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BERICHT/002: "zur nachahmung empfohlen!" - Ausstellungseröffnung in Hamburg (SB)


"expeditionen in ästhetik und nachhaltigkeit" am 9. September 2011 im ÜberseeQuartier

Von Stefan Kroll
Straßenszene im ÜberseeQuartier - Foto: © 2011 by Schattenblick

Auf dem Weg zur Ausstellung
Foto: © 2011 by Schattenblick

Seit September 2010 wird mit künstlerischen Mitteln "zur nachahmung empfohlen!" (ZNE!), was dem zerstörerischen Charakter verbrauchsintensiver Produktivität und sozialer Unterwerfung mit der genuinen Originalität schöpferischer Prozesse entgegentreten soll. Die unter diesem Titel präsentierten "expeditionen in ästhetik und nachhaltigkeit" sollen sich nicht auf den ausgetretenen Pfaden des Kunstbetriebs verlaufen, sondern dem Publikum durch grenzüberschreitende Entwürfe "zwischen Kunst, Aktivismus und Erfindungen" [1] neue Möglichkeiten des lebensfreundlichen Umgangs mit Mensch und Natur erschließen.

Vom 10. September bis zum 30. Oktober gastiert die von Adrienne Goehler kuratierte Ausstellung im ÜberseeQuartier in der Hamburger HafenCity. Während die mehr als 40 Exponate aus Kunst, Wissenschaft, Film und Architektur Fragen einer umweltverträglichen Bestandssicherung aufwerfen, dokumentiert der Bau teurer Wohnanlagen und Verwaltungsgebäude in der HafenCity den expansiven Charakter einer postindustriellen Stadtentwicklung, die nicht zuletzt von den Anlageproblemen einer weitgehend finanzmarktgetriebenen Kapitalakkumulation gespeist wird. Inmitten dieses für die neoliberale Phase prototypischen Strukturwandels der Handelsmetropole Hamburg setzt die im Erdgeschoß des Virginiahauses zentrierte und in mehrere Nebenstellen ausgreifende Ausstellung einen bunten Akzent zwischen kreativem Protest und kulturpolitischer Legitimation.

Kuratorin im Einsatz - Foto: © 2011 by Schattenblick Kuratorin im Einsatz - Foto: © 2011 by Schattenblick

Ausdruckstarke Präsentation durch Adrienne Goehler
Foto: © 2011 by Schattenblick

Schon das sogenannte Key Visual der Ausstellung, das von Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla geschaffene Werk "Under Discussion", thematisiert eine Konfrontation, der man eine eigene Präsentation widmen könnte. Der mit einem Außenbordmotor versehene umgedrehte Verhandlungstisch kann als Absage an die politischen Prozesse verstanden werden, die ohne den intensiven Kampf der Bewohner der zu Puerto Rico gehörigen Insel Vieques gegen die dort 60 Jahre lang durchgeführten Schieß- und Bombenabwurfsübungen der US-Marine ohnehin niemals in Gang gesetzt worden wären. Erst 2003 führten die aus der ganzen Welt unterstützten Proteste der Inselbewohner zum Abzug der Navy, die den Ostteil der Insel jahrzehntelang unter schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit der Einwohner mit Bomben und Granaten aller Art, darunter Munition aus abgereichertem Uran und Chemiewaffen, im Wortsinn verwüstet hatte.

