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KALENDERGESCHICHTEN/040: 04-2014   Der kleine Wolf - Das Unheimliche im Wald (SB)



Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick


Der kleine Wolf

Das Unheimliche im Wald

Gerade als Rudi sich an der Milch satt trinken wollte, stürmte der riesige Hofhund auf sie zu, um die Eindringlinge zu vertreiben. Krawell schnappte den kleinen Wolf und flog mit ihm davon.

Er hatte seine liebe Mühe, Rudi über die weite Strecke durch die Luft zu tragen. Aber schließlich fand er ein geeignetes Plätzchen für eine Rast. Dort landete er und setzte den kleinen Wolf, leider etwas unsanft, ins Gras. Rudi hatte so viel Schwung, dass er kullerte, bis er endlich wieder festen Boden unter seinen vier Pfoten hatte.

"Hilfe, Krawell, ich glaube, fliegen ist nichts für mich. Du glaubst gar nicht, wie mulmig mir dort oben zumute war."

"Nein, wirklich, das kann ich mir nicht recht vorstellen. Fliegen ist einfach toll, wie kann man das nicht mögen ...?" Dabei lachte der Rabe und meinte versöhnlich: "Wenn ich keine Flügel hätte, gefiele es mir wohl auch nicht."

Nun erst sah Rudi sich um. Überall war es grün und bunt. Die Blätter an den Bäumen schimmerten leuchtend in einem hellen, zarten Grün. Viele große und kleine Blumen reckten ihre Köpfchen ins Sonnenlicht.

"Wo sind wir hier, wo ist der Schnee geblieben?", wunderte sich Rudi.

"Genau weiß ich das auch nicht. Eigentlich bin ich nur ein kleines Stückchen geflogen, jedenfalls kam es mir nur ganz kurz vor. Merkwürdig. Aber schön ist es hier, oder?"

"Ja, und viel wärmer", freute sich Rudi, "Schnee ist auch gut, aber kein Schnee gefällt mir besser. Dort, dort hinten gibt es Wasser ..." Schon rannte der kleine Wolf los, um an den schmalen Bach zu gelangen, der sich durch die Wiese schlängelte. Er trank hastig, als wäre er kurz vorm Verdursten und sah dann Krawell zu, wie er im Wasser plantschte und zwischendurch immer mal wieder einen Schluck trank.

Rudi legte sich auf die Wiese, hörte den Bienen zu und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Er wälzte sich, strampelte mit den Pfoten in die Luft, sprang auf und rannte im Kreis herum. Ein Schmetterling tanzte vor seiner Nase und Rudi hüpfte ihm hinterher.

"Hey, dir scheint es ja hier zu gefallen. Lauf nicht so weit weg ...", rief Krawell ihm hinterher und begann sorgfältig in aller Gemütsruhe sein Gefieder zu putzen.

"Keine Sorge, ich passe schon auf mich auf!"

"Na, ja", dachte Krawell bei sich, "ich habe eher das Gefühl, dass du ganz und gar nicht auf dich aufpassen kannst. Und vor allen Dingen, scheint etwas mit dir nicht zu stimmen. In größter Gefahr bleibst du einfach erstarrt sitzen oder liegen. Würden Wölfe nicht weg rennen oder angreifen? Na, ja, also jedenfalls irgendetwas unternehmen, aber doch bestimmt nicht einfach nur dasitzen?! Tja, irgendwie ist der Kleine sonderbar." Krawell breitete seine Flügel aus und hielt sie einen Moment zum Trocknen in die Sonne.

Der kleine Wolf folgte dem Schmetterling. Die Wiese endete und vor ihm ragte ein tiefes Dunkel aus uralten, mächtigen Bäumen auf. Der Waldesrand lockte mit seinen finsteren Schluchten. Neugierig schnupperte Rudi, den Schmetterling hatte er längst vergessen. Er roch feuchtes, frisches Moos. Er fühlte sich irgendwie heimisch, ja, als wäre der Wald sein wirkliches Zuhause. Aber gleichzeitig spürte Rudi auch etwas Beängstigendes, etwas Großes. Vielleicht sollte er jetzt lieber sofort umdrehen und zurück zu Krawell laufen. Aber er zögerte noch, starrte die Bäume an, folgte mit wachem Blick dem einen oder anderen Stamm bis hinauf in die Blätterkrone, entdeckte aber nichts, was ihn ängstigte. Auf einmal hob er die rechte Vorderpfote, setzte sie vorn ab, zog das nächste Bein langsam nach, dann die hinteren Pfoten in der gleichen Weise und wackelig und tapsig näherte er sich dem Wald. Nur, warum? "Was passiert hier? Ich will das nicht! Hey, wollt ihr wohl stehen bleiben!", brüllte der kleine Wolf seine Pfoten an. Doch statt anzuhalten, liefen sie immer schneller. Rudi schrie so laut er konnte: "Krawell, hilf mir, Krawell. Hilfe. Schnell!"

