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PFLANZEN/049: Baumschicksal - der Markt frißt Wunder ... (SB)



Bäume werden oft in ihrer Bedeutung für unser Leben unterschätzt. Unser Wissen über ihre Eigenheiten, Fähigkeiten und Wirkweisen sind meist nicht besonders weitreichend. Schenken wir ihnen ein wenig Aufmerksamkeit und erkennen, dass sie zu den ehrwürdigen Lebewesen auf unserer Erde zählen, denen wir viel zu verdanken haben, denn sie bringen in großer Zahl wirklich wunderbare Wirkungen hervor. Über einen ganz besonderen Baum, den man fast schon als Wunderpflanze bezeichnen kann, soll hier berichtet werden: der Neembaum.


Abgebildet ist ein dicker, rötlichbrauner, relativ kurzer und verzweigter Stamm mit Blätterdach - Foto: 2004, by EricPoehlsen [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Ein alter Neembaum
Foto: 2004, by EricPoehlsen [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons


Die Heimat dieses Baumes ist Indien, Pakistan und Burma, dort wo er ein tropisches oder subtropisches Klima vorfindet. Doch aufgrund seiner vielen Vorzüge wurde er mittlerweile auch in anderen Regionen angesiedelt und so findet man ihn auf dem afrikanischen, dem asiatischen, dem amerikanischen und dem australischen Kontinent. Ebenfalls ist er auf einigen pazifischen Inseln heimisch geworden.

Der Neembaum ist ein schnell wachsender, fast immergrüner Baum. Er kann 15 bis 20 Meter hoch werden, einige sollen es sogar auf 35 bis 40 Meter gebracht haben, allerdings bei besten Bedingungen, wie einer Temperatur um die 32 Grad Celsius und einem gut durchlässigen Boden. Ein Neembaum kann ungefähr 200 Jahre alt werden. Auffällig ist seine Wuchsform, denn sein Stamm ist mit seinen 3 bis 3,5 Metern Höhe eher kurz, seine Baumkrone dagegen kann sehr ausladend sein und rund oder oval geformt einen Durchmesser von ca. 10 bis 15 Metern erreichen. Um mit Hitze und Trockenheit gut zurechtzukommen, entwickelte sich eine starke Hauptwurzel, die fast doppelt so tief in die Erde reicht wie der Baum hoch ist. Damit kann er tiefere Wasserschichten erreichen. Im weiter oben gelegenen Erdreich erstreckt sich zudem ein weitverzweigtes Wurzelgeflecht, so dass der Neembaum die Niederschläge, die in den Boden dringen, optimal nutzen kann. Auf diese Weise ausgerüstet, wächst er auch in Regionen mit einer durchschnittlichen Jahresniederschlagsmenge von 400 bis 1200 mm und selbst dort, wo es noch länger trocken ist, kann er überleben, wenn genügend Grundwasser vorhanden ist. Bei extremer Hitze wirft er seine Blätter ab, um seinen eigenen Wasserverbrauch zu verringern - der Bedarf des Blattwerks entfällt - und sich somit vor dem Austrocknen zu schützen.


Stamm, Äste und Zweige sind noch dünn, das Blätterdach wirkt fein verästelt und die zarten Blätter bilden ein lichtdurchlässiges Blätterdach - Foto: 2004, by pinay06 [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Ein junger Neembaum
Foto: 2004, by pinay06 [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons



Der Neembaum als Retter der Böden

Ob auf nahrhaften, guten Böden oder auf sandigen, nährstoffarmen, wenn das Erdreich einigermaßen durchlässig ist, wächst der Neembaum so gut wie überall schnell. Innerhalb eines Jahres erhebt er sich bereits 4 Meter hoch über den Boden. Sein Wurzelsystem und sein Blätterdach als Schattenspender wirken beide belebend auf die Bodenkultur. In Gebieten, in denen Bäume und Sträucher gerodet wurden, um landwirtschaftliche Flächen zu gewinnen, kommt es in relativ kurzer Zeit zur Austrocknung der Böden, wie auch zur Zerstörung der Bodenstruktur, einhergehend mit einer Verringerung der Bodenorganismen. Erosion ist die Folge. Hier kann der Neembaum als Retter in der Not angepflanzt werden, denn er befestigt nicht nur das Erdreich, sondern bietet zudem durch seine robuste Statur relativ bald einen guten Windschutz. Zudem nimmt er besonders effektiv Kohlendioxid (CO2) aus der Luft auf und speichert es sowohl in seiner Biomasse, wie auch im Boden. Da liegt die Idee nahe, diesen Baum sozusagen als "Bodenretter" oder "Bodenerneuerer" einzusetzen und ihn in großer Zahl in Gegenden anzupflanzen, deren Böden durch Erosion, Austrocknung oder Überbeanspruchung ausgelaugt und zerstört wurden.


Gelblich weiße Blüten verteilen sich zahlreich an den Zweigen, umgeben von vielen grünen Blättern - Foto: 2009, by J.M.Garg [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Neembaum mit Blüten
Foto: 2009, by J.M.Garg [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons



Neembaum als Nahrungsspender und "Apothekenbaum"

Ein weiterer Vorteil des Baumes ist, dass er nicht nur schnell wächst, sondern auch bereits nach ca. 4 Jahren Früchte trägt - und die haben es in sich. Sie enthalten unter anderem die Substanz Azadirachtin, die als Insektizid wirkt. Doch das ist nur eine unter vielen verschiedenen Stoffen, die in dem Baum, also in seinen Blättern, seiner Rinde, seinem Holz, seiner Frucht wie auch in den Samen und der Wurzel vorkommen und die zusammen sozusagen einen Rundumschutz für den Baum bilden.

In Indien weiß man schon seit über 4500 Jahren von den Besonderheiten des Neembaumes und auch wie man die verschiedenen Pflanzenteile nutzen kann. Die reifen Früchte werden ausgepresst. Das dabei ausfließende Öl wird aufgefangen und vielseitig verwendet. Es kann als natürliches Pestizid (Pflanzenschutzmittel) eingesetzt werden, zur Bekämpfung und Vorbeugung gegen Insekten, Nematoden, Milben und Pilzen. Sogar in der Kosmetikherstellung und der Naturheilkunde kommt es zum Einsatz. Der Presskuchen, also der Rückstand, der bei der Ölauspressung entsteht, findet als Düngemittel oder Viehfutter Verwendung. Das Öl wird sogar häufig noch als Lampenöl verbrannt, aber es wird auch zum Schutz des Viehs vor Zecken, Läusen und Flöhen eingesetzt. Dies ist nur ein kleiner Überblick über die Verwendung der verschiedenen Substanzen des Neembaums, wobei noch angemerkt werden soll, dass viele seiner ca. 100 verschiedenen chemischen Substanzen trotz jahrzehntelanger Forschung noch nicht vollständig in ihren Wirkungen erkannt worden sind.


Die zartgrünen, etwa bohnenförmigen Früchte hängen zahlreich zwischen den ähnlich gefärbten Blättern und sind gut getarnt, jedoch vor dem Papagei, der gerade zwei in seinem Schnabel hält, nicht sicher - Foto: 2009, by J.M.Garg [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Neembaum-Früchte
Foto: 2009, by J.M.Garg [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons


Das Holz ist besonders als Bauholz begehrt, da es aufgrund seiner Inhaltsstoffe von Termiten nicht angegriffen wird und eine Resistenz von ca. 20 Jahren gegen diese Insekten aufbringt. Im Schiffs- und Möbelbau wird es verwendet und selbst Küchenutensilien fertigt man daraus an. Allerdings findet es auch als Brennmaterial beim Kochen Verwendung. Die Blätter bleiben zu einem Teil als Mulchdecke auf den Feldern liegen und tragen ebenfalls zur Bodendüngung bei.