Auch die Bundesmarine beschoß die Insel seit 1995 regelmäßig mit Schiffsartillerie, zudem übten ihre Jagdflieger dort den Abwurf international geächteter Streubomben. Die für Umweltaktivisten geradezu kafkaeske Pointe des Umgangs der US-Regierung mit den erfolgreichen Protesten besteht darin, daß der größere Teil der Insel nach dem Abzug der US-Marine als ökologisch wertvolles Schutzgebiet für Wildtiere ausgewiesen wurde. Dies enthebt die US-Regierung der Pflicht, die kostspielige Dekontamination des nunmehr unter ökologischem Vorzeichen wiederum der Nutzung durch die Einwohner vorenthaltenen ehemaligen militärischen Sperrgebiets zu vermeiden, wäre dies doch nur bei menschlicher Besiedelung erforderlich. Man könnte hier auch von einer besonders durchtriebenen Form des Greenwashing sprechen, warnen Kritiker der Maßnahme doch davor, daß die in großen Mengen unexplodierter Munition und den chemischen Rückständen abgeworfener Bomben enthaltenen Gifte durch Alterungsprozesse oder äußere Einwirkungen wie Hurricanes freigesetzt werden könnte. So sitzen die 1898 von den USA kolonisierten, auf Zuckerrohrplantagen ausgebeuteten, während des Zweiten Weltkriegs aufgrund der Einrichtung einer Militärbasis vertriebenen und anschließend von den Vorbereitungen imperialistischer Kriege heimgesuchten Insulaner heute auf einer ökologischen Zeitbombe, die man ironischerweise in einem Reservat für Wildtiere untergebracht hat.

Kuratorin vor Bilderwand - Foto: © 2011 by Schattenblick

Auch Kunstwerke bedürfen mitunter der Erklärung
Foto: © 2011 by Schattenblick

Anschaulich gemacht wird der Raub an der Natur wie den Lebensvoraussetzungen der Menschen auch durch die Fotografien, mit denen Ursula Schulz-Dornburg unter dem Titel "Ewiger Weizen" die Reduzierung der Vielfalt von über 60.000 Sorten dieses Brotgetreides auf einige wenige, agroindustriell auf maximalen Ertrag für Saatgutkonzerne, Pestizid- und Düngemittelproduzenten zugerichtete Hochleistungssorten optisch in Szene setzt. Wenn diese Installation Interesse an der Erkundung des Zugriffs transnationaler Konzerne auf die Produktionsvoraussetzungen des Weizenanbaus, die desaströsen Folgen der Zucht genetisch kontrollierter, nur unter streng überwachten Lizenzbedingungen anbaubarer Weizensorten für kleinbäuerliche Wirtschaftsweisen und die Gefahren, die von der Normierung des Brotgetreides für die Welternährung ausgehen, weckt, dann hat sie ihren Zweck im besten Sinne erfüllt.

Die in der Installation "Field" von Richard Box unter Hochspannungsleitungen aufgestellten Leuchtstoffröhren sind ein in Anbetracht der Allgegenwart sendender und empfangender Geräte der mobilen Telekommunikation fast schon musealer, die energiewirtschaftlichen Infrastrukturen der industriellen Moderne illuminierender Beleg für die Entgrenzung elektromagnetischer Felder. Wird die permanente Durchdringung des Körpers mit elektromagnetischen Impulsen verschiedenster Frequenzbereiche unter dem Schlagwort "Elektrosmog" trotz ihrer physischen Ungreifbarkeit als numinose Gesundheitsgefährdung problematisiert, so dokumentiert "Field", wie irreführend die angebliche Immaterialität jeglicher auf Elektrizität basierenden Produktionsweise ist.

BUBL:  Kuratorin mit Pressevertreterinnen - Foto: © 2011 by Schattenblick

Pressekonferenz auf Mehrzweckexponat
Foto: © 2011 by Schattenblick

Mit seinem Projekt "Civilian Defense II" lenkt Dan Peterman den Blick auf das Katastrophenmanagement in sogenannten gescheiterten Staaten. Während sich die Bauern in Haiti nach dem Erdbeben 2010 genötigt sahen, sich gegen Saatgutmultis zur Wehr zu setzen, die die Nahrungsmittelhilfe dazu mißbrauchten, ihre Produktionsweise in eigennütziger Absicht einzuschleusen, hatte die afghanische Bevölkerung im Krieg 2001 das Problem, daß die Bomblets der Streubomben den ebenfalls abgeworfenen humanitären Tagesrationen zum Verwechseln ähnlich sahen. Nachdem eine unbekannte Zahl hungriger Zivilisten anstelle des Care-Pakets eine nicht explodierte Bombe aufsammelte und dabei umkam, ließ die US-Regierung der von ihr mit Krieg heimgesuchten Bevölkerung in Landessprache folgende Botschaft zukommen:

