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VORSICHT/012: Atom - durch die Maschen schlüpfen ... (SB)



Ende April lief ein ganz besonderes Schiff vom Stapel. Eigentlich handelt es sich dabei gar nicht um ein richtiges Schiff, sondern um eine schwimmende Plattform mit einer Länge von 150 Metern. Darauf stehen zwei Mini-Atomreaktoren. Von außen ist davon allerdings nichts zu erkennen, eher macht diese schwimmende Atomanlage den Eindruck eines Frachtschiffes. Beide Reaktoren sollen zusammen eine elektrische Leistung von 70 MW (Megawatt) erbringen, die ausreicht, um Strom, Wärme und entsalztes Trinkwasser für ca. 200.000 Menschen zu erzeugen.


Warum denn so klein?

Bisher wurden weltweit große und immer größere Atomkraftwerke gebaut, die es auf 1.300 bis 1.500 Megawatt bringen, und es gab beispielsweise in China den Trend zu noch riesigeren Atomanlagen. Zur Zeit sind mehr als 60 dieser großen Atomkraftwerke im Bau befindlich und zwar in China, Südkorea, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Russland, den USA, Indien, Finnland, Türkei und Frankreich. Da fällt es auf, dass sich viele Staaten in jüngster Zeit mit dem Bau von sogenannten Mini-Atomkraftwerken befassen.


Es ist dieser Anlage nicht anzusehen, dass sich darin kleine Atomkraftwerke befinden - Foto: 2008, by Felix [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Modell der Mini-Atomreaktor-Plattform
Foto: 2008, by Felix [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Die oben beschriebene schwimmende Plattform mit den beiden Mini-Atomreaktoren trägt den Namen "Akademik Lomonossow 1" und wurde in Russland gebaut. Bei den beiden Reaktoren handelt es sich um Small Modular Reactors, abgekürzt "SMR", was ungefähr so viel bedeutet wie "modular aufgebauter Reaktor" oder "Kleines Reaktormodul". Der Plan sieht vor, dass sie ab 2019 die Strom- und Wärmeversorgung der 4.000 Einwohnerstadt Pewek in Sibirien übernehmen sollen und auch die in der Umgebung befindlichen Minenbetriebe. Die "Akademik Lomonossow" soll in Landnähe verbleiben oder im Hafen liegen, damit sie von dort ans Stromnetz angeschlossen werden kann.

Aber nun zu der Frage, warum will man so kleine Anlagen bauen, wenn doch im ganzen Land bereits große Atomkraftwerke in Betrieb sind? Dafür gibt es unterschiedliche Gründe und einer der oft genannt wird, ist die Kostenfrage. Große Atomkraftwerke sind sehr, sehr teuer und ihr Bau nimmt manchmal 10 Jahre in Anspruch. Alle nötigen Materialien, die für die Konstruktion erforderlich sind, müssen oft von weit her herangeschafft werden. Dagegen können die kleinen Reaktoren praktisch in einer Fabrik als Bauteile oder Module gefertigt werden, die dann von dem Kunden bestellt, gekauft und abgeholt bzw. an ihn ausgeliefert werden. Dadurch ist es auch möglich, immer noch ein Modul hinzuzufügen und somit die Leistung der Mini-Atomanlage zu erhöhen. Das klingt gut, doch wurde errechnet, dass sich der Bau einer entsprechenden Fabrik erst dann richtig lohnen würde, wenn Bestellungen von 40 bis 70 solcher Mini-Atomreaktoren (SMR) vorlägen.

Doch ein anderer Grund wiegt viel schwerer. Es soll reiche Vorkommen an Öl und Gas in der Region um den Nordpol herum geben. Russland, natürlich auch die USA und viele andere Staaten haben ein großes Interesse daran, sich an der Ausbeutung zu beteiligen. Dazu bedarf es des Einsatzes von Maschinen. Auch müssen Unterkünfte für die Arbeiter und Wissenschaftler errichtet werden, und zudem ist für ihre Versorgung mit Essen und Trinken zu sorgen und der Bau von sanitären Anlagen ist unbedingt notwendig. Um all das zu verwirklichen wird Strom gebraucht. Außerdem hofft man, dass aufgrund des Klimawandels und der Eisschmelze weite Gebiete auftauen und Wasserwege frei werden, die es dann zu nutzen gilt. Hier kommen die schwimmenden Reaktoren zum Einsatz. Aber Russland hat auch im eigenen Land weite Gebiete, die nicht mit ausreichend elektrischer Energie versorgt sind und in denen sich zudem noch Bodenschätze befinden.

Die "Akademik Lomonossow" soll im Sommer 2019 in das Arktische Meer fahren und dort dem russischen Außenposten Strom und Wärme liefern, sowie Meerwasser entsalzen und damit für Trinkwasser sorgen. Dann steuert sie ihren Zielhafen Pewek in Sibirien an.


Sind die Mini-Reaktoren sicher?

Die Konstrukteure, die Techniker und die Betreiberfirmen sind selbstverständlich davon überzeugt, dass diese Kraftwerke sicher sind. Eine Katastrophe wie in Fukushima mit einer Kernschmelze könne nicht passieren, heißt es. So wird behauptet, dass Tsunamiwellen, die eine Anlage an Land schleudern würden, zu keiner radiologischen Bedrohung führen, also keine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen. Schäden an den Reaktoren, die bei Erdbeben der Stärke 10 entstehen würden, hätten keine radioaktiven Konsequenzen für Mensch und Umwelt. Das ist eine kühne Behauptung, denn man braucht sich nur vorzustellen, wie es nach einem Erdbeben in einer Region aussieht: dort steht kein Stein mehr auf dem anderen, alle Gebäude im Zentrum des Bebens werden zerstört oder vom Erdboden verschluckt und dem soll so ein kleines Kraftwerk standhalten? Von kritischer Seite wird bemängelt, dass diese Reaktoren über keine sehr robuste Schutzhülle verfügen und es durchaus sein kann, dass Radioaktivität auch unter normalen Bedingungen austritt.


Eingezeichnet sind die Orte an denen verschiedene Arten Atommüll versenkt worden sind - Foto: 2007, by Devil m25 at de.wikipedia [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Verklappung (entsorgen, versenken) von Atommüll bei Nowaja Semlja
Foto: 2007, by Devil m25 at de.wikipedia [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

An dieser Stelle sollen aber nicht die technischen Details des Betriebs beschrieben werden, die angeblich die Sicherheit der Reaktoren garantieren. Die atomaren Katastrophen, die sich bisher ereignet haben, und hier sind nur die größten genannt: 1957 in Majak (Russland), 1979 in Three Mile Island (USA), 1986 in Tschernobyl und 2011 in Fukushima zeigen deutlich, dass bei allen vorausgegangenen Beteuerungen bezüglich der Sicherheit der Atomanlagen, es diese Sicherheit nicht wirklich gibt. Nun könnte man sagen, dass bei einem Unfall in einem Mini-Reaktor nur eine bestimmte Region zerstört und radioaktiv belastet wird, doch ist das sicherlich kein Trost für die Menschen, die dort leben. Wie weit sich so ein Unfall auf Tiere, Pflanzen und Gewässer auswirken kann, ist nicht wirklich vorhersagbar.


Mini-Atomreaktoren sind keine neue Erfindung

Die Forschung an kleinen Atomreaktoren hat ihre Anfänge bereits in den 1950er Jahren. Damals wollte man hauptsächlich Schiffe und U-Boote mit Atomenergie betreiben. Die Reaktoren sollten sehr klein sein, denn in einem U-Boot ist nicht viel Platz. Gleichwohl mussten sie ausreichende Mengen elektrischer Energie liefern. Viele Staaten befassten sich mit dieser Entwicklung und Russland, die USA und Deutschland bauten atombetriebene Frachtschiffe sowie Atom-Eisbrecher. 1958 wurde die "Otto Hahn" als drittes Schiff der Welt, das mit Atomstrom angetrieben wurde, in Geesthacht vom Stapel gelassen. Als Frachtschiff transportierte es Erze und Getreide und steuerte viele ausländische Häfen an.


Ein großes, langes Frachtschiff, dem von außen nichts Ungewöhnliches anzusehen ist - Foto: 1970, Bundesarchiv, B 145 Bild-F031999-0006 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

Das deutsche Atomschiff (Frachter) "Otto Hahn"
Foto: 1970, Bundesarchiv, B 145 Bild-F031999-0006 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

In Russland haben Techniker und Wissenschaftler eine Menge Erfahrung mit dem Bau von kleinen Atom-Reaktoren, die in U-Booten eingebaut wurden. Die Idee, Mini-Atomreaktoren auf eine Plattform zu installieren, die dann an entlegene Orte gebracht werden kann, liegt nahe. Allerdings zeigt ein Blick auf die Unfälle, die bis heute in russischen und amerikanischen Atom-U-Booten vielen Menschen das Leben kostete, dass es sich keineswegs um eine sichere Möglichkeit der Energieerzeugung handelt. (Um nur ein paar Beispiele zu nennen: 1961 Russland: acht Menschen sterben, 1968 Russland: 90 Männer kommen ums Leben, 1968 USA: 99 Mann Besatzung finden den Tod, 1970 Russland: Atom-U-Boot sinkt mit 88 Mann, 1983 Russland: im Atom-U-Boot vor Kamtschatka stirbt die gesamte Bootsbesatzung). Die havarierten Atom-U-Boote liegen als gefährlicher Atommüll auf dem Meeresgrund, wo sie immer noch eine Gefahr darstellen.


Die Grafik zeigt eine Skizze des U-Boots und die Wassertiefe von 108 Metern, in die es gesunken ist - Foto: 2012, by Joe MiGo [CC0], from Wikimedia Commons

Das Atom-U-Boot ist am 12.August 2000 gesunken, 112 Mann Besatzung starben
Foto: 2012, by Joe MiGo [CC0], from Wikimedia Commons

Die Unfälle entstanden durch unvorhersehbare Ketten von Ereignissen, führten zum Ausströmen von Radioaktivität, zu Explosionen oder anderen Fehlfunktionen, die die Schiffe mit Mann und Maus untergehen ließen. Auch in Fukushima war man überzeugt von der Sicherheit der Atomanlage und niemand rechnete mit dem Zusammentreffen von Erdbeben und Tsunami in der Größenordnung und der Gewalt, die dann zu der größten und schwersten atomaren Katastrophe führte: einer dreifachen Kernschmelze!

Wenn jetzt die "Akademik Lomonossow 1" tatsächlich 2019 ihren Betrieb aufnimmt und dieses Beispiel Schule macht, weil auch andere Staaten, wie beispielsweise die USA, Interesse an der Erschließung der Öl- und Gasvorkommen am Nordpol haben, ist abzusehen, dass immer weitere Länder sich dem Bau der Mini-Atomreaktoren widmen.

Die Gefahr einer radioaktiven Verseuchung der Polarregionen, die bislang noch relativ verschont geblieben sind, weil sie schwer zugänglich sind, nimmt mit jedem weiteren Atomreaktor zu.


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/atomkraft-mini-kraftwerke-in-der-eu-was-kommt-da-auf-uns-zu-a-1093128.html

https://deutsch.rt.com/international/69201-tschernobyl-auf-eis-russlands-schwimmendes-atomkraftwerk-versetzt-westen-in-angst-und-schrecken/

https://de.sputniknews.com/panorama/20150821303929930/

http://www.deutschlandfunk.de/kleine-akws-vom-fliessband-schoene-neue-reaktorwelt.740.de.html?dram:article_id=39053



5. Juni 2018


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