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BERICHT/004: Gefesselte Kunst - "radius of art" (SB)


Eröffnung der Konferenz "radius of art" in Berlin am 8. Februar 2012

Eröffnungsveranstaltung 'radius of art' - Foto: © 2012 by Schattenblick

Schon am Morgen gutgefüllter Saal
Foto: © 2012 by Schattenblick

So breit aufgefächert wie das Spannungsfeld von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft war auch die Themenstellung und Referentenauswahl der internationalen Konferenz "radius of art", zu der die Heinrich-Böll-Stiftung am 8. und 9. Februar nach Berlin geladen hatte. Unter den Leitmotiven "Kreative Politisierung des öffentlichen Raums/Kulturelle Potentiale für soziale Transformation" debattierte an diesen beiden Tagen eine illustre Schar von 70 Referentinnen und Referenten vor 160 geladenen Gästen über den Einfluß kultur- und entwicklungspolitischer Diskurse auf Kunst- und Kulturprojekte in aller Welt. Anderthalb Jahre der arbeitsintensiven Vorbereitung kulminierten im Gebäude der Stiftung in einer breiten Angebotspalette von Foren und Workshops, die der besseren Überschaubarkeit wegen in vier thematische Hauptstränge gegliedert waren.

Bereits seit drei Jahren arbeitet das Projektbüro "radius of art" der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein in Kiel mit mehreren internationalen Kooperationspartnern am ambitionierten Anliegen, Kunst und Kultur für gesellschaftspolitische Fragestellungen fruchtbar zu machen und "neue Zugänge zu gesellschaftsrelevanten Themen, u.a. in den Bereichen Geschichte, kulturelles Gedächtnis, Kunst im öffentlichen Raum, Migration, Nachhaltigkeit, Gender und Menschenrechte" [1] zu eröffnen. Dabei erfreut man sich als Teil des EU-Kooperationsprojekts "art-based research / research-based art" einer Unterstützung, ohne die die diversen Ausstellungen, Veranstaltungen und Projekte, die in diesem Rahmen bereits initiiert wurden [2], kaum durchzuführen gewesen wären. Gefördert wird das Projekt zudem von der Anna Lindh Euro-Mediterranean Foundation for the Dialogue between Cultures mit Sitz im ägyptischen Alexandria. Die 2005 von den Regierungen der EUROMED-Staaten gegründete Stiftung gibt an, im Rahmen ihrer interkulturellen Arbeit und Förderprogramme über 3000 zivilgesellschaftliche Organisationen in der Mittelmeerregion miteinander vernetzt zu haben.

Die Berliner Konferenz wurde gemeinsam mit der dortigen Dependence der der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahestehenden Stiftung vorbereitet und organisiert. Schon der äußere Rahmen der Veranstaltung ließ keinen Zweifel daran, daß eine vorzugsweise mit Bundesmitteln finanzierten Institution über Möglichkeiten verfügt, von der das hauptstädtische Künstlerprekariat nur träumen kann. Auf zwei Etagen des in prominenter Lage in Berlin-Mitte gegenüber dem Deutschen Theater gelegenen Zentralgebäudes der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Konferenzzentrum Beletage, fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht nur perfekt ausgestattete Seminarräume vor, sondern wurden auch mit hervorragendem vegetarischen Essen versorgt.

Unmüßig vom Vorstand der Bundesstiftung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Barbara Unmüßig
Foto: © 2012 by Schattenblick
Eröffnet wurde die Konferenz von Barbara Unmüßig, die zusammen mit Ralf Fücks den Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung bildet. In ihrer Begrüßungsrede verwies sie auf die besondere Bedeutung des 2005 von der UN-Generalkonferenz für Bildung, Wissenschaft und Kultur verabschiedeten Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen für das Zustandekommen des Projekts "radius of art" und der Konferenz. Dabei hob sie die entwicklungspolitische Bedeutung, die der Kultur in dieser UN-Konvention zugemessen wird, besonders hervor. Insgesamt gehe es darum, das "kulturelle Potential der Kunst, insbesondere in sozialen Transformationsprozessen", auf politischer Ebene anzuerkennen. Konkret gesagt bedeute dies, "künstlerische Initiativen, die sich auf die Kontexte der Armut und sozialen Exklusion beziehen, zu unterstützen und kollektive Plattformen für die Mobilisierung verschiedener sozialer Akteure zu errichten, die sich öffentlichen Anliegen wie sozialer Integration, effektiver Staatsbürgerschaft, Menschenrechten, multikultureller Dialoge und sozialer Ausgeglichenheit widmen", so Unmüßig in ihrer auf englisch vorgetragenen Rede [3].