"Achtung, ehrwürdige Bevölkerung Afghanistans. Wie Sie wissen, werfen die alliierten Streitkräfte humanitäre Tagesrationen für sie ab. Die Ration ist in gelbe Plastiktüten verpackt, die die Form von rechteckigen oder langen Quadraten haben. Die Lebensmittel in den Taschen sind sehr nahrhaft. In Regionen, die von den Orten entfernt liegen, an denen die Nahrungsmittel abgeworfen wurden, wurden auch Streubomben abgeworfen. Die Farbe dieser Bomben ist ebenfalls gelb. Alle Bomben explodieren, wenn sie den Boden berühren, aber unter einigen besonderen Umständen werden einige der Bomben nicht explodieren. In Zukunft werden Streubomben nicht in Gebieten abgeworfen, in denen es zu Abwürfen von Nahrungsmitteln kommt. Auf keinen Fall möchten wir erleben, daß unschuldige Zivilisten die Bomben irrtümlich für Nahrungsmittelpackungen halten und sie im Glauben aufnehmen, sie enthielten Nahrungsmittel. Wir möchten Ihnen raten, besonders aufzupassen und keine gelbfarbigen Objekte zu berühren."

Um der Bevölkerung zumindest die Wahl zu lassen, humanitär geholfen oder umgebracht zu werden, ging man später dazu über, die Farbcodes der vom Himmel fallenden Geschenke einer fernen Welt deutlich unterscheidbar zu machen, was nichts daran ändert, daß Kinder auch Jahre später immer wieder an scharfgebliebenen Bomblets starben, weil sie von der bunten Verpackung der tödlichen Fracht angezogen wurden. Der US-Künstler kommentiert diese Scharade einer warenproduzierenden Zivilisation, die in diesem Fall vergessen hatte, die allgegenwärtigen Gefahrenhinweise auf ihren Produkten auch in Landessprache anzubringen, auf seine Weise, indem er die Nahrungsmittelhilfe in militärische, wie Leichentücher gebleichte Kleidung verpackt.

'Gottes Freund, Der Welt Feind' Denkmal von Hansjörg Wagner - Foto: © 2011 by Schattenblick

Vom Auf und Nieder der Hansestadt unbeeindruckt - Claas Störtebeker
Foto: © 2011 by Schattenblick

Die gerade vom EU-Parlament mit großer Mehrheit abgesegnete Kompetenzerweiterung der EU-Grenzschutzagentur Frontex wird künftig dafür sorgen, daß die Festung Europa noch wirksamer gegen Menschen abgeschottet sein wird, die aus existenzieller Not Schutz suchen. Daß die menschenrechtliche Konditionierung des Frontex-Mandats den Tod tausender Menschen auf dem Mittelmeer künftig verhindern wird, ist ebenso unwahrscheinlich, als daß der gegen die NATO erhobene Vorwurf, ihre Kriegsschiffe hätten in Not geratene Flüchtlinge während des Libyenkriegs ihrem Schicksal überlassen, was diese mit ihrem Leben bezahlten, aufgeklärt würde.

Mit seinem im Miniaturformat in der Ausstellung vertretenen "World Climate Refugee Camp" mahnt Hermann Josef Hacks, entschieden für die Verhinderung der Klimakatastrophe einzutreten, um desaströsen Folgen wie Klimakriegen und daraus erwachsenden Fluchtbewegungen entgegenzuwirken. "Wir dürfen daher die Gestaltung unserer Zukunft nicht denjenigen überlassen, welche das 'weiter so' predigen und nicht von ihren Machtpositionen ablassen wollen. Wir müssen uns einmischen und in unserer Arbeit Zukunft vorwegnehmen, wenn wir an uns glauben" [1]. Der Beuys-Schüler Hacks tut dies beispielsweise, indem er sein Flüchtlingslager, dessen Zelte mit Symbolen und Grafitti die Diversität und Konflikte migrantischer Bewegungen dokumentieren, an öffentlichen Orten errichtet oder in Ausstellungen wie dieser präsentiert.

