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KALENDERGESCHICHTEN/056: 08-2015   Weggefährten - Das Försterhaus (SB)


Der Junge liegt rücklings auf Ellenbogen gestützt, den Kopf leicht zur Seite gedreht, die Gans nähert sich vorsichtig seinem Ohr - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Was bisher geschah ...

Als Doro gemütlich auf der Wiese inmitten der Kuhherde lag, kam ein Junge freundlich auf sie zu und erzählte ihr, dass er genau wie sie wieder zurück in seine Heimat wolle. Doro war begeistert und wollte gerne mit ihm gehen, doch wie sollte sie sich verständlich machen? Die Gans, die schon lange unter Menschen lebt, wollte mit dem Jungen sprechen und ihm alles erklären, aber sie musste dabei sehr vorsichtig vorgehen.


Edith lief ganz langsam in einem leichten Bogen, also nicht so direkt, auf den Besucher zu. Sie tat, als interessiere sie sich eigentlich gar nicht für ihn. Der Junge, der immer noch mit Doros Mähne spielte, bemerkte sie, blickte hinunter, ließ Doro los und hockte sich hin, so dass er auf Augenhöhe mit der Gans war. "Hey, wer bist denn du, gehörst du etwa zu dem Kamel?"

Edith hob ihren Kopf und blickte ihn schief an. "Genau so ist es", sprach sie langsam und bedächtig, um den Jungen ja nicht zu erschrecken. Aber das nützte nichts. Er plumpste auf seinen Hintern, kippte hinten über und landete auf seinem Rücken. Einen Moment lag er ganz reglos da. Vorsichtig watschelte Edith zu ihm hin, reckte ihren Kopf in die Nähe seines Ohrs und flüsterte: "Keine Angst, du spinnst nicht, ich kann wirklich sprechen!"

Der Junge öffnete die Augen, stützte sich auf die Ellenbogen und dann schüttelte er den Kopf...

"Siehst du Doro, er schüttelt den Kopf, sieh nur!", lachte die Gans, "hab ich 's dir nicht gesagt, Menschen schütteln ihren Kopf wie verrückt ... hoffentlich rennt er jetzt nicht gleich los ..."

Währenddessen hatte der Junge sich hingehockt. "Also, wirklich, das gibt 's doch gar nicht. Kannst du mich vielleicht mal in den Arm zwicken, damit ich weiß, dass ich nicht träume?"

"Klar, darin bin ich sogar besonders gut, im Armzwicken", antwortete Edith und schritt zur Tat. "Aua, verflucht, doch nicht so heftig - na, ja, nun weiß ich sicher, dass ich wach bin - danke."

"Kein Problem, hab 's gern gemacht. Und du willst gar nicht weglaufen? Toll, das ist einfach toll. Wir hatten nämlich schon befürchtet, dass du die Flucht ergreifen würdest. Das wäre ziemlich schlimm, denn Doro will unbedingt mit dir sprechen."

"Hmm, ja, und wer, bitte schön, ist Doro?", wollte der Junge wissen.

"Oh, entschuldige. Darf ich vorstellen: Das da ist Doro", dabei schwenkte sie ihren langen Hals in Richtung Kamel, "und ich heiße Edith und nun bist du an der Reihe!"

"Bataa ist mein Name." Der Junge verbeugte sich würdevoll und lächelte. "Puuh, also wirklich, Deutschland scheint doch nicht so langweilig zu sein wie ich dachte - sprechende Gänse, tse, tse, tse", und wieder schüttelte er ungläubig den Kopf. Langsam erhob er sich und machte einen Schritt auf Doro zu: "Also, du wolltest mit mir sprechen. Nun denn, ich höre zu." Bataa wunderte sich über gar nichts mehr und erwartete, dass das Kamel das Gespräch beginnen würde. Doch Doro sah ihn mit ihren großen, schönen Augen ratlos an. Dann senkte sie ihren Kopf und stupste den Jungen sanft an der Schulter.

Gustl, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, mischte sich nun mit lautstarkem Rufen ein: "Edith, Klapparapappalanurinix, verdammt, du musst ihm sagen, dass sie die Menschensprache nicht spricht!"

Edith sah ihn böse an: "Ja, ist gut, aber schrei nicht so herum." Statt sich zu entschuldigen, versuchte der Storch selbst mit Bataa zu sprechen, aber aus seinem Schnabel drangen keine Worte - es klapperte nur laut.

"Oh, da ist ja noch jemand", stellte der Junge fest und sah Edith fragend an.

"Ja, das ist Gustl Storch. Also, Bataa, es ist so: weder Gustl noch Doro sind der Menschensprache mächtig, sie verstehen zwar was du sagst, können aber selbst nicht sprechen - daher übersetze ich alles für sie."

"In Ordnung. Was möchte denn Doro von mir wissen?"

"Bevor ich dir alles erzähle, schlage ich vor, dass wir uns ein anderes Plätzchen suchen, am besten eines, wo wir nicht entdeckt werden können."

"Gute Idee. Wir können zu dem alten Försterhaus gehen, hinten am Waldrand. Es ist dicht von großen Bäumen umstellt und es sieht nicht so aus, als wäre es bewohnt. Ich habe schon all meine Sachen dahin gebracht, ein tolles Versteck."

Doro war sofort einverstanden. Gustl aber konnte nicht länger von seinem Horst fernbleiben. Er musste noch jagen gehen, seine Kinder waren bestimmt schon wieder hungrig. Er verabschiedete sich, schwang sich hinauf in die Luft und rief, nachdem er eine große Schleife geflogen war, hinunter: "Und dass ihr mir ja Bescheid sagt, falls ihr euch auf den Weg in Doros Heimat macht, verstanden?"

