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BERICHT/175: Syrien - Aktivisten retten "Revolutionskunst", Plakate in die USA geschmuggelt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Juli 2013

Syrien: Aktivisten retten 'Revolutionskunst' - Plakate über die Türkei in die USA geschmuggelt

von Sudeshna Chowdhury


Bild: © mit freundlicher Genehmigung von Shadi Latta

Poster gegen Syriens Präsidenten Assad
Bild: © mit freundlicher Genehmigung von Shadi Latta

New York, 5. Juli (IPS) - Auf die kleine syrische Stadt Kafranbel trifft das alte Sprichwort 'ein Stift ist mächtiger als ein Schwert' immer noch zu. Jede Woche arbeiten Aktivisten dort an regierungskritischen Plakaten und Transparenten, mit denen sie dann gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad protestieren.

Beseelt durch den Wunsch, diese Zeugnisse der Revolution für künftige Generationen zu bewahren, werden sie zu Hunderten in die USA geschleust. Shadi Latta, ein in Illinois niedergelassener Arzt, hatte die ersten 100 Poster im Februar erhalten, später kamen die nächsten 20. Der in Kafranbel geborene und aufgewachsene Mediziner erwartet bereits die nächste Sendung.

Die Poster werden in der Türkei gesammelt und dann in die USA geschifft, wie Latta berichtet. Nur auf diese Weise könnten sie vor der Vernichtung geschützt werden. Mit den Anschlägen auf die größeren Städte und der Vernichtung der historischen Denkmäler bedroht der Krieg zwischen Rebellen und Assad-treuen das syrische Kulturerbe.

Das Welterbe-Komitee hat sechs syrische Stätten auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt, wie Irina Bokowa, Generaldirektorin der Weltkulturorganisation UNESCO berichtete. Sie verurteilte die fortgesetzte Zerstörung der Stadt Aleppo, ein UNESCO-Welterbe seit 1986.


Zwei Fliegen mit einer Klappe

Für die Aktivisten in Kafranbel sind die Plakate und Banner inzwischen ein integraler Bestandteil der syrischen Geschichte geworden, die es für künftige Generationen zu bewahren gilt. Hinter der Idee steht der 41-jährige Raed Fares. "Die Rettungsmaßnahme diente auch dazu, unsere Botschaft an die internationale Gemeinschaft weiterzugeben."

In Anbetracht der fortdauernden Bombenfeuer seien die Poster und Transparente in Syrien nicht sicher gewesen, erläutert Fares, der in Kafranbel lebt. "Wir kamen zu dem Schluss, dass es besser ist, sie alle in die USA zu bringen."

Latta unterstützt Fares, indem er die die Poster in den USA ausstellt. Sie wurden bereits in Indianapolis, Chicago, Atlanta und anderen Städten gezeigt. Die Reaktionen der Betrachter fallen unterschiedlich aus. "Oft sind die Menschen geschockt, oft nur überrascht", berichtet er. Die in arabischer und englischer Sprache kommentierten Bilder seien witzig und unmissverständlich - beides Gründe, warum sie auf große Resonanz stießen.

Die Plakate bedienen sich oft der Pop Art und spielen mit ihren Motiven auf Szenen aus Hollywoodfilmen an. Lattas liebster Cartoon zeigt Assad in einer dem Film 'Titanic' entlehnten, typischen Pose.

Die Originale sind unverkäuflich. Interessenten können Kopien erwerben. Bisher kamen über die Ausstellungen 650.000 US-Dollar zusammen, die humanitären Projekten in Syrien zugeführt werden. Für Ende Juli ist eine größere Ausstellung in New York geplant.

Doch die Plakate herzustellen und in die USA zu verbringen, ist nicht so einfach. Ihren Anfang nahm die Initiative, als Fares, der Medizin an der Aleppo-Universität studierte, mit dem Künstler Ahmad Jalal zusammentraf, der sich 2011 bereit erklärte, beim Plakatprojekt mitzumachen.


Wirken im Untergrund

Als Fares und Jalal mit der Arbeit begannen, war Kafranbel ein Kriegsschauplatz. Das Duo sah sich gezwungen, die Poster in einem provisorischen Zelt einige Kilometer von Kafranbel entfernt, herzustellen. "Assads Männer wussten Bescheid über das, was wir taten", so Fares. "Sie brannten unsere Häuser nieder und zerstörten alle Gebäude in dem Gebiet. Da wir uns versteckten, konnten sie uns nicht finden. Das ist der Grund, warum wir noch am Leben sind."

Da das Regime gegen jeden noch so kleinen Ausdruck des Protestes vorgeht, gewöhnten sich die Demonstranten an, die Transparente gleich nach ihren Aktivitäten zu vernichten. "Doch wir fanden, dass wir diesen Teil unserer Geschichte vor der Vernichtung retten müssten", erklärte Fares. Künftig wurden Transparente zunächst einmal versteckt.

Doch dann kam Fares zu dem Schluss, dass sie im Nachbarland Türkei am besten aufgehoben wären, bis sie in die USA weitergeschickt werden könnten. Die Poster wurden über die syrische Grenze geschmuggelt und von dort aus nach Illinois transportiert.

Als dann später die 20.000-Einwohner-Stadt Kafranbel von den Rebellen eingenommen wurde, eröffneten Fares und Jalal vor Ort ihr eigenes Büro. Im "Medienzentrum", einer lokalen Anlaufstelle für ausländische Journalisten, die mit Generatoren und Laptops ausgestattet ist, gehen sie nun ihrer künstlerischen Arbeit nach.

Fares filmt inzwischen die Demonstrationen, um mit dem Material die internationale Aufmerksamkeit auf die Lage in Syrien zu lenken. "Wir sind friedliche Demonstranten, die gegen die Unterdrückung kämpfen", sagt er. Man sei kein Kämpfer, stehe aber wie die Bevölkerung von Kafranbel auf Rebellenseite. Latta und Fares wünschen sich nichts mehr als einen Sieg der Rebellen, der das Ende von Assad besiegeln würde. Der Krieg hat nach UN-Angaben seit März 2011 fast 93.000 Menschen das Leben gekostet. (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/07/activists-preserve-a-part-of-syrias-revolution/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2013