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BERICHT/015: Gefesselte Kunst - Zersplitterung des öffentlichen Raums (SB)


Wandel der Repräsentation auf den Straßen und in den Museen -



Helmut Draxler im Vortrag am 8. Februar 2012 in Berlin

Helmut Draxler beim Vortrag  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ray McKenzie, Gertrud Sandquist, Jimmie Durham, Helmut Draxler Foto: © 2012 by Schattenblick

Er wolle eher die negativen Seiten der Fragestellung beleuchten, unter der das Forum "Art in public space, art as public space, and art in the public interest" stehe, so der Kunsttheoretiker und Kurator Helmut Draxler zu Beginn seines Vortrags. Über die positiven Seiten werde ohnehin noch genügend gesprochen, meinte der Professor für Kunsttheorie an der Stuttgarter Merz Akademie, und so sezierte er den Begriff des öffentlichen Raums vor allem anhand der Widersprüchlichkeit, die die Arbeit des Künstlers und das öffentliche Interesse daran kennzeichne.

Wo Kunst als positives Mittel für das größere Ganze betrachtet oder in den Dienst der sozialen Transformation als eine Form kreativer zivilgesellschaftlicher Politisierung gestellt werde, wittert Draxler eine Idealisierung, die vor allem als legitimatorisches Narrativ fungiert. Tatsächlich seien die Akteure auf diesem Feld eher pragmatischen Konzepten der Machbarkeit verpflichtet, was dazu führe, daß die virulenten Widersprüche zwischen künstlerischer Produktivität und den an sie gestellten Ansprüchen der Öffentlichkeit strukturell eingeebnet würden. So werde von einer tiefen Homogenität zwischen dem künstlerischen Unterfangen auf der einen Seite und dem politischen Aktivismus wie der bürokratischen Organisation des Kunstbetriebs auf der anderen Seite ausgegangen, all das motiviert durch das gleiche größere politische Ziel.

Draxler hingegen erteilt der Idee, daß Kunst ein moralisch wertvolles Werkzeug sei, das gegen soziale Verwerfungen mit Hilfe einer Art ästhetischer Erziehung in Stellung gebracht werden könne, so daß die soziale Transformation in einer globalen Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit resultiere, eine klare Absage. Für ihn handelt es sich dabei um hegemoniale Kategorien, die mit impliziten Dispositiven der Macht, der Distinktion und Selbstvergewisserung aufgeladen seien. Die Rhetorik, die das Zivile affirmativ propagiere, komme ohne ihren Gegenpart, die Barbarei nicht aus, die damit gleichermaßen reproduziert werde.

So hält der Referent dem ideologischen Primat der Kunst, eine holistische Interpretation der Welt zu etablieren, die Absicht entgegen, diejenigen Schwierigkeiten, Konflikte und Antagonismen zu artikulieren, die in ihren moralischen, politischen, organisatorischen, pädagogischen und ästhetischen Ansprüchen enthalten sind. Draxler bevorzugt unter den Künstlern die Unruhestifter, verlangt ihnen aber ab, über ihre individuelle Problematik hinaus wirksam zu werden. Die Herausforderung bestehe darin, das Problem auf eine Weise zu akzentuieren, die es weder löst noch unter idealistischen Klischees begräbt.

Als anschauliches Beispiel für die Problematik der Kunst im öffentlichen Raum geht Draxler auf die letzte Ausstellung des bekannten Kurators Kasper König im Museum Ludwig in Köln ein. Unter dem Titel "Vor dem Gesetz" nach der berühmten Parabel Franz Kafkas werden dort noch bis zum 22. April 2012 "Skulpturen der Nachkriegszeit und Räume der Gegenwartskunst", wie der Untertitel der Schau lautet, gezeigt. Draxler führt anhand der dort gezeigten Skulpturen aus den 1950er Jahren aus, daß diese für einen damals noch weitgehend einheitlichen öffentlichen Raum geschaffen wurden und im Museum so wirkten, als ob sie nur für einen kurzen Besuch dort wären. Für ihn verkörpern diese figurativen bildhauerischen Werke die vormoderne Idee einer repräsentativen öffentlichen Sphäre, in der noch universalen Fragen zur menschlichen Existenz wie den Leiden des Krieges mit individuellen künstlerischen Mitteln Ausdruck gegeben werden konnte.