Auf der "Suche nach Wegen in ein postfossiles Zeitalter und einer neuen Ära menschlicher Entwicklung auf der Basis der Ästhetik der Nachhaltigkeit" wolle man sich der Kunst nicht nur als "Mittel oder Medium" bedienen, sondern ihr "immenses Potential für soziale Transformation und Empowerment" ausschöpfen. Um sich die "Kommunikationsräume in Städten wiederanzueignen", müsse die "intuitive und transformative Kraft der Kunst" auch in Hinsicht auf die nationalen und internationalen Politiken ihrer "finanziellen, strukturellen oder institutionellen Unterstützung" diskutiert werden. Sie sei seit der Finanzkrise 2008 mehr denn je davon überzeugt, so Unmüßig, daß "wir die Welt nicht in den Händen von Experten belassen können", sondern daß jeder einzelne sich einbringen solle. Ästhetik sei die Summe unserer Wahrnehmung und helfe dabei, komplexe Systeme zu verstehen, vor denen man sich nicht fürchten, sondern die sich jeder Mensch erschließen solle, so der basisdemokratische Anspruch, den die Rednerin nicht nur für Künstlerinnen und Künstler formulierte. "Unsere Mission besteht darin, kulturpolitische Entwürfe und Pläne zur Mittelvergabe voranzubringen, die Prozesse der Kunst für soziale Transformation zugunsten Kulturen der Nachhaltigkeit befördern; wir möchten auch die Potentiale der Kunst für die öffentliche Sphäre und neue Dimensionen der Wissensproduktion erkunden, die forschungsbasierte Kunst und kunstbasierte Forschung anbieten", faßte Unmüßig das Ziel des Projekts und der Konferenz abschließend zusammen.

Scheelje vom Vorstand der Landesstiftung Schleswig-Holstein - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dirk Scheelje stellt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor
Foto: © 2012 by Schattenblick

Nach dieser Begrüßung der aus 36 Ländern stammenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer erläuterte Dirk Scheelje, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein, Details zum Verlauf und zur Organisation der Konferenz. Der Inhalt seiner ebenfalls in englisch gehaltenen Rede war zwar klar zu verstehen, doch ließen die Nuancierungen in der Aussprache bei ihm wie auch seiner Vorrednerin erkennen, daß diese Sprache zwar als lingua franca funktioniert, aber als bloße Trägerin von Informationen alles andere als ein ästhetischer Genuß ist. Dieses Detail zu erwähnen wäre überflüssig, wenn nicht die Praxis, eine internationale Konferenz weitgehend ohne Simultanübersetzung in einer Sprache abzuhalten, die für das Gros der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht die Muttersprache ist, Verkürzungen und Verflachungen mit sich bringt, die der präzisen Bestimmung der dort verhandelten Inhalte eher entgegenwirken.

Im deutschsprachigen Veranstaltungsprogramm [4] beließ man denn auch die vier programmatischen Titel, die das Programm strukturierten, in englischer Sprache. Zweifellos hat es den meisten Gästen der Konferenz keinerlei Probleme bereitet zu verstehen, was mit "Art for Social Transformation", "Public Art", "Art toward Cultures of Sustainability" und "Cultural Policy Strategies and Funding Structures" gemeint ist. Deutlich wird jedoch schon bei diesen Begrifflichkeiten, daß ihre spezifische Konnotation eine Übersetzung ins Deutsche oder andere Sprachen nicht immer unbeschadet übersteht. Für Policy und Politics findet sich keine Entsprechung, die nicht das eine oder andere, den eher inhaltlich-programmatischen Entwurf (policy) oder das parlamentarische oder administrative Procedere (politics), in seiner Bedeutung beschneidet. Die Nähe zum technokratischen Managerjargon, zur postrukturalistischen Terminologie der Cultural Studies und zum administrativen Governance-Diskurs bestimmte den Duktus des auf der Konferenz verwendeten Englischs, was nicht nur eine Frage des Stils, sondern auch des Inhalts ist.

So wird die ausführliche Berichterstattung des Schattenblick über die "radius of art"-Konferenz nicht nur einen kritischen Blick auf das Verhältnis zwischen Kunst, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft auf den Widerspruchsfeldern von Selbst- und Fremdbestimmung, von subjektiver Überschreitung und objektiver Bedingung werfen. In einer Reflektion, die sich sprachlicher Mittel bedient, soll auch der kritische Umgang mit der Bildung und Verwendung von Begriffen nicht zu kurz kommen, handelt es sich doch dabei um eine zentrale Achse menschlicher Wirklichkeitsbemächtigung. Übergreifende Topoi wie kulturelle Diversität, internationale Vernetzung, soziale Transformation und ökologische Nachhaltigkeit, die in allen Vorträgen und Diskussionen wiederkehrten, bedürfen der Präzisierung schon deshalb, weil die Ergebnisse politischer Prozesse häufig anders aussehen als die Entwürfe, die ihnen vorausgingen. Ganze Berufsstände haben sich dem Ziel erfolgreicher Kommunikation verschrieben, doch wie die Alltagspraxis schon in kleinsten sozialen Zusammenhängen belegt, können selbst Menschen des gleichen Sprachraums so sehr aneinander vorbeireden, daß von einem Mißverständnis zu reden geradezu inhaltliche Kohärenz beanspruchte. Nicht immer mangelt es an der Aufmerksamkeit des Zuhörers. Menschliche Kommunikation ist auch ein Feld taktischer Winkelzüge und strategischer Manöver. Es ist ein soziales Verhältnis erster Ordnung und damit Kampfplatz ebenso wie Entwicklungschance.

Fußnoten:
[1] http://www.radius-of-art.de/down/2010-Radius_Doku.pdf
[2] http://www.radius-of-art.de/info.php>
[3] http://www.boell.de/educulture/education-culture-13943.htmlhttp://www.boell.de/educulture/education-culture-13943.html
(Übertragung ins Deutsche durch SB-Redaktion)
[4] http://www.radius-of-art.de/conference/down/20120119_PRESSETEXT.pdf

(wird fortgesetzt)

Winterliches Panorama - Foto: © 2012 by Schattenblick

Zentralgebäude der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte Foto: © 2012 by Schattenblick

14. Februar 2012