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BERICHT/176: Syrien - Kurdischer Künstler erzählt mit dem Pinsel vom Leiden der Kinder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. August 2013

Syrien: Das Leiden der Kinder mit dem Pinsel erzählt - Kurdischer Künstler malt Kriegsbilder

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Zuhair Hassib vor einem seiner Gemälde
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Suleymania, 30. August (IPS) - Das jüngste Massaker im syrischen Bürgerkrieg hat der Künstler Zuhair Hassib nicht miterlebt. Der Anblick der Belagerung von Homs reichte aus, um den Horror auf seinen Gemälden lebendig werden zu lassen.

Auf einer Leinwand sind schwarze und rote Silhouetten zu sehen, die eine Gruppe blasser, nackter Kinder umringen, bevor sie abgeschlachtet werden. "Schönheit ist das beste Vehikel, um Leiden auszudrücken", sagt Hassib, einer der bekanntesten Maler in Nahost.

Ein Teil seiner Werke wird seit dem 20. Juni in einer Kunstgalerie im Zentrum der Stadt Suleymania, 260 Kilometer nordöstlich von Bagdad, ausgestellt. Als wiederkehrende Motive erkennt man auf den 20 Bildern Frauen und eine "Sinfonie von acht reinen Farben".

Doch ein Gemälde fügt sich nicht so recht in das Ganze ein. "Ich lief schnell in mein Atelier, als ich die Bilder der schrecklichen Belagerung von Homs sah. Ich musste immer weiter um diese armen Kinder weinen, als ich rote Farbtupfer auf die Leinwand brachte", erzählt er. Am 25. Mai vergangenen Jahres wurden mehr als hundert Menschen in dem vorwiegend von Sunniten bewohnten Viertel Houla im Norden von Homs ermordet.


Erinnerung an Opfer überlebt in der Kunst

Untersuchungen der Vereinten Nationen ergaben, dass einige Opfer offensichtlich durch Artilleriebeschuss getötet worden waren. Die meisten anderen waren geköpft worden, nachdem Soldaten des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sie gefangen genommen und mit Handschellen gefesselt hatten. Unter den Toten waren auch 49 Kinder.

Hassib hofft, dass die Erinnerung an sie kommende Generationen überdauern wird. "Ich bin weder Journalist noch Dokumentarfilmer und zeige auf meine Weise das Leid dieser unschuldigen Kinder", sagt er. "Schönheit hilft uns dabei, menschliche Pein mit anzusehen und zu verarbeiten."

Ein Vorbild für Hassib ist Pablo Picassos Gemälde 'Guernica', das einem verheerenden Luftangriff im Spanischen Bürgerkrieg 1937 festhält. "Picasso malte das Bild in Schwarz und Weiß, man erkennt darauf kein einziges Flugzeug. Sein Meisterwerk wird aber auch noch in den kommenden Jahrhunderten genau die Schrecken des Krieges begreiflich machen."

Seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien vor mehr als zwei Jahren sind mehr als 100.000 Menschen getötet worden, wie UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Juli mitteilte. Danach folgte das jüngste Massaker, bei dem Hunderte weitere Syrer durch Giftgas starben.

Das Bild 'Kinder in Houla' legt Zeugnis von einer der dramatischsten Episoden des syrischen Konflikts ab. Die anderen ausgestellten Werke Hassibs zeigen dagegen auf lebendige und farbenfrohe Weise, woher der Künstler stammt und welche Erfahrungen er in seinem Leben gemacht hat.

"Ich wurde 1960 in Hassakah, 600 Kilometer nordöstlich von Damaskus in einer kurdischen Bauernfamilie geboren", erzählt er. "Uns gehörte kein Land, und ich war erst zwei Jahre alt, als die Regierung uns alles nahm, was wir besaßen: nämlich unsere Pässe."

Nach dem Staatsstreich 1963 begann die sozialistische arabische Baath-Partei mit einer aggressiven Kampagne, die das Ziel hatte, die syrischen Kurden auszulöschen. In dem Land lebten damals etwa vier Millionen Kurden, die die größte Minderheit bildeten. Ihre Sprache und ihre Kultur wurden unterdrückt. Man nahm ihnen ihr Land weg, um dort arabische Familien anzusiedeln. Hunderttausende Kurden verloren die syrische Staatsbürgerschaft. Fortan bildeten sie eine neue 'Kaste' der Unberührbaren und wurden 'maktoum' genannt, was auf Arabisch 'nichts' heißt.

"1981 zog ich nach Damaskus, um zu studieren. Als ich die Stadt zum ersten Mal sah, war ich tief beeindruckt. Bis dahin kannte ich nur das ländliche Leben. Aus der Distanz verklärte ich diese Welt dann immer mehr", erinnert sich der Künstler. 1985 machte er sein Diplom an der Kunsthochschule, doch sein weiterer Weg war steinig.

"Ich wollte Kunstlehrer werden, doch das Regime erlaubte es mir nicht, meine Studien fortzusetzen. Und ich konnte nicht einmal ein Hotelzimmer buchen, da ich keinen Ausweis hatte. Damals regierte Präsident Hafiz al-Assad, der Vater des heutigen Staatschefs. Er wollte erreichen, dass Kurden als Schuhputzer oder Tellerwäscher endeten", berichtet Hassib. "In unserem Land gibt es nur wenige Kurden, die studiert haben."


In der Falle zwischen Regierung und Islamisten

Hassib suchte Zuflucht in der Kunst, er wurde in Syrien und im Ausland bekannt. Als Künstler habe er ein etwas besseres Leben als die meisten Kurden im Land, sagt er. Der Krieg hat ihn aber längst auch in seiner Kunstgalerie in der Altstadt von Damaskus eingeholt. "Wir sitzen in der Falle, zwischen einer Regierung, die uns systematisch ablehnt, und denjenigen, die uns im Namen Allahs töten wollen."

Seit Beginn des Volksaufstands im März 2011 haben sich die syrischen Kurden für einen 'dritten Weg' entschieden, der sowohl an Assad als auch an den Rebellen vorbeiführen soll. Sie übernahmen im Juli 2012 die Kontrolle über die Gebiete im Nordosten des Landes, in denen sie am zahlreichsten vertreten sind. Dennoch kommt es seither nach wie vor zu Auseinandersetzungen mit beiden Seiten.

Seit Mitte Juli dieses Jahres üben Gruppen, die mit dem islamistischen Terrornetzwerk Al Qaeda in Verbindung gebracht werden, in der Region brutale Gewalt aus. Die Extremisten sollen von der Türkei aus nach Syrien gekommen sein.

"Die Kurden in Syrien und im gesamten Nahen Osten haben in den vergangenen 100 Jahren um ihr Überleben gekämpft", sagt Hassib." Meine Kunst spricht von Frieden. Die traurige Wahrheit besteht jedoch darin, dass die ganze Region nicht aus einem so tödlichen Albtraum erwachen kann." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://egrig.com/fantastic-paintings-by-zuhair-hassib/
http://www.ipsnews.net/2013/08/one-way-to-see-the-killing-in-syria/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2013