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ELTERN/278: Buchbesprechung - "Warum Vampire nicht gern rennen" von Holm Schneider (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 99 - 3. Quartal 2011
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Über Vampire und Prinzessinnen

Buchbesprechung von Dr. Maria Overdick-Gulden


Kürzlich erschien im Stachelbart-Verlag ein Kinderbuch, das voller Wärme und Zuneigung von Menschen erzählt, die ein wenig anders sind. Ein Buch, das für Kinder und Erwachsene gleichermaßen von Gewinn ist und das »LebensForum« deshalb außerhalb des Bücherforums vorstellt.


Das aus der Lebenswirklichkeit entstandene Buch des Kinderarztes an der Klinik Erlangen Professor Holm Schneider, der sich außerberuflich in einem Sportverein für Menschen mit Down-Syndrom (DS) und der Selbsthilfegruppe »Ektodermale Dysplasie« engagiert, erzählt von zwei besonderen Kindern. Die Kurzgeschichte von Flo und Carolin entstand wie manche seiner Sachbücher und »Geschichten« auf einer längeren Bahnreise. Zunächst für Kinder geschrieben, lässt es auch den Erwachsenen nicht unberührt. Sprechende Fotos machen mit den beiden Hauptdarstellern und dem Doktor Riedmayr bekannt, der schon mal »Jagd macht auf Kinder wie Carolin« - das sind solche mit dem DS -, wie Carolins Mutter weiß.

Ist das überhaupt eine Kurz-Geschichte? So nachhaltig, wie sie den Leser zu beeindrucken vermag? Für den bei seinem Waldspaziergang gestolperten und jetzt gehunfähigen Doktor, für den die beiden »Behinderten« alles Notwendige tun, jedenfalls nicht! Er, der Herr Doktor, hat dazugelernt: Er würdigt den selbstlosen Einsatz seiner beiden Helfer mit dem Aushang des ihn und die beiden Retter betreffenden Zeitungsartikels in seinem Wartezimmer! 'Inklusion im Herzen' könnte man das Ergebnis nennen, die hier nicht von fürsorglichen Pflegern, sondern von der 'beherzten' Initiative der beiden behinderten Kinder selbst besorgt wird. Sie verstehen sich als Mit-Mensch, obgleich sie in Schule und Gemeinde weitgehend ausgegrenzt, mit anderen Worten 'exkludiert' waren. Was sich nach ihrem wackeren Eingreifen total wandelt.

Das Buch ist als Lektüre für jedermann dienlich in einer Zeit, in der »schwerwiegend« behindernde Gene Anlass zu vorgeburtlicher tödlicher Selektion werden können. Würde dieser Flo mit seiner Ektodermalen Dysplasie, der die unmittelbare Sonneneinwirkung und das Schwitzen lebenslang meiden muss, von einem Reproduktionsmediziner heute genetisch vielleicht als Indikationsfall ins Visier genommen und gesellschaftlich ausgeschlossen?

Was uns der Band zeigt: ohne Nachdenken und wirkliche Lebenserfahrung lässt sich von der genetischen Analyse einiger Körperzellen sicher nicht auf die umgreifende Bedeutung der Person schließen, die sich innerhalb dieser Konstitution entfalten kann - das gelingt schon nicht vollumfänglich bei einem Virus, einem Rind oder einem Affen! Lernen wir in Biologie, in Botanik, Zoologie, Genetik und Epigenetik doch fortwährend weiter! Wie könnten wir uns erlauben, einen Mitmenschen und seinen nur ihm gegebenen Eigenwert, das nur ihm mögliche gesellschaftliche Mitwirken, je zu bemessen? Wenn ein Kind wie Flo mit Ektodermaler Dysplasie weder wie andere Kinder sonnenhungrig ist noch gerne rennt, sich im Hochsommer in einem dunklen Keller aufhält, lässt sich dies rational erklären: Flo schützt sich so sehr klug vor einem Hitzschlag! Er stößt dann - im Schatten - auf die Wunder der Schöpfung, sucht Pilze, kennt deren Lebensorte; erschließt die Welt des Kellers samt der Ratten, die sich da aufhalten, und beruhigt Carolin, wenn sie bei ihrem Besuch dann zappelnd »Iiiih« schreit. »Ratten tun dir nichts«, beruhigt Flo. Der »Vampir«, der nicht gern rennt, weiß von Höhlen und zeigt sie den anderen, den »flotten Rennern«, als Lehrstoff.

Am Tag ihrer Erstkommunion, wo alle Mädchen wie Prinzessinnen einen feinen Blumenkranz um die Stirn trugen und keine mit Flo gehen oder sich mit ihm gar fotografieren lassen wollte, hatte sich Carolin mit der Musikkapelle tanzend und mit strahlenden Augen auf dem Gehsteig bewegt, Flo kurzerhand an die Hand genommen und ihm später beim Friedensgruß nicht nur die Hand, sondern einen Kuss gegeben. Seitdem sind sie »gemeinsame Unternehmer« in Schattenreichen.

So weiß Carolin im entscheidenden Augenblick auch, dass sie »trösten« kann; sie überwindet ihre Angst, setzt sich neben den - im Doppelsinn - gestolperten Arzt! Sie berührt zart dessen schmerzendes Bein. Aktuell weiß sich Flo gefordert. Als »Vampir« im Schattenreich abgestempelt, rennt er selbstlos zur Rettung eines verunglückten »Normalen«. Wegen eines Hitzschlages muss er ins Krankenhaus; dort kommt reichlich Besuch.

Das ist Lesestoff und Bildmaterial von beeindruckender Nachhaltigkeit, geeignet als Erkenntnisquelle für eine sich aufgeklärt und frei wähnende Gesellschaft, welche die vorgeburtliche Diagnose Down-Syndrom als Katastrophe »bewertet« und aus missverstandener Menschenwürde die Früheuthanasie legalisiert glaubt. Nein: das Mensch-Sein, das mit der biologischen Befruchtung als eigene Natur beginnt, ist unberührbar, unabhängig von angewandten Zeugungsverfahren! Jeder Mensch ist Person und Mitbürger. Sein Leben ist nicht verfügbar. Wir alle werden nur verlieren, wenn wir töten. Das zeigen Flo und Carolin.


BUCH INFO

Holm Schneider:
Warum Vampire nicht gern rennen.
Stachelbart-Verlag, Erlangen 2011. 48 Seiten. 9,90 EUR.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Carolin hilft dem verletzten Dr. Riedmayr, der »Jagd« auf Kinder wie sie macht.
- Prinzessin und Vampir


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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 99, 3. Quartal 2011, S. 10 - 11
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
Verlag: Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2012