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BERICHT/167: Kunst ist Arbeit (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2012

Kunst ist Arbeit
Ein proletarisches Plädoyer für den Elfenbeinturm

Von Henrike Terheyden (Mitarbeit von Azadeh Sharifi)



Wie können Kunst und Politik zueinander gedacht werden? Im Nachgang zur Ausstellung "Eine Art Aufruhr - Aktuelle Kunst in Position zu Politik" des stipendiatischen Arbeitskreises Kultur der FES klopfen die Autorinnen das Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik auf seine zeitgenössischen Bedeutungen hin ab und plädieren für ein Gesellschaftskonzept, das Kunst als Arbeit begreift.


Kunst und Politik sind nicht nur zwei Karten, die allzu häufig gegeneinander ausgespielt werden, sondern sind auch ein Begriffspaar, das gerade in der aktuellen Debatte um den Arbeitsbegriff innerhalb der so genannten "Kreativwirtschaft" eine immer wichtiger werdende Rolle spielt. Dabei taucht die Wendung von der "Autonomie der Kunst" immer wieder aus der Versenkung des künstlerischen Geniegedankens auf, der spätestens seit Schiller das westliche Verständnis des sich selbst Gesetze gebenden Künstlerindividuums prägt. Dass dieser Gedanke tief in den demokratischen Grundfesten verankert ist, zeigt nicht nur Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes: "Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." Doch was bedeutet dieses Diktum, das in fast jeder kulturpolitischen Publikation bemüht wird, auf die aktuelle Situation hin angewandt? Können wir noch von der Freiheit und damit auch von der Autonomie der Kunst sprechen, wenn das kapitalisierte Gesellschaftsmodell unserer Gegenwart eben diesen Gedanken von der Autonomie der Kunst als Ertragsbasis der Wertschöpfung begreift? Wie verheerend kann auf der Grundlage der zu beobachtenden Annäherung des "Systems Management" an das "System Kunst" die Engführung von Kunst und Politik sein? Oder ist gerade die direkte Begegnung von Kunst und Politik miteinander notwendig, um den hilflosen gordischen Knoten zu lösen, in den sich die Debatte manövriert hat?


Fragen einer Ausstellung

Diese Fragen bildeten den Ausgangspunkt für die Ausstellung "Eine Art Aufruhr - Aktuelle Kunst in Position zu Politik", die vom stipendiatischen Arbeitskreis Kultur der Friedrich-Ebert-Stiftung konzipiert und 2011 in Berlin realisiert wurde. Ziel der Ausstellung war es, substanzielle Fragen aus dem Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik zu thematisieren und zwar nicht nur durch eine theoretische Auseinandersetzung, sondern über die direkte Konfrontation mit künstlerischen Arbeiten, die sich entweder explizit mit der Fragestellung nach Kunst und Politik auseinandersetzen, oder sich deutlich von einer allzu eindeutigen Lesart zu distanzieren suchten. Im Laufe der Vorbereitung und Durchführung der Ausstellung wurde immer deutlicher, dass sich in der Fragestellung nach dem Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik eine Vielzahl von höchst verschiedenartigen Gedankensträngen bündelt und sich dann in ein weit verzweigtes Netz an Diskursen auffächert. Im Rückblick auf die Ausstellung wird umso deutlicher, wie vielfältig diese Stränge sind, in die sich der Diskurs um Kunst und Politik verzweigt, aber auch wie relevant die sich aufdrängenden Fragen für zeitgenössische Kulturpolitik und die Idee einer sozialen und demokratischen Gesellschaft sind.


Kunst und Politik - Eine nicht mehr existierende Dichotomie?