"Bitte, es heißt bitte", brüllte Edith hinauf und lachte, "sagt ihr mir bitte Bescheid ..."

"Ja, ja, ist ja gut, hab 's kapiert", raunzte er zurück. Dann aber landete er noch einmal vor Doro, wobei er sie sacht mit seinem Flügel streifte: "Also, Doro, falls du dich doch schon auf den Weg machst und ich dich nicht mehr antreffe, wünsche ich dir alles Gute für deine Reise. Vielleicht komme ich doch mal vorbei geflogen, wer weiß. Aber erstmal müssen meine Kinder groß werden. Also, mach 's gut, Doro." Das Kamel konnte gar nicht mehr antworten, schon war Gustl auf und davon.

"Sieh mal einer an, er kann wirklich total freundlich sein", staunte die Gans.

"Kann es nun losgehen, wollen wir aufbrechen?", wollte Bataa wissen, der von dem ganzen Gerede der Tiere nichts verstanden hatte.

"Ja, nun kann es losgehen. Komm Doro, steh auf!" Bataa ging voran, gefolgt von Doro und Edith. Er öffnete das Tor im Koppelzaun und ließ Doro hindurch, danach verschloss er es wieder. Die Kühe muhten ihnen ein "Auf Wiedersehen und Gute Reise" hinterher - aber das hätten sie lieber nicht tun sollen. Timo, der Hofhund stürmte mit lautem Bellen auf die Kuhherde zu. Aufgeregt zwängte er sich unterm Zaun hindurch, preschte weiter - die Kühe stoben auseinander -, und schließlich stand er kläffend vor Doro, Bataa und Edith.

"Mist, verdammter, so ein ...", Edith fauchte und flatterte auf Timo zu, "halt die Schnauze, du dummer Hund! Willst du das Bauer Sepp herkommt und uns sieht?"

"Na sicher, was meinst du, warum ich so einen Lärm mache?", bellte der Hofhund pflichtbewusst. "Wenn der Junge eine Kuh klaut, dann muss ich Bescheid sagen, das ist meine Aufgabe. Aufpassen, immer aufpassen, das so etwas nicht passieren kann. Alles klar?" Dann hob er an, sein Bellen fortzusetzen.

Aber Edith stoppte ihn: "Timo, mach doch mal deine Augen auf. Das ist doch keine Kuh, die hier neben dem Jungen steht, das ist ein Kamel und es gehört zu dem Jungen", flunkerte sie ein wenig, "hier hat niemand irgendetwas geklaut."

Inzwischen rief Käthchen, die Leitkuh, der Herde zu: "Hey, beruhigt euch und benehmt euch so, als sei nichts geschehen, alles ganz normal, los schnell."

"Timo, hierher, aber sofort! Was ist da los? Komm, Timo, hierher!", rief Bauer Sepp lauthals über den Hof. Glücklicherweise konnte der Bauer das Kamel nicht sehen. Er sah nur Kühe, die nun wieder ganz gemächlich dahintrotteten und in Ruhe grasten.

Timo schaute zum Kamel, zum Jungen und dann wieder zu Edith: "Also gut, du hast recht, wie eine Kuh sieht sie nun wirklich nicht aus. Ich muss los ..." Er machte einen Satz und spurtete in wildem Lauf in Richtung Hof.

"Ja, ja, schnell. Lauf nur zu!", rief ihm die Gans hinterher. Dann drehte sie sich zu Doro um: "Jetzt aber die Beine in die Hand genommen und nichts wie weg von hier", sprach sie und watschelte auf schnellen Gänsefüßen vorweg. Bataa und Doro begriffen nicht ganz genau, was die Gans da nun gerade gemeint hatte mit den Beinen und der Hand und so, aber sie liefen los und Bataa setzte sich an die Spitze, denn nur er kannte den Weg zum Försterhaus.

Es war ein großes Haus, ganz aus Holz gebaut. Innen gab es nur zwei Räume. In dem kleineren stand ein Bett, in dem größeren ein Ofen, ein Tisch, Stühle und ein Sessel. Das Holzhaus war niedrig, hatte aber ein Spitzdach, das ziemlich hoch war. So war es selbst dem Kamel möglich, mit hinein zu kommen. Nur durch die Tür musste sie sich zwängen, was ihr aber gelang. Drinnen konnte sie bequem stehen. Bataa machte es sich in dem Sessel bequem und Edith hockte sich auf den Tisch. "Nun, Bataa, kann ich dir in aller Ruhe und ausführlich berichten, was Doro bisher erlebt hat, warum sie so gerne wieder in ihre Heimat will und was sie dich fragen möchte."


Ein etwas verfallenes Försterhaus von großen Bäumen umgeben ist das neue Versteck - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

"Warte bitte einen Moment, ich will mich erst hinlegen", bat Doro und tat es sogleich. Dann begann die Gans zu erzählen und Bataa hörte aufmerksam zu. Als die Gans mit ihrem Bericht geendet hatte, quakte sie laut: "Durst, ich brauche dringend einen Schluck Wasser." Bataa goss ihr etwas in eine Schale und stellte sie auf den Tisch. "Also, so wie ich das nun alles verstehe, denke ich, dass wir einen wirklich guten Plan brauchen. Schließlich müssen wir unauffällig mit einem ziemlich auffälligen Kamel durch die Lande reisen ..."

Fortsetzung folgt ...

zum 1. August 2015


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