Schattenblick →INFOPOOL →KUNST → FAKTEN

BERICHT/104: Die Kultur, der Kommerz und das Image (DFG forschung)


forschung 1/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Kultur, der Kommerz und das Image

Von Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba, Dr. Alexa Färber und Dr. Cordula Gdaniec


Theater und Kunst, Musikszenen oder Subkulturen sind zu einem "harten" Standortfaktor für Metropolen geworden. Kulturwissenschaftler untersuchen am Beispiel von Berlin und Moskau, wie aus Kultur Kapital gemacht wird.


"Deutschland ein Sommermärchen": In Berlin stieß die Fußballweltmeisterschaft 2006 eine aufwändige Inszenierung der Stadt als Gastgeberin für "Freunde" aus der ganzen Welt an. In Moskau berieten währenddessen die Stadtoberen über eine neue Strategie für ein positives Image ihrer Stadt. Beides hing zusammen: In den weltweiten Ranglisten von Großstädten und ihrer Lebensqualität, die Unternehmensberater regelmäßig für internationale Touristen und Geschäftsleute veröffentlichen, belegt die russische Hauptstadt kontinuierlich einen der letzten Plätze, während Berlin stets unter den ersten 20 zu finden ist. Das negative Image Moskaus in den westlichen Medien, das vor allem auf ebenso abschreckende Visaprozeduren wie Kriminalitätsmeldungen zurückgeht, müsse endlich in ein "zivilisiertes Bild" verwandelt werden, sagt Bürgermeister Luschkow. Aber auch Berlin wirbt weiter für sein schon etabliertes Image als internationale Kulturmetropole mit Kunst- und Eventprogrammen. So investieren beide Städte auf jeweils unterschiedliche Weise in ein "urban Imagineering", also in eine strategische Imagepolitik, die versucht, die lokale Geschichte und die Architektur, die städtische Museumslandschaft und die Konsum- und Kulturszenen in ein für ein internationales Publikum möglichst attraktives Bild zu bringen. Vor allem die drei K "Kultur/Kreativität/Kunst" sollen das urbane Potenzial beschreiben, das die eigene Stadt unverwechselbar und zur wirklichen Metropole macht. Dabei geht es um harte Ökonomie und Politik. Denn Kultur und Kreativität gelten spätestens seit dem Bestseller des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Richard Florida "The Rise of the Creative Class" als Garant für eine effektive Standortpolitik. Floridas Bilanz, die er aus der Untersuchung US-amerikanischer Großstädte entwickelte, stellt die Bedeutung bestimmter sozialer und kultureller Gruppen für die Zukunftsfähigkeit der großen Städte in den Vordergrund. "Kreative Klasse" nennt er dabei Intellektuelle, medial und gestalterisch Berufstätige, insbesondere auch Angehörige der Technologieindustrien, vor allem aber Teile der ethnischen Minderheiten und auch die städtischen Schwulen- und Subkulturszenen. Allein deren Sichtbarkeit in der Stadt und deren wirtschaftliche wie kulturelle Aktivität, also deren "Kreativität", sei ausschlaggebend für ein zukünftig nachhaltiges ökonomisches Wachstum.

Das klingt eigentlich nach einem recht simplen und machbaren Erfolgsrezept. Für Kulturwissenschaftler und Kulturwissenschaftlerinnen allerdings liest es sich auch ein wenig blauäugig. Deshalb untersucht ein von der DFG gefördertes Forschungsprojekt mit dem Titel "Urbane Kultur und ethnische Repräsentation: Berlin und Moskau auf dem Weg zur 'world city'?" einerseits diese Kreativitätsthese Richard Floridas. Im Vergleich der so unterschiedlichen Städte Berlin und Moskau kann sich zeigen, ob sich dieses Programm tatsächlich auf alle großstädtischen Entwicklungsbedingungen anwenden lässt. Andererseits fragt es nach den besonderen sozialen und kulturellen Lebensbedingungen, die Migranten heute in beiden Städten in so ambivalenter Weise vorfinden. Dem zunächst einladenden "Lob der Vielfalt" und dem Flair der ethnischen Ökonomien und Gastronomien stehen immer nachdrücklicher abweisende Debatten um "Parallelgesellschaften" und islamische Fundamentalisten gegenüber. Der Status von Minderheiten wird so auch zum Spiegel von Selbstbildern. Mit einer Forschungsperspektive, die sich den sozialen Akteuren und ihren Lebenswelten annähert, vermag die Europäische Ethnologie damit Einblicke in die sozialen und kulturellen Mikrosysteme der Gesellschaft zu eröffnen.

