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FRAGEN/007: Afrikanische Kunst als innovative Kraft - Interview mit Prof. Dr. Bernd Kleine-Gunk (Spektrum - Uni Bayreuth)


Spektrum 1/2016 - Universität Bayreuth

Afrikanische Kunst als innovative Kraft

Interview mit Prof. Dr. Bernd Kleine-Gunk von Christian Wißler


Spektrum: Herr Professor Kleine-Gunk, in mehr als zwei Jahrzehnten haben sie eine international herausragende Sammlung afrikanischer Gegenwartskunst aufgebaut. Ein Teil davon wird heute, aufgrund einer Vereinbarung mit der Oberfrankenstiftung, im Iwalewahaus der Universität Bayreuth aufbewahrt. Wie kam es, dass Sie vor vielen Jahren damit begannen, Kunstwerke aus Afrika zu erwerben und immer mehr in systematischer Form zu sammeln?

Professor Kleine-Gunk: Ich bin ja von Haus aus Mediziner, habe aber neben meinem Medizinstudium in Münster und Essen immer auch ein wenig Kunstgeschichte studiert. Ende der 1980er Jahre bin ich dann als relativ junger Arzt und Entwicklungshelfer für fast drei Jahre nach Simbabwe gegangen. Dort war ich ganz erstaunt über die tolle Kunstszene, die damals dort blühte. Es war vor allem die Steinbildhauerei in Simbabwe, die mich faszinierte. Da habe ich angefangen zu sammeln und habe auch die Künstler persönlich näher kennengelernt. Und wenn man einmal von diesem 'Afrikavirus' befallen ist, von dieser 'maladie africaine', wie die Franzosen sagen, dann fühlt man sich immer wieder dorthin gezogen. So habe ich bald auch Reisen in andere afrikanische Länder unternommen und mich dabei immer stärker für neue künstlerische Entwicklungen interessiert. Daraus ist dann allmählich die Sammlung entstanden, die ich dann versucht habe, gezielt immer weiter auszubauen.


Spektrum: Gibt es in der afrikanischen Kunst bestimmte Schulen oder Richtungen, die international besonders hochgeschätzt werden?

Professor Kleine-Gunk: Afrika ist ein großer und vielfältiger Kontinent, und es gibt daher nicht die afrikanische Kunst. In der nachkolonialen Zeit haben sich zunächst an ganz unterschiedlichen Standorten vereinzelte Kunstzentren und Schulen herausgebildet. Ein herausragendes Beispiel sind die von Ulli Beier - dem späteren Gründungsdirektor des Iwalewahauses - in den 1960er Jahren initiierten Oshogbo-Workshops in Nigeria. Viele einflussreiche nigerianische Künstler sind daraus hervorgegangen. Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte "Schule von Kinshasa", eine Art "afrikanische Pop-Art-Bewegung". Dies war die Zeit der klassischen afrikanischen Moderne, die Künstler lebten und arbeiteten hauptsächlich an ihren jeweiligen lokalen Zentren. Mittlerweile gibt es zahlreiche Künstler, die in Afrika geboren sind, aber im Ausland - zum Beispiel in Paris, London oder New York - tätig sind und den internationalen Kunstbetrieb kennen. Sie nutzen neue Medien und Ausdrucksformen, wie etwa Videoinstallationen und Collagen, und bilden die zweite Generation afrikanischer Künstlerinnen und Künstler seit dem Ende des Kolonialismus.


Im Spannungsfeld zwischen afrikanischen Traditionen und westlicher Moderne

Spektrum: Wie wirkt sich dieser Wandel auf die Rezeption afrikanischer Kunst aus? Sind die Werke dieser Künstler, die in der europäischen und nordamerikanischen Kunstszene zuhause sind, eher nur für eine internationale Klientel von Interesse, oder stoßen sie auch in den Herkunftsländern der Künstler auf Resonanz?

Professor Kleine-Gunk: Mittlerweile wächst die Zahl von Kunstsammlern in Afrika, die ein großes Interesse für afrikanische Kunst entwickeln. Insofern zeichnet sich ein deutlicher Wandel ab. Die ersten Käufer afrikanischer Kunst waren größtenteils Nichtafrikaner aus Europa und den USA, die als Diplomaten, Unternehmer oder Entwicklungshelfer in Afrika tätig waren. Sie nahmen die von ihnen erworbenen Kunstwerke später in ihre Heimatländer mit. Umso erfreulicher ist es, dass sich seit einigen Jahren in zahlreichen afrikanischen Zentren eine eigene Kunstszene entwickelt. Es gibt eine wachsende Zahl von Galerien und Ausstellungen, und die Biennale in der senegalesischen Hauptstadt Dakar gewinnt als Forum für afrikanische Kunst eine immer stärkere Ausstrahlungskraft. In Kapstadt soll jetzt ein großes Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst entstehen, das erste Museum dieser Art auf dem afrikanischen Kontinent. Zur "Kunst" im weiteren Sinne gehört eben nicht nur die künstlerische Produktion, sondern auch eine lebendige Szene von Galerien und anderen Treffpunkten für Kunstinteressierte.