Als Reiseziel adoptionswilliger Filmstars ist Afrika schon mehrmals in die Schlagzeilen geraten. Ob den von der Berliner Künstlerin Gudrun F. Widlok in ihrem Projekt "Adopted" vermittelten Patenschaften, bei denen afrikanische Familien vereinsamte ältere Menschen in Europa unter ihre Fittiche nehmen, ähnliche Aufmerksamkeit beschieden sein wird, ist zu bezweifeln. Die aus den Individuationsprozessen der neoliberalen Konkurrenzgesellschaft resultierende Isolation alter Menschen gehört nicht zu den Themen, die sich massenmedialer Attraktivität erfreuen. Das gilt um so mehr für das hilflose Dahindämmern pflegebedürftiger oder von Demenz betroffener Senioren, für die die aggressivsten Verfechter sozialdarwinistischer Vergesellschaftung längst wieder den vermeintlich schönen Tod der institutionalisierten Euthanasie im Angebot haben. Die Aufnahme in einer afrikanischen Familie erscheint demgegenüber nicht so abwegig, sollte allerdings nicht als Vorbild für den organisierten Transfer alter Menschen in Länder mit niedrigen Lebenshaltungskosten dienen.

Anlage mit Dreifachschornstein - Foto: © 2011 by Schattenblick

Dreifaltige Abluftentsorgung - Industriepanorama HafenCity
Foto: © 2011 by Schattenblick

Entsorgung ist immer ein Thema für hochproduktive Gesellschaften, und am liebsten ist es ihren Mitgliedern, wenn diese so weit wie möglich entfernt von ihrem eigenen Lebensraum stattfindet. "disCONNEXION" heißt das aus über 40 Fotografien bestehende Werk des chinesischen Künstlers Xing Danwen, das die sortierten Reste ausgeschlachteter Rechner und Telekommunikationsgeräte zum Gegenstand hat. Der aus den Zentren des HighTech-Kapitalismus in China anlandende Elektronikschrott wird dort auf ganz archaische Weise von Zigtausenden Wanderarbeitern per Hand zerlegt. Der niedrige Lohn, der für diese Arbeit bezahlt wird, steht im umgekehrten Verhältnis zur hohen Gesundheitsbelastung, die der Umgang mit giftigen Materialien aller Art mit sich bringt. Die auch in Afrika wie Krebsgeschwüre in die Landschaft wuchernden, das Grundwasser verseuchenden und die Natur zerstörenden Elektronikbrachen sind der reale Niederschlag virtueller Welten, deren Verbrauchscharakter allzu gerne vergessen wird.

Das von dem argentinischen Künstler Gustavo Romero entwickelte "Time-Notes-Projekt" konzipiert die Zeit als eine Währung, die sich zwar in Geld übersetzen läßt, was jedoch im umgekehrten Verlauf an der Unverfügbarkeit der begrenzten Lebenszeit scheitert. Daß die "Zeitwährung als ein existenzielles Geschenk" [1] betrachtet wird, um sie dennoch als auf Tag, Stunde und Minute bezifferte Papiernoten zum Tauschäquivalent zu erheben, bringt das ganze Elend fremdverfügter Verhältnisse hervor. Das Leben längs der Achse des Vorher und Nachher in Zeiteinheiten einzuteilen, um diese in ihrer Finalität als knappes Gut zu definieren, unterwirft den Menschen einmal mehr dem Joch des Zeittaktes. Seine Zeit auszuschöpfen und sich damit einem objektiven Quantum zu unterwerfen entspricht der Exposition des Werkstoffs unter die serielle Prozeßlogik der großen Maschine. Wenn die Knappheit eines angeblichen Gutes, dessen Quantifizierung ausschließlich auf sozialen Tauschverhältnissen beruht, mit der Kategorie der sogenannten quality time die Existenz einer besonders wertvollen soziale Ressource suggeriert, wird nicht die Zeit, sondern der Mensch bemessen. Fernab davon, das Verhängnis des Zählens und Teilens als solches antizipieren zu können, wird das tayloristische Unwesen des Zeitdiktats in jede Nische noch nicht verwertbar gemachten Lebens getrieben. So gerät die Befreiung von der Zeit zur vermeintlich unerreichbaren Utopie, anstatt der atomisierten Subjektivität die verlorengegangene Erinnerung an das Leben vor der Zeit zurückzugeben.