Samen, Rinde, Blätter und Wurzeln des Neembaus verarbeitet man zu medizinischen Mitteln, viele der in ihnen enthaltenen Substanzen wirken antibakteriell und helfen auch gegen Viren und Pilze. Bewährt haben sich die hergestellten Arzneien unter anderem gegen Krätzmilben, Läuse und Zecken. Zudem ist ihnen oft eine entzündungshemmende und wundheilende Wirkung eigen. Sie können auch als Beruhigungs- und Herz-Kreislaufmittel Verwendung finden. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Einsatzgebiete im medizinischen Bereich, doch soll das hier als Einblick genügen. Noch erwähnenswert ist, dass nicht zuletzt Neemzweige von vielen Millionen Indern als Zahnbürste benutzt werden.


Die Samen sind etwa mandelförmig oval und hellbraun, ihre Oberfläche ist leicht rau - Foto: 2015, by Muséum de Toulouse [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Samen des Neembaums
Foto: 2015, by Muséum de Toulouse [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons


Von großer Bedeutung ist die Wirkung als Insektizid, denn so können die vielen Nahrungspflanzen effektiv vor Blattläusen, Käfern, Wanzen, Mücken, Raupen, Maiszünslern, Motten, Termiten, Nematoden, Fadenwürmern und Pilzen geschützt werden. Da es auch noch als Wachstumshemmer wirkt, also die Entwicklung von Larven verhindert, wie auch die Eiablage bestimmter Insekten stört, kann eine Mückenpopulation verringert und somit die Ausbreitung von Malaria- und Denguefieber - Krankheiten, die durch Mücken übertragen werden - eingeschränkt werden.


Die Ausbeutung einer Pflanze

Gerade seine vielseitige Verwendbarkeit könnte diesem Baum zum Verhängnis werden oder aber zu seiner weltweiten Verbreitung führen. Zum einen sind große Firmen daran interessiert, einzelne Wirkstoffe des Neembaums zu patentieren, das heißt, sie beantragen und erwerben eine Patentschrift und können damit anderen die Benutzung dieses bestimmten Stoffes verwehren oder gegen Bezahlung genehmigen. Es regt sich seit langem Widerstand gegen die Patentierung von Lebewesen.

Andererseits könnte der Baum aufgrund seiner vielseitigen Eigenschaften, Fähigkeiten und Nutzungsmöglichkeiten in den unterschiedlichsten Regionen der Erde, sofern die Temperaturen dort nicht unter 5°C sinken, eingesetzt werden, um kaputte Böden zu sanieren. Außerdem hätten die dort lebenden Menschen direkten Nutzen von diesem Baum. In Indien wird er schon seit vielen tausend Jahren hoch geschätzt, da man dort weiß, was man ihm zu verdanken hat, weil er ihnen durch seine vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten das Überleben erleichtert.

Zu Bedenken bleibt noch, falls dieser Baum in Monokulturen angepflanzt werden sollte, ob dann seine effizienten Wirkungen gegen Nematoden, Fadenwürmer, Milben oder Pilze in der Menge nicht eher schädlich wirken. Schließlich handelt es sich bei diesen kleinen Lebewesen um Bodenorganismen, die in der Bodenstoffwechselleistung eine Rolle spielen. Auch müsste geprüft werden, welche Insekten unter den Stoffen des Baumes leiden oder sogar sterben, denn eine großflächige Vernichtung bestimmter Insekten, beispielsweise der Bestäuber-Insekten, könnte wiederum zu ungeahnten Folgen für Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt führen. Bei allem Lobgesang auf diesen wunderbaren Baum sollte nicht vergessen werden, dass er all diese vielen Stoffe in sich trägt, um sich selbst zu schützen und nicht, um als patentierte Pflanze Eigentum von großen Unternehmen zu werden, die Arzneien auf der Basis der Neembaum-Substanzen herstellen und verkaufen.


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

https://www.kraeuter-und-duftpflanzen.de/pflanzen-saatgut/nachtkerze-noni/n-einzelsorten/neem-niembaum-pflanze

http://plan-verde.org/neembaeume-fuer-die-zukunft/

http://indienheute.de/der-neembaum-in-indien-umkampfte-biologische-schatzkiste-2/


12. April 2019


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