Spektrum: Wenn wir noch einmal auf die Entwicklung seit dem Ende des Kolonialismus zurückblicken: Haben Künstler in Afrika zunächst einheimische Traditionen aufgenommen und weitergeführt, oder haben sie sich von vornherein mehr an 'westlichen', internationalen Trends orientiert?

Professor Kleine-Gunk: Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass traditionelle afrikanische Kunstwerke - wie sie in vielen europäischen Museen präsent sind - von den Menschen, die sie geschaffen haben, eigentlich nicht als Kunst aufgefasst und signiert wurden. Es handelt sich im wesentlichen um religiöse Objekte, die in kultischen Zusammenhängen bestimmte Funktionen hatten und die erst heute von uns als Kunstobjekte wahrgenommen werden. Auch die europäischen Maler im Mittelalter haben sich ja eigentlich als 'Handwerker Gottes' gefühlt, die in religiöse und soziale Traditionen eingebunden waren. Dass Künstler in Afrika sich bewusst als individuelle Künstler verstehen, nach dem Prinzip 'l'art pour l'art' arbeiten und ihre Werke auch signieren - das ist eine Entwicklung, die erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts, also unmittelbar vor der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten begonnen hat.

Seitdem ist afrikanische Kunst oftmals vom Spannungsverhältnis zwischen afrikanischen Traditionen und europäischer Moderne geprägt. In vielen Werken kommt dieser "culture clash" offen zum Ausdruck. Internationale Kunstformen und Erfahrungen der lokalen Alltagswelt verbinden sich dann auf kreative, spannungsreiche Weise. Da gibt es zum Beispiel die bereits erwähnte Gruppe von Malern in Kinshasa, die peintres populaires, die Comic Strips oder die Ästhetik von Kinoplakaten nutzen, um afrikanische Alltagszenen darzustellen. In Benin stellt Romuals Hazoumé, der auf der Kasseler Documenta ausgezeichnet wurde, traditionelle afrikanische Masken aus europäischem Zivilisationsmüll her. Und wenn ein ghanaischer Künstler Särge in Form eines Mercedes Benz produziert, dann kann man diese Spannung, dieses Hin- und Hergerissensein zwischen afrikanischen Traditionen und der westlichen Welt kaum besser auf einen künstlerischen Nenner bringen.


Komik und Kritik: Engagiert gegen politische Fehlentwicklungen

Spektrum: Gibt es einen Künstler, der aus Ihrer Sicht besonders innovativ und einflussreich in der afrikanischen Kunstszene ist?

Professor Kleine-Gunk: Als prominentes Beispiel würde ich Chéri Samba aus der Demokratischen Republik Kongo nennen, der seit fast drei Jahrzenten so etwas wie ein afrikanischer Pop-Art-Künstler ist. Er zeigt in seinen Werken Szenen aus dem Lebensalltag seiner Heimat, bringt aber zugleich die Erlebnisse und Erfahrungen seiner zahlreichen Auslandsreisen mit ein. Er ist für mich ein afrikanischer Intellektueller, der mit künstlerischen Mitteln arbeitet, die jeder versteht. Mit den Themen seiner Werke spricht er ein breites Publikum an.

Ein Charakteristikum der zeitgenössischen afrikanischen Kunst ist ja der ungeheure Humor, der in vielen Werken zum Ausdruck kommt. Bei uns in Deutschland sind Kunstausstellungen häufig eine Art Religionsersatz, ein Dienst an der Kultur, den man mit Andacht verrichtet. Ganz anders in Afrika: Da stehen die Besucher vor den Bildern, lachen und haben ihren Spaß. Gerade die Auseinandersetzung mit europäischen und amerikanischen Kultureinflüssen vollzieht sich oft auf eine sehr spielerische Weise. Westliche Klischees werden mit Überraschungseffekten und viel Komik aufgebrochen, die beim Publikum ankommt. Trotz aller Alltagsnöte, unter denen die Menschen leiden - gute Laune und Freude am künstlerischen Witz lassen sie sich nicht verderben.