Maritimes Rudiment vor alten Handelshäusern - Foto: © 2011 by Schattenblick

Für die Weltwirtschaft stehen die Zeichen auf Sturm
Foto: © 2011 by Schattenblick

Als subversiven Versuch, die Macht der Zahlen über den Rand ihrer Objektivierbarkeit zu treiben und damit zu brechen, könnte das Projekt "MACHT GESCHENKE: DAS KAPITAL" der Künstlerin Christin Lahr verstanden werden. Die tägliche Überweisung eines Cents an das Bundesministerium für Finanzen unter Angabe eines Verwendungszwecks, der aus der fortlaufenden Übertragung des Buches "Das Kapital - Kritik der politischen Ökonomie" von Karl Marx in Form jeweils 108 fortlaufender Buchstaben seines Textes als Schenkung an die Bundesbürger negiert dadurch, daß die Künstlerin die Zeichen des Buches nach ihrer Übersendung ausstreicht, das angehäufte Kapital. Was bleibt, ist das Potential des Ungewordenen, Ungeschaffenen und damit Unverfügbaren. Lahrs Beitrag zur Tilgung der deutschen Staatsschuld, in seiner kumulativen Entgrenzung zum ironischen Zerrbild finanztechnischer Wertschöpfung überspitzt, spielt mit der Wirkung kleinster und schwächster Impulse, die allerdings den Vorteil haben, von jedem in Gang gesetzt zu werden.

Über 16.000 Insekten untersuchte die Künstlerin Cornelia Hesse-Honegger nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl in radioaktiv kontamierten Gebieten und in der Umgebung anderer Atomkraftwerke auf morphologische und weitere Schädigungen hin. Im ersten Fall betrug die Schädigungsrate 22, im zweiten Fall 30 Prozent. Die von ihr dazu im Vergleich in intakten Biotopen untersuchten Wanzen hat die als naturwissenschaftliche Zeichnerin ausgebildete Künstlerin in Aquarellen abgebildet, die die ganze Schönheit des Lebens unterhalb der Schwelle durch den menschlichen Blick identifizierbarer Formen dokumentieren. Der "Verrat an der Natur", so der Titel ihrer Arbeit, nimmt unterdes monströse Formen an, wie die jüngste Entwicklung in Japan zeigt. Was daran am meisten beunruhigt, ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Menschen an die Normalität des atomaren GAUs gewöhnen. Wenn die moralische Empörung verraucht ist, bleibt die Asche einer vom Weltenbrand gespenstig illuminierten Todesliebe.

Die Arbeit an Fitnessapparaten könnte als völlig sinnfrei bezeichnet werden, wenn die Ausführenden im Verbrauch ihrer körperlichen Substanz nicht einen Zugewinn entdeckten, der als Mehrwert zwar nicht ökonomischen, wohl aber distinktiven Charakters in Erscheinung tritt. Wem das Zurücklegen großer Strecken auf einem Laufband als Stillstand selbstreferenzieller Fantastereien erscheint, für den kann die "Öffentliche Wasseraufbereitungsinsel" von Jakub Szczesny Abhilfe schaffen. Hier zeitigt der industrielle Charakter des physischen work outs endlich wieder produktive Ergebnisse, anstatt als schweißnasse Reibungswärme zu verpuffen. Der sich an den Fitnessmaschinen stählende Körper wird auf seinen produktiven Verwendungszweck zurückgeführt, indem die dabei erwirtschaftete Energie zum Betrieb einer Filtrationsanlage eingesetzt wird, dessen trinkbares Substrat den Sportarbeitern zur Reinigung und Erfrischung dient.

