Schattenblick → INFOPOOL → KINDERBLICK → NATURKUNDE


VORSICHT/005: Fukushima wie Tschernobyl - Ein gefährliches Versprechen (SB)


Ein Atomkraftwerk und die Gefahren


Wie entsteht Elektrizität in einem Atomkraftwerk?

Ein Atomkraftwerk gehört zu den Wärmekraftwerken, das heißt, durch das Erhitzen von Wasser wird Wasserdampf in großen Mengen erzeugt. Als Brennstoff können Kohle, Steinkohle, Öl oder Gas benutzt werden. Diese Stoffe werden direkt verbrannt und mit der dabei entstehenden Hitze wird Wasserdampf erzeugt. In einem Atomkraftwerk hingegen findet keine gewöhnliche Verbrennung statt. Die Hitze entsteht auf andere Weise.


Wie wird die Hitze im Atomkraftwerk erzeugt?

Im Reaktorkern eines Atomkraftwerkes befinden sich die Brennstäbe. Jeder einzelne dieser Stäbe ist aus vielen kleinen sogenannten Pellets zusammengefügt, die aus einer Uranmischung bestehen, der manchmal auch noch Plutonium zugefügt wird. Übereinander gestapelt werden sie zu einem langen Brennstab und von einer Hülle umgeben. Dieses Hüllrohr muss sehr fest und hitzebeständig sein. Um die Brennstäbe besser handhaben zu können, werden mehrere davon zu Brennelementen zusammengefügt. Es ist absolut notwendig, dass zwischen den einzelnen Brennstäben stets ein bestimmter Abstand vorhanden ist, denn sie müssen aus zwei Gründen immer von Wasser umspült werden: zum einen nimmt das Wasser die entstehende Hitze auf und trägt dadurch gleichsam zur Kühlung bei; zum zweiten bremst das Wasser die Geschwindigkeit der Neutronen ab, denn nur dann kann eine Kernspaltung stattfinden. (Eine genaue Erklärung folgt weiter unten).

Die Brennelemente, in entsprechender Weise angeordnet, bilden den Reaktorkern. Er wird von dem Reaktordruckbehälter umschlossen, der aus 20 bis 25 cm dickem Stahl besteht, da er dem gewaltigen Druck und der enormen Hitze standhalten muss. Das Wasser, das die Hitze, die in den Brennelementen im Verlauf der Kettenreaktion entstanden ist, aufgenommen hat und somit sehr, sehr heiß geworden ist, wird unter hohem Druck zu Wasserdampf. Dieser heiße Dampf wird ebenfalls unter hohem Druck auf die Turbinen geleitet, wodurch diese in eine sehr schnelle Drehbewegung versetzt werden. Der Nachteil dabei ist, dass mit dem Wasserdampf auch radioaktive Partikel transportiert und zur Turbine geleitet werden. Damit besteht eine Verbindung zu dem Teil des Atomkraftwerkes, in dem eigentlich auf ganz gewöhnliche Weise Strom erzeugt wird und Radioaktivität nicht vorkommen sollte. Das wird aber in Kauf genommen, und so darf während des Betriebs dieser Bereich nicht betreten werden oder nur kurzzeitig mit Schutzanzügen. Dieses Verfahren wird in einem sogenannten Siedewasserreaktor angewendet. Der Name dieses Reaktortyps weist darauf hin, dass hier mit siedendem Wasser gearbeitet wird.


Foto: 2004-2011, by Robert Steffens, SVG: Marlus Gancher, Antonsusi [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

In der Skizze wird die Funktionsweise eines Siedewasserreaktors dargestellt
Foto: 2004-2011, by Robert Steffens, SVG: Marlus Gancher, Antonsusi [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons


Was geschieht in den Brennstäben?

Die Brennstäbe enthalten den Kernbrennstoff, der aber nicht so einfach verfügbar ist. Er muss aus einer genau bemessenen Mischung von Uran-238 und Uran-235 bestehen. Aber das natürlich vorkommende Uranerz, das im Bergbau abgetragen wird, besteht nur zu 0,73 Prozent aus Uran-235 und zu 99,27 Prozent aus Uran-238. Bereits die Herstellung dieses Brennstoffes birgt Gefahren. Die Bergarbeiter, die das Uran abbauen, sind währenddessen radioaktiver Strahlung ausgesetzt und viele von ihnen erkranken in der Folge davon an Krebs. Würde man allerdings dieses Uran so wie es ist in Brennstäbe einbauen, käme keine Kernspaltung zustande, denn die eigentliche Kernspaltung, bei der die gewünschte Energie frei wird, findet nur in dem in geringer Menge vorhandenen Uran-235 statt. Deshalb ist es erforderlich, das Uran anzureichern, bis der Brennstoff schließlich zwischen 2 bis 3,5 Prozent Uran-235 enthält. Man muss also, um ein Kernkraftwerk überhaupt in Betrieb nehmen zu können, zuvor extra eine Fabrik errichten, eine Urananreicherungsanlage, in der der Brennstoff für das Atomkraftwerk herstellt wird.