Die Frage nach dem Zusammenspiel von Kunst und Politik kann nicht außerhalb von gesellschaftlich relevanten Dynamiken und Diskursen verhandelt werden. Damit sei nicht gesagt, dass diese notwendigerweise immer die Kunst beeinflussen müssen. Doch sie bestimmen maßgeblich die Art, wie die Frage nach dem Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik gestellt wird. Der Diskurs um dieses Wechselverhältnis kann nicht fernab einer gesellschaftlichen Realität stattfinden, innerhalb derer er sich bewegt. Daher ist ein starker Fokuspunkt bei der Vor- und Nachbereitung einer Ausstellung zu Kunst und Politik, in welcher gesellschaftlichen Realität sich die zeitgenössische ästhetische Praxis bewegt. Es lohnt sich dafür einen Blick auf die Situation von Künstlerinnen und Künstlern zu werfen: Innerhalb der westlichen Kulturgeschichte ist die Künstlerfigur durch vielzählige Stadien des Wandels gegangen. Vom reinen Handwerker ist sie zur autarken Schöpferfigur mutiert, der auch der Zugang zu Transzendentalität nicht vollständig abgesprochen wurde. Im gleichen Atemzug, in dem die Figur des Künstlers von der des Arbeiters abgehoben wurde, positionierte man den Künstler an den Rand der Gesellschaft: Er wurde derjenige, der qua Amt in die Lage versetzt worden war, eine der materiellen Bedingtheit von Gesellschaft enthobenes Urteil über Formen von Gesellschaft zu fällen. Der französischen Wirtschaftswissenschaftlerin Eve Chiapello zufolge lässt sich dieses Urteil als "Künstlerkritik" bezeichnen. In ihr schlummert die alte Forderung nach unbedingter Autonomie der Kunst. Die Künstlerfigur vermag es, aus ihrer den Dingen entschwebten Position heraus ein autonomes Urteil über die gesellschaftliche Situation zu fällen, und damit auch ein politisches Diktum zu äußern. Sie ist also explizit von den Verstrickungen der Realpolitik getrennt. Doch was geschieht, wenn diese Realpolitik entdeckt, dass die "Künstlerposition" einen fruchtbaren Ausgangspunkt erstens für die Kapitalisierung von ideellen Werten und zweitens ein gutes Image abgibt? Die ehemals außenstehende Position der Kreativen wird nun dem System einverleibt; sie ist nicht mehr außen vor, sondern tief darin verstrickt, wie der französische Soziologe Luc Boltanski und Eve Chiapello in ihrer weitreichenden Studie Der Neue Geist des Kapitalismus gezeigt haben. Diese Beobachtung führt zu einem Problem: Die Kunst kann nunmehr weder von der Politik vollständig abgetrennt gedacht werden, noch als ihr unmittelbar zugehörig. Die Kunst scheint paradoxerweise gerade durch ihre Unabhängigkeit von Politik abhängig von ihr geworden zu sein.

Das heißt zunächst: Unternimmt man den Versuch, eine Ausstellung zum Thema Kunst und Politik zu machen, kann sich nicht mehr auf die alten Dichotomien verlassen werden. Diese Gegenüberstellung von Kunst und Politik (als entweder absolute Einheit oder als unbedingte Abgrenzung) kann vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte nicht mehr weiterführend gedacht werden. Von künstlerischer Praxis kann nicht mehr blind erwartet werden, sie sei die mögliche radikale Veränderung der Welt, in der wir uns bewegen. Auch wenn zeitgenössische Theoretiker wie der französische Philosoph Jacques Rancière eben genau das behaupten und dafür plädieren, Kunst als das zu verstehen, was die theoretische Veränderbarkeit von Realität aufzeigen kann.


Eine Art Aufruhr?

Das Wort "Politik" ist bis jetzt ohne weitere Befragung mitgeführt worden, und spätestens dadurch hat sich gezeigt, wie viele Facetten in ihm mitschwingen. Spricht man von einer spezifischen Ordnung oder, im Rancièrschen Sinne, von etwas, das die Dynamiken im immerwährenden Veränderungsprozess von Gesellschaft benennt, oder spricht man von einer politischen Haltung, wenn man das Wort "Politik" in Gegenüberstellung zu "Kunst" benutzt?

Diese Frage wird besonders brisant, wenn Künstler und Künstlerinnen, die allesamt durch die Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert werden, die Frage nach Kunst und Politik stellen. Wenn die künstlerische Arbeit immer im Rahmen der gesellschaftlichen Begebenheiten steht und diese den Politikbegriff mit gemeinsamen ideellen Inhalten füllt, kann dann eine Untersuchung zu Kunst und Politik überhaupt stattfinden? Ist sie nicht von Anfang an durch Einseitigkeit verflacht und verfälscht? Reicht die Verschiedenheit der Perspektiven, die die Künstlerinnen und Künstler mit und durch ihre künstlerischen Positionen einnehmen, um noch sagen zu können: Hier gehen nicht alle vom selben Standpunkt aus?