Selbstverständlich erfolgt der Kampf für Freiheit und Demokratie mit Hilfe regenerativer Energien. So wird beim Wiederaufbau nach militärischen Interventionen darauf geachtet, umweltfreundliche Technologien zu verwenden, wie die solargetriebenen Laternen belegen, die die US-Besatzungstruppen an den Straßen der von ihnen fast vollständig zerstörten zentralirakischen Stadt Fallujah errichtet haben. Weil der größte Militärapparat der Welt täglich Erdöl in der Menge ganz Schwedens verbraucht, soll der Betrieb der Panzer und Kampfflugzeuge sukzessive auf Agrosprit umgestellt werden. Schon 2012 soll eine Green Strike Group beweisen, daß Kampfeinsätze auch auf ökologisch wertvolle Weise durchgeführt werden können. Daß die Kriege in den Ländern des Südens mit einem Treibstoff gewonnen werden sollen, mit dem das verbrannt wird, was den dort lebenden Bevölkerungen am meisten fehlt, nämlich Nahrungsmittel, darf als zynische Pointe moderner Kriegführung verstanden werden.

Wenn einem so viel Gutes widerfährt wie den Zuschauern des TV-Folterlabors "24", deren Produzenten sich rühmten, die Serie CO2-neutral produziert zu haben, dann ist man für den "Solargetriebenen elektrischen Stuhl" des Künstlers David Smithson allemal bereit. Die ultimative Strafe, vollzogen mit gutem Gewissen nicht nur für den Henker, sondern auch den Delinquenten, ist Greenwashing in Vollendung und bringt die Ästhetik des Todes auf den Begriff des ökologisch wertvollen Vollzugs.

Kuratorin mit Journalistinnen - Foto: © 2011 by Schattenblick

Einblicke - Führung durch die Ausstellung
Foto: © 2011 by Schattenblick

Mit einem weiteren Beispiel für Ästhetik und Nachhaltigkeit weist Petra Maitz unter dem Titel 'Lady Musgrave Island' auf die Problematik des bedrohten Korallenriffs vor der Küste Australiens hin. Die Lady Musgrave Insel liegt eingebettet in einer Landschaft, die weltweit als einmalige touristische Attraktion mit faszinierender Unterwasserwelt aus Fauna und Meerestieren als Teil des UNESCO Kulturerbes angepriesen wird. Ihre Kehrseite ist die fortgesetzte ökologische Krise, die massive Zerstörung einer wunderbaren Landschaft mit vielfältigen Korallenbeständen der Riffs und anderer vor dem Aussterben bedrohter Meeresbewohner. Die vom Menschen direkt beeinflußten Ursachen wie Schäden durch lokale landwirtschaftliche Einleitungen, Giftstoffe und Touristenströme bleiben mittlerweile weit zurück hinter den global entglittenen Auswirkungen des Klimawandels und der Versauerung der Ozeane.

Künstlich geneigte Hausfassaden im ÜberseeQuartier - Foto: © 2011 by Schattenblick

Postmoderne Simulation urbaner Enge
Foto: © 2011 by Schattenblick

Petra Maitz, die als einzige persönlich anwesende Künstlerin ihr Objekt zu diesem Anlaß selbst erläuterte, erinnerte sich, wie sie schon vom Flugzeug aus auf das wie ein Ohr geformte Naturphänomen der Insel mit Lagune und Korallenriff aufmerksam wurde, welches sie dann zur Vorlage für ihre plastische Darstellung nahm. Aus bunten Wollfäden gehäkelte "Korallen" veranschaulichen in Form und Farben die Vielfalt diesen Teils des Great-Barriere-Reef*, dessen Existenz in höchstem Maße gefährdet ist. Schlicht für sich gesehen, weisen die skulpturartigen Häkelhütchen und Rosetten in erster Linie auf die handwerkliche Machart. Erst die Kenntnis über die fortgesetzte Umweltzerstörung, die solch einmalige Naturgebilde wie das Barriere Riffsystem bedroht, verleiht dem Exponat eine eigentümliche symbolische Plastizität.

Hunderte von Korallen, die auf einer Fläche von etlichen Quadratmetern Platz finden, ließ Petra Maitz mit eigens für das Projekt zusammengetragenen Wollresten in Heimarbeit fertigen. Das Häkeln als soziale oder politische Ausducksform hat Petra Maitz nicht erfunden. Mit einem gehäkelten Korallenprojekt, zu dem auch die Wissenschaftsjournalistin Christine Wertheim aufrief, steht Petra Maitz demnach nicht alleine da. Die auf diese Weise delegierte Herstellung erhält in der Projektbeschreibung zur Ausstellung als Bestandteil des Kunstwerks ihre Aufwertung: "Petra Maitz spiegelt Gemeinschaften der Natur und des Menschen als ein Bild des Entstehens infolge der Aktion vieler, animiert Frauen und Männer per Inserat zum Häkeln von Korallen in freier Interpretation. Mit dieser Methode macht sie das Projekt zum Kunstprojekt, organisiert kollektives Schaffen, die Methode des Korallenriffs selbst sich für dessen Darstellung zu Eigen machend."

Aus eigener Anschauung berichtet Petra Maitz von den Umständen, die noch auf andere Problemfelder hinweisen: "Insgesamt habe ich drei Jahre gebraucht, um das herzustellen. Ich bin als fahrende Vertreterin mit dem Häkelgarn und Koffer zwischen Österreich und Montenegro, dem alten k.u.k.-Reich, hin und hergefahren, habe das Garn gebracht, und die Mitarbeiterinnen haben mir die Korallen dafür gegeben." An der Finanzierung der Arbeitskosten hat sich das österreichische Kultusministerium beteiligt. Das Thema Vergütung der Heimarbeit erst einmal angeschnitten, lag die Frage nahe, in welcher Form sie vonstatten ging. "Ich habe das ganze pro Korallengewicht abgerechnet. An einer Koralle wurde ein bis zwei Tage gearbeitet, dafür gab es 30 Euro. Eine Frau aus Bosnien-Herzegowina, die in Wien lebte, hat mir gesagt: Du hast das Medizinstudium meiner Tochter finanziert." Für Petra Maitz wiederum lag der Zugewinn in einem großen österreichischen Preis für Kunstförderung, der ihr für das Projekt Lady Musgrave Island nach Fertigstellung verliehen wurde.

Um dem Thema Nachhaltigkeit etwas genauer nachzugehen, kommt man nicht an grundsätzlicheren Fragen von Erhalt und Zerstörung vorbei. Wenn man die ökologisch biologischen Zusammenhänge der Entstehung eines natürlichen Korallenriffs berücksichtigt, geschieht der Aufbau auf der Basis von Zerstörung organischer oder anorganischer Substanzen, Organismen und ihrer Skelette, eine Form von neu erschaffener Welt. Läge hier nicht eine Parallele zu den sozialen Verhältnissen, wie man durch Nutzung schlecht bezahlter Heimarbeiter an deren bestehender sozialen Benachteiligung partizipiert? Wie aus einem Zitat der Künstlerin zu entnehmen ist, repräsentiert das Lady Musgrave Reef Projekt für Petra Maitz die Auseinandersetzung mit Symbiosegesellschaften in Form natürlicher Ökosysteme gleichsam wie die des System aus Individuum, Staat und Familie. Das hier angeschnittenen Arbeitsverhältnis könnte man als eine Art von Symbiose der besonderen oder vielleicht eher doch gewöhnlichen Art sehen. Der gewichtigere Teil, der zugunsten des Nutznießers erworbene Freiraum - in finanzieller, räumlicher und zeitlicher Hinsicht - ist auf der Seite der Auftragsgeberin zu vermuten. Die freimütigen Äußerungen der Künstlerin über die Herstellung ihres Exponats lassen die Frage zu, wie weit sich auch der Künstler mit seiner Arbeitsweise dem Widerspruch nicht entziehen kann, einerseits Nachhaltigkeit zu propagieren und andererseits bei dessen Umsetzung das System zu perpetuieren, das das Korallensterben vorantreibt.