Seit der Wende haben sich Berlin und Moskau wie nur wenige andere Großstädte politisch und kulturell neu positionieren müssen. Im Hinblick auf die Nutzung von urbaner Kultur verfolgen beide dabei offensichtlich unterschiedliche Strategien. Moskau versucht, seine Position als ökonomisches Zentrum - nun unter offensiv kapitalistischen Vorzeichen - zu erhalten oder auszubauen. Es trumpft daher mit dem Bau des höchsten Gebäudes Europas auf, stampft Wohn-, Verwaltungs- und Hotelkomplexe aus dem Boden, was einen Strukturwandel im Stadtzentrum zur Folge hat. Im Vergleich mit Berlin hingegen, das sich längst an zentraler Stelle auf der kulturellen Weltkarte als internationale "kreative Stadt" positioniert hat, öffnet Moskau der Kunst und Kultur nur langsam und zeitweise die Bühnen der Stadt.

Das hat auch historische Gründe. Denn in Moskau ist erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine stärkere internationale Vernetzung der russischen Kunstszene zu beobachten. Bestes Beispiel dafür ist "Art Strelka", ein informelles Galerienprojekt in den ungenutzten Garagen der Schokoladenfabrik "Roter Oktober" auf der Moskwa-Insel, direkt gegenüber der wieder aufgebauten Erlöserkirche. Die künstlerische Leiterin der Art Strelka beschreibt diesen neuen Raum als Moskaus "SoHo", in Anlehnung an das legendäre Künstlerviertel im südlichen Manhattan. Die Stadtregierung gibt dazu zwar ihre Zustimmung. Doch trotz der starken Resonanz auf diese künstlerische Zwischennutzung hat sie kein darüber hinausgehendes Interesse an einer langfristigen Präsenz von Kunst an diesem zentralen Ort. Sie strebt vielmehr die Umsiedlung der Fabrik an den Stadtrand an, um an dieser Stelle einen luxuriösen Wohn-, Büro- und Freizeitkomplex mit dem Namen "Goldene Insel" zu schaffen und damit Moskaus Ruf als wirtschaftliche "Boomtown" zu verstärken.

Berlin wiederum hat vor dem Hintergrund einer desolaten Wirtschaftsentwicklung Kultur längst als zentralen Wirtschaftsfaktor entdeckt: Theater und Kunst, Musikszenen, Mode und Wissenseinrichtungen als Antriebskräfte der sogenannten "creative industries" werden in der städtischen Selbstdarstellung deshalb strategisch vom "weichen" zum "harten" Standortfaktor. Zwar dominieren inzwischen die Klein- und Kleinstunternehmen, doch gerade diese Vielfalt der Kunst- und Kulturnetzwerke wirkt offen und attraktiv für Zuziehende wie für Besucher.

Auch die Berliner Verwaltung und das Stadtmarketing betonen diese Elemente als Image Berlins. Indem sie Kultur zur zentralen Ressource der Stadt erklärt haben, erfinden sie die "Kulturmetropole Berlin" und ihren Mythos neu: die Szenekulturen für die Jüngeren und die "Kreativen", die europäische Geschichts- und Kunstmetropole des 20. Jahrhunderts für die Bildungsbürger und die Touristen.