Spektrum: Wollen afrikanische Künstler auch die politischen Verhältnisse beeinflussen, verstehen sie sich als engagierte Künstler, die sich kritisch mit sozialen Missständen auseinandersetzen?

Professor Kleine-Gunk: Eindeutig ja, und sie haben bei der Kritik an den Entwicklungen, die in ihren Ländern schief laufen, oftmals erstaunlich viele Freiheiten. Wenn die kritischen Botschaften, die in Werken der bildenden Kunst sichtbar werden, stattdessen in der Presse zu lesen wären, dann liefen manche Journalisten durchaus Gefahr, im Gefängnis zu landen. Offenbar können sich bildende Künstler mehr Freiheiten herausnehmen als Zeitungsjournalisten und Schriftsteller - und diese Möglichkeiten nutzen sie auch. Gerade die Eliten ihrer eigenen Länder nehmen sie unnachsichtig unter die Lupe. Nicht selten behandeln sie die politisch Verantwortlichen schonungsloser als manche Europäer, die dazu neigen, die Schuld an Fehlentwicklungen in Afrika einseitig auf äußere Umstände zu schieben. Künstler in Afrika sind da oft kritischer und haben ein klares Gespür für die Folgen, wenn sich Machteliten als korrupt und unfähig erweisen.


Gesellschaftliche Stagnation, Innovationen in Kunst und Kultur

Spektrum: Sehen Sie in Afrika also eine Diskrepanz zwischen politischer und wirtschaftlicher Stagnation einerseits und künstlerischer Kreativität andererseits?

Professor Kleine-Gunk: Ja, und ich will gleich hinzufügen: Das war nicht immer so. In der Generation der Staatsgründer und Politiker, die ihre Länder in den 1960er Jahren in die Unabhängigkeit geführt haben, gab es noch Intellektuelle und Visionäre, die in die Zukunft gedacht und für die Gesellschaften ihrer Länder neue Ideen und Konzepte entwickelt haben. Sie haben über Afrika hinaus gewirkt, denken Sie beispielsweise an Leopold Senghor im Senegal oder Julius Nyerere in Tansania. Das literarische und kulturelle Konzept der "négritude", das den Menschen in Afrika ein stärkeres Bewusstsein der eigenen Identität vermitteln sollte, trug auch im politischen Raum zu einer optimistischen Aufbruchsstimmung bei. Doch all das ist mittlerweile längst Vergangenheit, es gibt in Afrika kaum noch politische Hoffnungsträger. In vielen Ländern regieren autokratische Eliten oder Diktatoren, die sich auf Kosten ihrer Bevölkerungen bereichern. Kreativität und Innovationskraft sind dagegen in den afrikanischen Kunstszenen zuhause. Wenn man in 20 Jahren auf Afrika schaut, wird man wohl die meisten heutigen Politiker vergessen haben, aber ganz viele Künstlerinnen und Künstler werden weiter hochgeschätzt werden.

Ähnliches stellen wir fest, wenn wir auf unsere eigene Geschichte zurückblicken. Deutschland befand sich im 18. Jahrhundert in einer durchaus vergleichbaren Lage. Die politische Landschaft war geprägt durch eine Vielzahl von Territorialfürsten, die der äußerlichen Prachtentfaltung von Ludwig XIV. in Frankreich nacheiferten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, waren sie nicht imstande, die Wirtschaft in den von ihnen regierten Gebieten substanziell voranzubringen. Vielerorts stagnierte auch die soziale Entwicklung. Kreative Impulse gingen dagegen von den kulturellen Zentren aus, von den Weimarer Koryphäen Goethe und Schiller oder später von den Salons der Berliner Gesellschaft. Und so verhält es sich heute auch in Afrika: Die Innovation kommt eindeutig aus Kunst und Kultur. Wir dürfen auf überraschende Entwicklungen gespannt sein.


Spektrum: Herr Professor Kleine-Gunk, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!


ZUR PERSON

Professor Dr. med. Bernd Kleine-Gunk ist Leiter einer gynäkologischen Privatpraxis in Fürth und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging Medizin (GSAAM). Seine Sammlung von mehr als 800 Werken zeitgenössischer afrikanischer Kunst gehört zu den bedeutendsten Sammlungen dieser Art in Europa.


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Printausgabe finden Sie im Internet unter:
http://www.uni-bayreuth.de/de/universitaet/presse/spektrum/pdf/ausgabe_01_16.pdf

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Quelle:
Spektrum-Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 1 - Juli 2016, Seite 74-78
Herausgeber: Universität Bayreuth
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Spektrum erscheint ein- bis zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2016

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