Die ebenfalls in Köln präsentierten Räume zeitgenössischer Kunst hingegen wären explizit für Museen gemacht, wo sie als Installationen, die verschiedene Materialien, Konzeptionen und gesellschaftliche Ambitionen verkörperten, auf Dauer blieben. Zwar übten sie in einer Vielzahl künstlerischer und ästhetischer Formen Kritik an Sexismus, Rassismus oder Kapitalismus, doch wären sie auf den begrenzten Rahmen der architektonischen und finanziellen Bedingungen des Museums festgelegt. So wie die Skulpturen der 1950er Jahre ihren quasi natürlichen Raum auf den Straßen und Plätzen der Städte eingenommen hätten, so wären die Installationen der zeitgenössischen Kunst auf Museen angewiesen, denen sie nicht mehr ohne weiteres entkommen könnten, zumal die Idee des öffentlichen Raums ihrerseits heute sehr viel differenzierter und fragmentierter als vor 60 Jahren in Erscheinung träte.

Zwar wäre die Vorstellung vom öffentlichen Raum schon damals hochgradig imaginativ und die Sphären des Urbanen, der Medien und Institutionen stark voneinander getrennt gewesen, doch konnte der öffentliche Raum damals noch als einheitliche Kategorie verstanden werden. Demgegenüber gebe es heute, so Draxler, zwar viel mehr Kunst, aber davon sei viel weniger im klassischen öffentlichen Raum und noch weniger in den Medien zu sehen. Es komme allerdings darauf an, was man unter Kunst verstehe, gab Draxler zu bedenken, der die in den Städten allgegenwärtigen Attribute des Designs nicht als solche verstanden wissen will. Während weltweit bekannte Museen zu regelrechten Publicity-Maschinen geworden wären, richteten sie sich allerdings an ein Museumspublikum, das von den anderen sozialen Sphären der ausdifferenzierten Gesellschaft separiert wäre.

So hätten sich verschiedene, nebeneinander koexistierende Vorstellungen von Kunst etabliert, denen keine integrierende Kategorie des Öffentlichen mehr zur Verfügung stände. Kunst werde nicht mehr als Darstellungsform eines privaten Anliegens von existentieller Bedeutung verstanden, sondern als partizipatorisches Angebot, das seine jeweils eigene Öffentlichkeit erschaffe. Das allgemein positiv verstandene Motiv der Partizipation fand in den Augen Draxlers ebenfalls keine Gnade, reproduziere es doch die Hierarchien, die seinem immanenten Anspruch gemäß eigentlich überwunden werden sollten. Partizipation bringe neue Zuständigkeiten hervor, die darüber befinden, wer teilhaben darf und wer nicht.

Auch habe die Globalisierung der Kunst dazu beigetragen, das es viele neue Konzeptionen gäbe, die nicht unter einer hegemonialen Idee wie der einer weltumspannenden Zivilgesellschaft vereinigt werden könnten. Statt dessen beherrschten neue subjektive Fraktionen und Konflikte das Feld der Kunst, die es noch disparater und antagonistischer machten. Davon auszugehen, wie es der Begriff des öffentlichen Raums und des öffentlichen Interesses suggeriert, daß es so etwas wie eine einheitliche Sphäre, ein allgemeines Gut oder Interesse gebe, führe in die Irre. In den stark fragmentierten, hochgradig autonomen sozialen Sphären sei keine neue öffentliche Kunst entstanden, sondern künstlerisches Schaffen bleibe eine sehr private, subjektive und hochgradig privilegierte Form des kulturellen Ausdrucks.

Für Draxler, so sein Fazit, ist Kunst keine Lösung, sondern Teil des Problems. Gerade mit ihren idealistischen Interpretationen sei sie daran beteiligt, diejenigen Fragmentierungen, Subjektivitäten und Privilegien hervorzubringen, die sie zu überwinden beansprucht. Dabei konstituieren diese Probleme die Bedingungen der Existenz von Kunst, denn Kunst sei ein problematisches Unterfangen. Mit diesen Bedingungen umzugehen sei die Voraussetzung dafür, daß Kunst politisch wirksam wird, und damit fange der Ärger erst richtig an.

(wird fortgesetzt)

Skulptur im öffentlichen Raum - Foto 2012 by Schattenblick

Vater Staat von Thomas Schütte vor der Neuen Nationalgalerie Foto 2012 by Schattenblick

11.‍ ‍April 2012