Zu diesem Konzept gehört auch die nachdrückliche Betonung herausragender kultureller Ereignisse einer "Popkultur" der Straßenumzüge der homosexuellen "Subkulturen" am Christopher Street Day, der "Love Parade" der jugendlichen Musikkulturen, der Inszenierung ethnischer Vielfalt im "Karneval der Kulturen". Diese Strategie hat auch zu einer Aufwertung der Migranten- und Minderheitenkulturen geführt. Sie bilden heute einen markanten "Attraktivitätsfaktor" Berlins und werden eben auch als wirtschaftliches Potenzial in das Profil der alten und neuen Kulturmetropole eingeschrieben. In Texten und Fotografien, in Filmen und Kunstproduktionen färben sie so Atmosphäre und Klima der Stadt neu ein. Dieses "tolerante Klima" Berlins gilt als ein entscheidendes Kriterium für Zuwanderer in die Stadt - für migrantische Minderheiten ebenso wie für internationale Touristen oder für Richard Floridas "Kreative". Diese ethnische Einfärbung wird auch im Kunstbetrieb thematisiert. Eine Fallstudie untersucht vor diesem Hintergrund, wie lokale internationale Künstler sich kritisch mit dem Motiv des "Fremden" in der Metropole auseinandersetzen. Andere schaffen neue kulturelle wie kommerzielle Berlin-Labels. Dazu passt auch, dass Berlin Anfang 2006 von der UNESCO zur "Stadt des Designs" gekürt wurde und sich gleich im Rahmen des Festivals "Designmai" stolz das Label "Designcity" anheftete. Die Kulturwirtschaft ist also selbst bereits Teil des "Produkts Berlin" geworden und die professionellen Akteure nehmen sich selbst längst in der Rolle der Repräsentanten Berlins wahr. Das ist "Imagineering".

Die Feldforschungen haben gezeigt, dass dies ein deutlicher Unterschied zu Moskau ist, das bis heute kaum mit seinem kulturellen Kapital wirbt. Im Unterschied zu Berlin ist die Stadt vor allem selbst (noch) nicht Gegenstand der Repräsentation. Der kulturelle Mehrwert, "Moskauer" Künstler, Designer oder Produkt zu sein, scheint eher selbstverständlich und ist kein Label. Hier beschäftigen sich Künstler kaum mit der Stadt selbst. Und die Thematik der ethnischen, religiösen oder sexuellen Vielfalt der großen Stadt taucht hier nur in wenigen Arbeiten auf. Gerade in dieser Hinsicht erscheint die Stadtöffentlichkeit noch als ein politisch hoch kontrollierter Raum, in dem der kulturellen Vielfalt oder gar kulturellen Gegensätzen nur wenige Darstellungsmöglichkeiten gegeben werden. Eher im Gegenteil: Im Mai 2006 etwa handelte sich die Stadt weltweit negative Schlagzeilen ein, als die Stadtregierung eine Gay Pride Veranstaltung verbieten wollte und die dann doch versammelten Teilnehmer nicht vor Angriffen rechter Aktivistengruppen schützte. Hier wurde verjagt, was in anderen Städten willkommen geheißen wird: Moskauer "Steinzeit-Imagineering"?

Für Berlin und Moskau gilt also: Kultur/Kunst/Kreativität werden immer wichtiger, aber doch stets in Abhängigkeit von globalen Konjunkturen wie von lokalen Ressourcen. Richard Floridas Momentaufnahme aus den USA lässt sich sicher nicht vollständig auf europäische Verhältnisse übertragen, weil die sozialen und kulturellen Bedingungen "vor Ort" genauer reflektiert werden müssen. Das städtische "Image" lässt sich nicht beliebig planen und stilisieren - auch wenn aus der Nebensache Kultur längst eine Hauptsache geworden ist, nicht nur in den großen Städten.

Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba
Dr. Alexa Färber
Dr. Cordula Gdaniec
Humboldt-Universität zu Berlin

Das Projekt wurde von der DFG im Normalverfahren gefördert.


*


Quelle:
forschung 1/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 14-17
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Kennedyallee 40, 53175 Bonn
Telefon: 0228/885-1, Fax: 0228/885-21 80
E-Mail: postmaster@dfg.de
Internet: www.dfg.de

"forschung" erscheint vierteljährlich.
Jahresbezugspreis 2007: 53,50 Euro (print),
59,50 Euro (online), 62,15 Euro für (print und online)
jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2007