"Oh, ich hätte ihn nicht allein lassen sollen", durchfuhr es den Raben und im selben Moment schoss er in die Höhe und flog in die Richtung, aus der Rudis Hilferuf kam. Als er den kleinen Wolf erblickte und sah, wie merkwürdig und unbeholfen er sich bewegte, so als kämpfe er gegen seine eigenen Beine, stürzte er hinab, packte Rudi und schlug kräftig mit den Schwingen. Doch der Wolf schien am Boden zu kleben. Krawell konnte ihn kein Stückchen anheben. "Was ist hier los?", krächzte der Rabe ärgerlich.

"Ich weiß es nicht! Ich will nicht in den Wald, aber meine Pfoten gehorchen mir nicht!", jammerte Rudi. Hilf mir doch, bitte, Krawell."

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

"Diesmal kann ich dich nicht retten", sah der Rabe ein, was Rudi laut aufheulen ließ. "Aber ich bleibe bei dir. Wir gehen zusammen in den Wald. Ich passe auf dich auf!", versprach Krawell. Er blieb ganz dicht neben Rudi.

Merkwürdigerweise wurde Krawell nirgends hingezogen, konnte fliegen, laufen oder hüpfen, wie es ihm beliebte. Rudi hatte mittlerweile aufgehört, sich gegen die unsichtbare Kraft zu stemmen und plötzlich konnte er sich ganz leichtfüßig fortbewegen - allerdings spürte er einen deutlichen Zug in eine bestimmte Richtung, der er folgen musste. "Krawell, was mag das sein, ich kann jetzt zwar ganz gut laufen, aber immer nur in eine Richtung", klagte der kleine Wolf.

"Ich werde mal voraus fliegen. Vielleicht kann ich etwas entdecken!"

"Hmm, ja, aber komm schnell wieder, bitte."

Der Rabe flog voraus, landete auf einem Ast und wurde Zeuge von einem Streit zwischen Menschen. Der große Mensch schimpfte mit dem kleinen: "Was habe ich dir gesagt, nur wenn ich neben dir sitze und aufpasse, darfst du in das Buch schauen. Und schon gar nicht habe ich dir irgendwann erlaubt, allein einen Zauberspruch zu üben. Wer weiß, was du angerichtet hast."

Der kleine Mensch blickte verlegen und etwas traurig drein: "Das mache ich nicht wieder, bestimmt nicht. Kannst du alles, was ich aus Versehen gezaubert habe, wieder ungeschehen machen, bitte. Ich will nicht, dass jemand Schaden nimmt." Der große Mensch blickte sehr mürrisch drein, aber er nickte. Dann verließen beide die Lichtung.

Krawell erhob sich und kehrte zu Rudi zurück. Er sah den kleinen Wolf hüpfen, über am Boden liegende Äste springen und hin und her rennen. Als er den Raben über sich erblickte, rief er: "Krawell, ich kann wieder ganz allein laufen, niemand hindert mich, toll, was?"

Krawell landete neben Rudi. "Ich schlage vor, wir verlassen diesen Wald schnell wieder."

"Oh, ja und zwar sofort. Wer weiß, was hier sonst noch alles passiert ...", stimmte Rudi ihm zu und rannte in Richtung Wiese davon. Als sie das sonnige, warme Fleckchen erreicht hatten, legte der kleine Wolf sich gemütlich hin, lauschte dem Wind, der Gräser und Blätter bewegte, dem Summen der Bienen und erkannte auch den Schmetterling wieder, dem er vorhin gefolgt war. Diesmal setzte der Schmetterling sich auf Rudis Vorderpfote und schlug sanft seine Flügel auf und nieder. Irgendwie fühlte Rudi sich geborgen, fiel alsbald in einen tiefen Schlaf und träumte.

Fortsetzung folgt ...

zum 1. April 2014