Sicht von unten auf das Ausstellungsgebäude - Foto: © 2011 by Schattenblick

Virginiahaus vom naheliegenden Kanal aus
Foto: © 2011 by Schattenblick

Wo die postindustrielle Urbanität neue Felder einer angeblich immateriellen Wertschöpfung erschließen soll, kommt einer Ausstellung wie ZNE! nicht nur die Bedeutung eines Gegenentwurfs zu. Wie die große Anzahl illustrer Förderer aus Staat und Wirtschaft verrät, ist sie auch ein umworbenes Schaufenster kulturindustrieller Legitimation dessen, was es zu kritisieren gilt. Die Ästhetik der Nachhaltigkeit erfreut mit praktischem Ratschlag, ironischer Zuspitzung und kritischer Aufklärung ebenso, wie sie eine befriedete Zone im globalen sozialen Krieg schafft, von der aus das Verhängnis aus vermeintlich sicherer Distanz beobachtet werden kann. Was zu kurz kommt, ist die konkrete Manifestation streitbaren Widerstands gegen die verheerenden Folgen destruktiver Kapitalexpansion, also die Immanenz der subjektiven Ohnmacht und der Wunsch, sie nicht zu fliehen, sondern zu überwinden.

Die Kuratorin Adrienne Goehler, deren politisch aktive Zeit bei der Hamburger GAL in eine erfolgreiche Laufbahn als Kulturmanagerin von einigem Einfluß mündete, verortet den gesellschaftspolitischen Horizont des Projekts in der "Entfesselung der Fantasie auf allen Ebenen, weil die von Menschen gemachten Natur- und Finanzkatastrophen mit den herkömmlichen Methoden nicht mehr zu bewältigen sind". Ihre Kritik an dem "von ökonomischen und lobbyistischen Interessen" in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkten Expertentum in Wirtschaft und Regierungen mündet in die Forderung nach einer "erweiterten Form von Demokratie" [1], die von der konzeptionellen Transformationslogik in permanentem Wandel befindlicher Prozesse und Strukturen bestimmt ist.

Wo der Abstraktionsgrad der präsentierten Kunst, programmatisch dem sinnhaften Anspruch des ökologischen Mehrwerts folgend, bis auf den zweckrationalen Gehalt einer verbrauchsarmen bis regenerativen Produktivität heruntergebrochen wird, läuft er Gefahr, seines subversiven Gehalts zugunsten bloßer Affirmation verlustig zu gehen. Wo der Versuch, die Eindimensionalität herrschender Verwertungsverhältnisse performativ zu konterkarieren, vom Objekt kritischer Abstraktion ununterscheidbar zu werden droht, nimmt das Spektakel eines sich vor allem selbst reproduzierenden Kulturbetriebs dem emanzipatorischen Elan allen Wind aus den Segeln.

Um nicht einem gleitenden Übergang zu neoliberaler Flexibilitätsdoktrin und lodengrüner Restauration zu erliegen, wäre eine eindeutigere Positionierung gegen hegemoniale Institutionen und Eliten in Staat und Gesellschaft vonnöten. Eine Kunst, die im Widerstreit des öffentlichen Diskurses entschieden für die Position des Menschen eintritt, legt sich auch in der westlichen Welt mit herrschenden Interessen an. Dies zu scheuen bedeutete, auf die zentrale Kraft historischer Entwicklung von Mensch, Kultur und Gesellschaft zu verzichten.

Fußnote:

[1] Zur Nachahmung empfohlen! Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit. Ausstellungspublikation, Hatje Canz Verlag, Ostfildern 2010,

Impressionen aus dem ÜberseeQuartier - Foto: © 2011 by Schattenblick Impressionen aus dem ÜberseeQuartier - Foto: © 2011 by Schattenblick

Gänzlich unironische Exponate himmelwärts strebender Akkumulation
Foto: © 2011 by Schattenblick

15. September 2011