "medikamentösen Prothesen", wandte er sich der Malerei zu, wo sein reges, bis dahin vor allem in den musikalischen Fantasien avantgardistischer Rock- und Experimentalmusik angesiedeltes kulturelles Interesse ein fruchtbares Feld kreativer Verwirklichung vorfand. Weitgehend autodidaktisch an Pinsel und Leinwand ausgebildet entstanden schon bald Bilder von eminenter Ausdruckskraft. Thomas von Scheven entdeckte im Malen die Möglichkeit einer Vermittlung, wo Sprechen mit Worten nicht hinreicht und die Absicht Gehör zu finden versagt hat, stattdessen aber Formen und Farben einer kommunikativen Auseinandersetzung Raum verschaffen. Das Erforschen von Wegen und der Drang, inneren Konflikten im Kampf um ihre Bewältigung Ausdruck zu verleihen, nahmen im Schaffen visionär wirkender Bilder Form und Gestalt an.

Vier Bilder im Komm du - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Von selbstverständlicher Großzügigkeit beseelt und, der Hintergründigkeit seiner subversiven Interventionen eingedenk, stets bereit, sich gegenüber seinen Mitmenschen zurückzunehmen, war der Künstler doch ein Mensch, der schon durch seine physische Präsenz bleibenden Eindruck hinterließ. Um so mehr stand die detailgenaue Arbeit an vielen seiner Gemälde, die an die pointilistische Technik aus zahllosen Farbtupfern erstehender Bildkompositionen gemahnen, in denkwürdigem Kontrast zum raumgreifenden Überschuß seiner Physis. Ein bloßer Epigone, der sich auf das Kopieren erfolgreicher Stile verlegt, muß schon über ein großes Ausmaß an Disziplin verfügen, um so malen zu können. Davon konnte bei Thomas von Scheven keine Rede sein. Er ging ganz auf im verspielt Träumenden, das auf der Suche danach, was die Welt im Innersten zusammenhält, in wild wuchernde Formen ausgreift. Verzweiflung, Einsamkeit und Ohnmacht in Schach zu halten und auf dem schmalen Grat zwischen Ambition und Überforderung nicht abzustürzen brachte Bilder hervor, durch deren bewegte Formen und leuchtende Farben der Kampf zwischen überbordender Lebenslust und ihrer wirklichkeitsversehrten Antithese stets durchschimmert.

Bildausschnitt - Foto: © 2014 by Andrea von Scheven

Im Detail ...
Foto: © 2014 by Andrea von Scheven

Foto: © 2014 by Schattenblick

... und im Ensemble der Bilderschau
Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Menschen in seinen Bildern wirken bisweilen regelrecht überfordert von der Fülle des organischen Wachstums, das sie umgibt. Weder Distanz noch Nähe können bemessen, wie unerreichbar der Kontakt zur Fülle einer Natur bleibt, wenn der Mensch es vorzieht, für die Hoffnung auf erfolgreiche Individuation und auf Halt in der Haltlosigkeit den Preis der Einsamkeit zu entrichten. Der Traum von der Unio mystica, von der gelungenen Utopie eines jeglicher Trennung und Teilung enthobenen Lebens tritt in diesen Bildwelten mit bisweilen so großer Intensität hervor, daß ihre ästhetische Kraft beim Betrachter in die jähe Dringlichkeit der existentiellen Fragen umschlagen kann, die das eigene Leben belagern. Was auf den ersten Blick schön wirkt, kann auf den zweiten als Immanenz all dessen manifest werden, was ansonsten ungefragt und damit unabgegolten bleibt.

Am Tresen im Komm Du - Foto: © 2014 by Schattenblick

Katrin und Andrea von Scheven
Foto: © 2014 by Schattenblick

So attestiert auch Katrin von Scheven, die jüngste der drei Schwestern des Künstlers, seinen Bildern eine Lebenskraft, die es fast unmöglich macht, an ihnen vorbeizugehen, ohne sich mit ihnen auseinanderzusetzen oder auf andere Weise Bezug auf sie zu nehmen. Bei der Vernissage, die unter dem Titel "Aus dem künstlerischen Nachlaß" einen Querschnitt aus der so hochproduktiven wie knapp bemessenen Schaffensphase Thomas von Schevens präsentierte, wurde dem Künstler durch die einleitenden Worte seiner Schwester Andrea von Scheven und dem einzig verbliebenen Bild- und Tondokument, das ein aufgezeichnetes Gespräch mit ihm zeigt, ein Andenken bereitet, das die Werkschau sinnvoll ergänzte. Den Anwesenden, die ihm nicht persönlich begegnet sind und die sein Werk jetzt kennenlernen, verhalfen seine Worte, die er wie stets mit ausdrucksstarker Mimik und durch manch verschmitzten Seitenblick auf den subversiven Unterstrom beredter Erklärungen kommentierte, zu einem authentischen Eindruck des Malers.

Das Kulturcafé Komm du, wo diese Ausstellung noch bis zum 9. Januar 2015 zu sehen ist, präsentiert ein künstlerisches Lebenswerk, das der Entdeckung durch den Kunstbetrieb nicht harren muß, weil sich, ganz im Sinne seines Urhebers, Sinn und Zweck dieser Schaffenskraft in der direkten Ansprache des anderen Menschen erfüllen. Was, wie es ein Harburger Kunstmäzen einmal ausdrückte, als Kontrapunkt gegen eine dem gesellschaftlichen Spiegel entsprechende, zunehmende Verflachung und Versimplung der modernen Kunst gesetzt werden kann, erschließt, so läßt sich zumindest aus dem Besuch dieser Ausstellung mitnehmen, eine über den Moment hinausweisende Gültigkeit aus den drängenden Fragen und virulenten Konflikten, die zu konfrontieren dem Menschen gar keine andere Wahl läßt, als tief zu greifen und weit zu blicken.

Ankündigung der Vernissage - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

16. November 2014


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