Beim Anschalten eines Atomkraftwerkes wird ein Neutronenbeschuss ausgelöst. Dabei dient ein Gemisch aus Radium, Polonium, Plutonium, Americium und Beryllium als Neutronenquelle. Von ihm werden Neutronen mit sehr hoher Geschwindigkeit ausgesandt, die erst wieder abgebremst werden müssen, damit sie eine Kernspaltung auslösen können. Das geschieht durch das Wasser, das die Brennstäbe umfließt. Es heißt, das ein Neutron mit einer bestimmten Geschwindigkeit einen Kern des Uran-235 in zwei Teile spaltet. Dabei werden eine Menge Energie wie auch einige Neutronen abgegeben. Diese Neutronen treffen wieder auf andere Uran-235-Kerne und spalten sie ebenfalls. Kettenreaktion nennt man diesen Vorgang, bei dem es zu einer enormen Energiefreisetzung in Form von Hitze kommt.


Ein Atomkern wird mit Neutronen beschossen, zerfällt dadurch in zwei Teile, wobei Energie frei wird sowie weitere Neutronen - Foto: 2009, by User:Stefan-Xp derivative work: Wondigoma (Kernspaltung.png) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Die schematische Darstellung zeigt, wie ein Atomkern gespalten wird
Foto: 2009, by User: Stefan-Xp derivative work: Wondigoma (Kernspaltung.png) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) ], via Wikimedia Commons

Das Hüllrohr, das die Brennstäbe umgibt und sie sozusagen in ihrer Form halten soll, ist enormen Belastungen ausgesetzt. Es muss der großen Hitze standhalten und darf für Gase nicht durchlässig sein. Denn radioaktive Spaltprodukte, die während einer Kettenreaktion frei werden, treten oft gasförmig auf. Es soll verhindert werden, dass sie an die Umgebung, also auch an das Wasser und den gesamten Reaktorkern, abgegeben werden. Das Hüllrohr besteht aus Zirkonium, das sehr beständig ist, aber trotzdem während des Betriebes irgendwann undicht wird. Denn durch die hohen Temperaturen und den ständigen Neutronenbeschuß ermüdet auch dieses Material, so dass Radioaktivität freigesetzt wird. Deshalb müssen beschädigte Brennstäbe ausgewechselt werden. Das ist sehr gefährlich, denn die Brennstäbe sind jetzt hoch radioaktiv. Man kann sie nicht anfassen. Nur mit Hilfe von Roboterarmen und anderen technischen Vorrichtungen können die Brennstäbe im sogenannten Reaktorkern ausgewechselt und montiert werden.


Die Grafik zeigt schematisch den inneren Aufbau eines Atomkraftwerks - Foto: 2011, by NRC (http://www.nrc.gov/reactors/generic-bwr.pdf) [Public domain], via Wikimedia Commons

Innerer Aufbau eines Atomkraftwerks
Foto: 2011, by NRC (http://www.nrc.gov/reactors/generic-bwr.pdf) [Public domain], via Wikimedia Commons


Wie kann es zu einer Überhitzung der Brennelemente und zu einer Kernschmelze kommen?

Sollte es durch eine Fehlfunktion oder einer starken Beschädigung des Kraftwerkes zu einer starken Überhitzung der Brennstäbe kommen, kann das Zirkonium des Hüllrohrs mit dem Wasserdampf chemisch reagieren. Dabei entsteht explosiver Wasserdampf und es kann zu Wasserstoff-Explosionen kommen. In Tschernobyl und Fukushima trugen derartige Explosionen zur Katastrophe bei.