Dies sind Grundfragen der beteiligten Künstlerinnen und Künstler, die nicht einstimmig, sondern polyphon die Ausstellung prägten. Getreu ihrem Motto: "Eine Art Aufruhr", ein von Pablo Picasso entlehntes Zitat, sollte die Ausstellung keine Antwort geben, sondern vielmehr den Diskurs anregen, aufrühren, nachfragen. Picasso verweist mit seiner Aussage auf den rationalen wie emotionalen, möglicherweise aufrührerischen Effekt der Kunst auf das Individuum in der Gesellschaft. Im Kontext der Ausstellung wird das Zitat zu einer Selbstbefragung: Besitzen wir als Künstlerinnen und Künstler, die im Kontext einer politischen Stiftung eine Ausstellung konzipieren, überhaupt eine greifende Kritikkraft? Oder ist unsere Kritik eben nur "eine Art Aufruhr", das heißt: Ist sie auch schon kooptiert?

Das heißt also: Nicht nur muss bei einem solchen Thema wie dem von Kunst und Politik ein Auge auf die gesamtgesellschaftliche Situation von Künstlerinnen und Künstlern geworfen werden, sondern auch die eigene Position als eine, die geprägt ist von der unmittelbaren Situation, z.B. innerhalb einer Ausstellung, muss mit ins Blickfeld gerückt werden.


Kunst ist Arbeit!

In dem Maße, in dem sich während der Ausstellung immer mehr herauskristallisierte, dass sich Kunst und Politik weder als ärgste Feinde noch als Liebespaar in Beziehung zueinander setzen lassen, bleibt zu fragen, welche Positivbestimmungen über ihr Verhältnis zu finden sind. Außer der Absage an diese oder jene Wechselbeziehung muss es doch etwas geben, das aufgrund der gemachten Beobachtungen während der Ausstellung "Eine Art Aufruhr" sich positiv über das zeitgenössische Wechselverhältnis von Kunst und Politik formulieren ließe. Wenn künstlerische Produktion und ästhetische Praxis innerhalb der kulturpolitischen Debatte weiter weggerückt werden vom ewig währenden Geniepostulat der Moderne, tut sich ein weit größerer Raum für das Verständnis von Kunst als Arbeit auf. Jede Form von Erwerbstätigkeit ist immer stark sowohl an die Idee einer Gesellschaft von sich selbst geknüpft als auch an die reale wirtschaftliche Situation. Die Strukturen, aus denen sich Arbeitsverhältnisse ergeben, sind direkt im Herz einer Gesellschaft verankert. Die "proletarische" Kritik, die aus diesen Arbeitsverhältnissen heraus an dem System formuliert wird, ist immer relevant, weil sie die Grundwerte der sozialen Demokratie wie Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit fast automatisch mit einschließt. Weder das Verständnis der Künstlerfigur als außenstehendes (armes) Genie noch das des Schöpfers von monetären Werten aus dem absoluten Nichts ermöglicht eine selbstbewusste Positionierung von Künstlerinnen und Künstlern im politischen Raum. Erst wenn künstlerische Praxis als Arbeit begriffen wird, kann sie eine autonome Position im öffentlichen Diskurs und damit auch in der Politik einnehmen. Die Kunst ist niemals nur eine "Art" Aufruhr, sondern immer vollständiger Aufstand. Es ist an der im Diskurs festgelegten Platzierung von künstlerischer Praxis im politischen Raum, sie nicht zu etwas "Artigerem" werden zu lassen. Frei gegen Karl Valentin: Kunst ist Arbeit und macht nicht nur welche.


Henrike Terheyden (* 1984) hat Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis studiert und arbeitet derzeit als Zeichnerin und in der Kunstvermittlung. Sie war im Kuratorenteam der Kunstausstellung "Eine Art Aufruhr" des stipendiatischen AK Kultur.
(henrike.terheyden@yahoo.de)

Azadeh Sharifi (* 1980) hat Germanistik, Philosophie und Jura studiert und über kulturelle Partizipation von Migranten promoviert. Zurzeit ist sie beim Forschungsprojekt "Strukturwandel europäischer Theaterhäuser" des Internationalen Theaterinstituts (iTi) Zentrum Deutschland tätig. Bei der Ausstellung "Eine Art Aufruhr" war sie im Kuratorenteam.
(azadeh_sharifi@web.de)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2012, S. 73-77
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika und
Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2012