Zu einer starken Überhitzung kommt es, wenn die Brennstäbe nicht mehr vom Kühlwasser umspült werden, die Brennstäbe sich so stark erhitzen, dass sie schmelzen. Dabei wird eine unvorstellbare Menge an radioaktiver Strahlung freigesetzt, die an Material, Luft und Wasser abgeben wird. Man spricht von einer radioaktiven Verstrahlung oder radioaktiven Verseuchung. In der Fachsprache heißt es, dass Luft, Wasser oder Boden radioaktiv kontaminiert sind. Alles in der Umgebung der schmelzenden Brennstäbe schmilzt ebenfalls. Die gesamte heiße Masse macht auch vor dem Reaktorkernbehälter nicht halt und dringt selbst durch den Schutzbehälter, der den Reaktordruckbehälter umschließt, in den Boden und, wie in Fukushima, dann auch ins Meer. In der Atomkraftwerksanlage Daiichi in Fukushima fand gleich in drei Reaktoren eine solche sogenannte Kernschmelze statt. Sie gilt als Super-Gau, als riesige Katastrophe. Diese geschmolzene Masse, auch Corium genannt, gibt unentwegt radioaktive Strahlung ab.

Will man ein Atomkraftwerk abschalten, um zum Beispiel Wartungsarbeiten durchzuführen oder die Brennelemente zu wechseln, muss die Kettenreaktion gestoppt werden. Hierzu werden Kontrollstäbe (Steuerstäbe) zwischen die Brennstäbe geschoben. Sie nehmen nun die Neutronen auf, die ansonsten die Kernspaltung auslösen. Die Kettenreaktion klingt ab. Sollte es einmal nicht möglich sein, die Steuerstäbe auszufahren, könnte Borsäure die Kettenreaktion auch unterbrechen.

Die oft schadhaften ausgewechselten Brennstäbe sind noch sehr lange extrem heiß und müssen ca. 1 bis 5 Jahre lang ständig gekühlt werden, bis sie eine Temperatur von 400 - 500°C erreicht haben. Dazu werden sie in ein Abklingbecken mit kaltem Wasser verfrachtet, das sich auf dem Atomkraftwerksgelände befindet. Erst wenn die Brennstäbe auf diese Temperaturen herunter"gekühlt" worden sind, können sie in einem Castor-Behälter verladen werden (CASTOR = Cask for storage ans transport of radioactive material, übersetzt: Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials). In einem solchen CASTOR-Behälter sollen sie dann in ein Endlager gebracht werden, das es aber überhaupt noch nicht gibt.


Ohne Strom funktioniert gar nichts in einem Atomkraftwerk

Eine ganz große Gefahr beim Betrieb eines Atomkraftwerkes liegt in der Tatsache begründet, dass alle Funktionen und Kontrollsysteme vom Strom abhängig sind. Fällt, wie in Fukushima geschehen, die Stromversorgung ganz und gar aus, funktionieren auch keine Sicherheitssysteme, keine Kontrollanzeigen und ähnliches mehr. Es gibt selbstverständlich Notstrom-Vorrichtungen, die mit Diesel betrieben Strom erzeugen können, oder Batterien. Das Notkühlsystem würde zwar ohne Strom funktionieren, aber es muss per Hand geöffnet werden. Doch wenn eine gesamte Kraftwerksanlage überflutet oder durch ein Erdbeben ganz und gar zerstört wird, funktionieren auch die gesamten Zweit- und Drittsicherungen nicht mehr. Die Brennstäbe erzeugen weiterhin eine gewaltige Hitze und es kommt auf jeden Fall zu einer Kernschmelze, was für Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt eine riesige Katastrophe ist, die noch Jahrzehnte und Jahrhunderte durch die radioaktive Strahlung nachwirkt. Auch in Japan war man davon überzeugt, alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben. Aber niemand hat mit einem Erdbeben der Stärke 9 und einem Tsunami mit einer Wellenhöhe von 10 Metern gerechnet.


Im nächsten Teil: Die Auswirkungen auf Mensch, Tier, Pflanze, Meer und Luft


Anmerkung

Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

TV-Dokumentation: "Fukushima - Chronik eines Desasters"
Dokumentation, Japan, 2012
Regie: Steve Burns
50 Min.

http://www.kernenergie.ch/de/so-funktioniert-ein-kernkraftwerk-_content1--1254--345.html

http://www.br.de/nachrichten/atomkraft_soschaltetmanab100.html

http://www.countdown2021.de/galerie/-/show/1127/Wie_funktioniert_ein_Atomkraftwerk/

https://www.energie-lexikon.info/brennelement.html

https://www.energie-lexikon.info/brennstab.html

http://www.technikatlas.de/~tc9/kernspaltung.html

25. Mai 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang