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KALENDERGESCHICHTEN/011: 11-2011   Auf dem Dachboden (SB)


© 2011 by Schattenblick

Auf dem Dachboden


"Natürlich kann ich auch am hellichten Tag draußen herumlaufen. Warum denn nicht, was soll daran so schwer sein?", Karolin, die schon öfter mit einer Ratte verwechselt wurde, weil sie von ziemlich großer Statur war für eine Maus, wollte sich gerade schlafen legen. Doch Julian, ihr bester Freund und ebenfalls eine Maus - eine mit Flügeln, eben eine Fledermaus -, schien sich zu langweilen. Immer wenn ihm nichts mehr einfiel, womit er sich beschäftigen konnte, und er mit sich und der Welt im Unreinen war, suchte er Streit. Er fauchte Karolin an: "Meine Flügel sind echte Schwingen - viel größer als Flügel und viel unheimlicher". Julian behauptete bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass es sich bei seinen "Flügeln" um Schwingen handeln würde. Er als Fledermaus müsste das schließlich wissen. Karolin allerdings neckte ihn dann damit, dass er eigentlich nichts weiter sei, als ein naher Verwandter von ihr selbst - eben nur eine Maus mit Flügeln.

Diesmal aber war es nicht eine kleine Kabbelei, mit der beide sich neckten. Julian war wirklich schlechter Laune. Karolin setzte sich auf und sah Julian direkt in die Augen: "Was möchtest du eigentlich? Habe ich dir irgendetwas getan, dass du dich so mies fühlst?"

"Nein, nicht du...", maulte er.

"Wer dann, bitte schön? Vielleicht kann ich ja helfen", bot Karolin sich an.

"Glaub ich nicht. Ich weiß auch nicht recht. Ich möchte gern etwas unternehmen. Aber jetzt ist es taghell und ich sollte schlafen, habe aber keine Lust dazu." Julian flatterte genervt auf den alten Lederschuh, der mitten auf dem Dachboden stand und ließ sich in die Öffnung plumpsen, so dass seine beiden Schwingen über den Rand baumelten. Sie verhinderten, dass er ganz im Schuh versank. Karolin musste lachen, das sah wirklich zum Kreischen komisch aus. "Weißt du, Julian, ich habe eine Idee: du suchst dir jetzt ein Plätzchen zum Ausruhen, damit du heute Nacht fit bist. In der Zwischenzeit werde ich draußen nach jemandem Ausschau halten, der Lust hat, mit uns nachts auf dem Dachboden zu spielen. Zwar weiß ich auch noch nicht, wen ich fragen könnte, aber ich werde mich erst einmal auf den Weg machen."

"Ja, das hört sich gut an. Aber ist das nicht zu gefährlich für dich?", sorgte Julian sich, "immerhin sind tagsüber Leute unterwegs, denen du lieber nicht begegnen solltest. Der Storch zum Beispiel. Ich habe grausige Geschichten gehört über das Schicksal von Familie Feldmaus. Lieber erzähle ich gar nicht davon ..."

"Ja, das ist wohl besser. Schließlich kann ich mir auch denken, was den armen Feldmäusen widerfahren sein kann .... und daran will ich jetzt bestimmt nicht denken!", beschloss Karolin.

Dann stapfte sie in Richtung Bodentreppe und drehte sich noch winkend zu Julian um: "Bis heute Nacht, Tschüß."

Karolin kannte sich bestens aus im Haus. Um den angestammten Platz der riesigen Hauskatze schlug sie einen großen Bogen. Ihr wollte sie auf keinen Fall unter die Augen kommen. An der Hintertür des Hauses befand sich ein mausgroßes Loch in der Wand, durch das Karolin hinaus ins Freie schlüpfte. Sie blinzelte und konnte erst gar nichts erkennen, weil das Sonnenlicht so grell schien. Als sie wieder richtig sehen konnte, trippelte sie in winzigkleinen, aber flinken Mäuseschritten an der Hauswand entlang in den Garten.

"Oh, so ein Mist, der blöde Köter von nebenan! Was hat der denn hier in meinem Garten zu suchen!?", rief sie empört, aber leise genug, um nicht gehört zu werden. Sie hatte Glück. "Harro, hierher, aber sofort, Harro, sofort zu Herrchen, hörst du!", rief der Nachbar lautstark. Harro blieb stehen, drehte sich um, rannte los in Richtung Gartenzaun und sprang mit einem gekonnten Satz hinüber. "Feiner Harro, gut gemacht, schön sitz ...", hörte Karolin noch das Lob an den Nachbarshund.

"Das war ja einfach", freute sie sich und plante ihren Weg durch den Garten. Nach Möglichkeit wollte sie von niemandem gesehen werden. So spurtete sie von der Hauswand ins Rosenbeet, huschte hinter den Ginsterbusch und lief zum Geräteschuppen. Hier fühlte Karolin sich geschützt, denn eigentlich war hier ihr Zuhause. Die ganze Familie Maus lebte in dem Schuppen. Sie hatte unzählige Tanten, Onkel, Geschwister, Nichten und Neffen ... so viele, dass sie nicht alle zu zählen vermochte. Manchmal wurde es ihr zu eng. Dann floh sie auf den Dachboden zu Julian. Dort war sie tatsächlich die einzige Maus.

Jetzt aber blieb sie draußen vor dem Schuppen. Schließlich wollte sie nach Leuten suchen, die mit auf den Dachboden kommen würden. Karolin setzte sich und blickte sich um. In der Ferne hörte sie ein Miauen. "Hoffentlich ist die Katze nicht gerade auf der Jagd", wünschte Karolin sich ganz leise. Sie verharrte mucksmäuschenstill an ihrem Platz. Das Miauen wurde leiser, die Katze entfernte sich also. Während Karolin so dasaß, erblickte sie zwei bunte Schmetterlinge. Es hatte den Anschein als würden sie tanzen. Dabei berührten sie nie eine Blüte oder ein Blatt. Karolin überlegte, ob sie die beiden ansprechen sollte. In diesem Moment aber flatterten sie hoch in den Himmel, drehten ihre Kreise und flogen umeinander und davon. "Schade", ärgerte sich die kleine Maus, "hätte wohl schneller fragen sollen ..."

Flink huschte sie um den Schuppen herum. An seiner Rückseite wuchsen viele wohlduftende Blumen. Hier hatte sie schon oft Bienen getroffen. Vielleicht würden ein paar von ihnen sie auf den Dachboden begleiten. Als sie sich jedoch suchend umsah, konnte sie nicht eine einzige Biene entdecken. An anderen Tagen kam es Karolin so vor, als würde der Garten von unzähligen Tieren bewohnt sein. Heute schien es, als seien alle fort. So begab sie sich wieder auf den Rückweg. Morgen wollte sie früher losgehen. Bestimmt würde sie dann jemanden treffen. Julian musste eben eine Nacht lang schlechter Laune bleiben.

Doch da tauchten die beiden Schmetterlinge wieder auf. Diesmal flatterten sie ziemlich dicht vor Karolins Nase. "Hallo, wartet bitte, ich möchte euch etwas fragen", rief sie den beiden zu. Vor Schreck flogen die Schmetterlinge steil nach oben. Dort hielten sie inne und sahen sich an. Schließlich schwebten sie wieder nach unten in Karolins Nähe.

"Ich würde mich freuen, wenn ihr vielleicht ein wenig stillsitzen könntet. Wie wäre es, wenn ihr auf einer Blüte Rast macht und ich komme dann zu euch hinüber, um euch einen Vorschlag zu unterbreiten", schlug Karolin den doch recht großen Schmetterlingen vor. Tatsächlich landeten sie auf einer Blume, jeder auf einer eigenen.

"Was haltet ihr davon, wenn ihr heute Nacht mit mir auf den Dachboden kommt?", stellte Karolin ihre Frage ganz direkt. "Nachts? Wir? Auf dem Dachboden? ... Sehen wir etwa aus wie Nachtfalter?", empörte sich der blaugelbe der beiden. "Nein, das nun gewiss nicht", erwiderte Karolin, "ihr seid so prächtig bunt, dass ihr wohl kaum mit Nachtfaltern zu verwechseln seid." - "Warum möchtest du uns dann einladen, ausgerechnet nachts mit auf den Dachboden zu kommen?", erkundigte sich der orangerote.

Die kleine, zu groß geratene Maus sah ein, dass sie wohl doch etwas ausholen und ihre Frage besser begründen sollte. "Also, ich wollte gerne meinen Freund Julian etwas aufmuntern. Ihm ist langweilig. Vor langer Zeit hat er sich verflogen und ist auf dem Dachboden gelandet. Seine Familie hat wohl nicht bemerkt, dass er fehlt und ist einfach weitergezogen. Seitdem lebt er dort allein, weit und breit ist keine andere Fledermaus in Sicht, und er ist sehr traurig. Aber er ist auch nicht mutig genug, um nach anderen Fledermäusen zu suchen. Ihr dürft ihn nicht darauf ansprechen und auch nicht erwähnen, dass ich euch verraten habe, dass er eine sehr ängstliche Fledermaus ist!"

Die beiden Schmetterlinge beteuerten, das auf keinen Fall zu erwähnen. Der Gelbblaue, mit Namen Flap, versprach es und auch der Orangerote, der auf den Namen Flip hörte, gelobte Verschwiegenheit. Die beiden waren abenteuerlustig und neugierig. Ein wenig gruselten sie sich bei der Vorstellung, im Dunkeln in einer fremden Gegend zu sein. Aber gerade dieses Gruseln lockte sie auch. Flip und Flap flatterten aufgeregt auf ihren Blüten auf und nieder.

"Weißt du auch schon, was wir heute Nacht unternehmen wollen?" - "Sollen wir irgendetwas mitbringen?" - "Wir kennen den Weg dorthin nicht, holst du uns ab?", stürmten die Schmetterlinge mit ihren Fragen auf Karolin ein. "Oh je, wartet, wartet, eins nach dem anderen. Also. Wenn ihr Lust habt, bringt etwas mit. Julian liebt Überraschungen. Wenn wir erst einmal alle zusammen sind, beratschlagen wir, was wir spielen wollen", fasste Karolin alles zusammen.

Die beiden bunten Falter aber waren ganz zappelig und ungeduldig: "Vielleicht gibt es auf dem Dachboden ein Gespenst oder einen verborgenen Schatz ...", überlegte Flip und wurde von Flap unterbrochen: "Vielleicht auch nur eine Schatzkarte oder eine geheimnisvolle Truhe oder einen Zauberstein oder ..."

"Haaalt", piepste die Maus in einem schrillen Fiepton dazwischen, "das werden wir alles heute Nacht herausfinden, einverstanden?"

"Wie lange dauert es noch bis zum Dunkelwerden? Und wo wollen wir uns treffen?", warf Flip die Frage in die Runde. "Also, am besten wird es sein, wenn wir uns wieder genau hier treffen, sobald der Mond aufgegangen ist. Heute ist zwar kein Vollmond, aber es wird hell genug für uns sein", schlug Karolin vor. "Einverstanden", antworteten die beiden Schmetterlinge wie aus einem Munde.

Frohgemut verließ Karolin den Platz hinter dem Schuppen und lief geschwind wieder in Richtung Dachboden. Vielleicht schlief Julian jetzt endlich. Unterwegs entschloss sie sich, doch noch einen kleinen Abstecher in die Vorratskammer des Hauses zu unternehmen. Mittlerweile meldete sich ihr Magen mit grimmigem Knurren. "Achtung, aufgepasst", ermahnte sie sich, "Katzenalarm!" Die Treppe zum Dachboden hatte sie hinter sich gelassen und sie befand sich mitten auf dem Flurteppich, den sie überqueren musste, um die Richtung Küche-Speisekammer einzuschlagen. Da hörte sie es ganz deutlich - das unheimlichste Geräusch, das sich eine Maus nur vorstellen kann: "Miau, miiaauuu."

Karolin blieb fast das Herz stehen, so sehr hatte sie sich erschrocken. Die Freude über die Zusage der beiden Schmetterlinge hatte sie trotz ihrer eigenen Ermahnung abgelenkt. Doch noch schien die Katze sie nicht entdeckt zu haben. Schnell, jetzt musste ihr etwas einfallen ...

"Lauf, lauf, lauf so schnell du kannst!", dachte sie. Aber in welche Richtung? Es blieb ihr nur der Weg in die Vorratskammer. Und Karolin rannte und rannte, ohne sich umzusehen, bis sie die Küche und dann die Kammer erreicht hatte. Geschwind kletterte sie das Regal hinauf und versteckte sich hinter einer großen Tüte. "Puuhh, das war knapp!"

Die Katze schien sie nicht verfolgt zu haben. Jedenfalls konnte Karolin sie nirgends entdecken. Sie schaute sich gewissenhaft um, aber die Katze kam nicht zum Vorschein. "Sehr gut, dann will ich mal sehen, wo ich hier gelandet bin." Bei der Tüte, hinter der sie Zuflucht gefunden hatte, handelte es sich um eine Packung voller Erdnüsse. "Na, das nenne ich Glück im Unglück", freute sie sich. "Wie transportiere ich die denn jetzt bloß auf den Dachboden?" Sie war zwar schon eine recht stattliche Person, aber so eine Tüte als Gepäck bereitete auch ihr Mühe. Schließlich barg der Weg hinauf auf den Dachboden Gefahren - eben Katzen-Gefahren!

Karolin beschloss noch etwas Zeit verstreichen zu lassen. Als sie durch das Kammerfenster sehen konnte, wie die Abenddämmerung hereinbrach, schubste sie die Tüte mit den Erdnüssen vom Regal. Mit lautem Knistern und einem Klatsch landete sie auf dem Fußboden. Hurtig krabbelte Karolin die Regalstreben hinab und begutachtete ihr Werk. Vorsichtig tippelte sie ein paar Schritte in Richtung Flur und spähte die Umgebung aus. "Nichts zu sehen, keine Katze in Sicht- oder Hörweite", beruhigte sie sich.

Zielstrebig nahm sie die Aktion 'Erdnusstüte über den Flur schieben' in Angriff. Karolin stellte erleichtert fest, dass die Tüte nicht so schwer war, wie sie befürchtet hatte. An der untersten Treppenstufe allerdings schien das Glück sie verlassen zu haben. "Das schaffe ich niemals, die Stufen sind einfach zu hoch!", entfuhr es ihr viel lauter als gewollt. Sie setzte sich auf ihre Hinterbacken und betrachtete ihre kleinen Pfoten. "Wen könnte ich denn nun um Hilfe bitten?", überlegte sie.

"Die Katze wird mir was husten, die hilft mir bestimmt nicht, und der Nachbarshund auch ganz sicher nicht", fasste sie zusammen. Sie ließ ihren Blick schweifen und erhob sich, kletterte zum Fenster hinauf und sah sich suchend in der Gegend um. Irgendein sonderbares Gefühl sagte ihr, sie solle jetzt aus dem Fenster schauen. Als sie die beiden Schmetterlinge ganz in der Nähe des Fensters entdeckte, wusste sie auch, warum es gut war, hinauszuschauen.

Zufall oder wundersame Fügung - das Fenster stand einen guten Spaltbreit offen. "Hallo Flip, hallo, Flap ... hier bin ich, hier am Fenster", rief sie aus vollem Halse. Flip und Flap sahen sich verunsichert um. Dann entdeckten sie das Fenster und erblickten im Folgenden auch die Maus. Mit einem gleichzeitigen Wippen ihrer Fühler verständigten sie sich und flogen gemeinsam auf Karolin zu.

Als sie in Hörweite waren, erklärte Karolin den beiden die Situation. "Aha", Flip beugte sich dabei etwas nach vorn in den Fensterspalt, "wir flattern jetzt ins Haus, hinab zur untersten Treppenstufe, halten jeder einen Zipfel der Tüte fest und düsen damit so schnell wir können bis zur Bodentür." - "Genau, so lautet der Plan", bestätigte Flap, und Karolin meinte: "ich laufe auch zur Tür, schlüpfe durch das Mauseloch auf den Dachboden und bitte Julian, die Dachbodentür zu öffnen. Das kann er gut. Er sagt, er habe sich einen supergeheimen Spezialtrick ausgetüftelt, mit dem er sie aufmachen kann. Mit vereinten Kräften verfrachten wir die Tüte Erdnüsse auf den Dachboden!"

Genauso geschah es. Flip und Flap waren nun allerdings früher als geplant auf dem Dachboden eingetroffen. Genau in der Zeit, in der sie mit der Suche nach einem Gastgeschenk für Julian befaßt gewesen waren, hatten sie das laute Rufen von Karolin gehört. Sie erzählten es Julian, der inzwischen putzmunter war und vergnügt abwinkte: "Keine Sorge, das macht gar nichts, dass ihr nichts mitbringen konntet. Dafür haben wir ja nun die Erdnüsse. Fragt sich nur noch, was wir damit anstellen. Wer mag schon Erdnüsse?"

"Ich, ich natürlich, sie sind geradezu meine Lieblingsspeise", bekannte Karolin mit ziemlich schriller Stimme. "Ich dachte wir erfinden ein Spiel?", beschwerte sich Flap und gerade hob auch Flip an, etwas zu sagen als ... mitten in dieses Gespräch Emil in die Runde krabbelte. "Was ist denn hier los?", erkundigte sich die Spinne.

"Hallo, Emil", begrüßten Julian und Karolin ihren Freund, "wir überlegen uns gerade, was wir mit den Erdnüssen anfangen können und sind uns noch nicht einig." - "Und wer sind die beiden bunten Gesellen dort?, fragte die Spinne ihre Freunde und wandte sich dann aber direkt an die Neulinge: "Ihr seid doch Schmetterlinge. Seit wann fliegen denn kunterbunte Schmetterlinge mitten in der Nacht auf Dachböden herum?"

"Das sind Flip und Flap. Ich habe sie heute nachmittag im Garten kennengelernt. Dann habe ich sie eingeladen und hier sind sie nun", erklärte Karolin der Spinne. Emil schüttelte seinen Kopf: "Tsse, tsse, tsse, das wird ja immer bunter. Nachtfalter habe ich hier schon öfter getroffen, aber Schmetterlinge ...?"

"Nun reg dich doch nicht so auf und freu' dich lieber, dass sie hier sind. So, und jetzt lasst uns weiter überlegen ...", mischte sich Julian ein.

Höflich ließen sich Flip und Flap vor Emil nieder und grüßten ihn: "Hallo, Emil, hast du all die schönen Netze gesponnen?" In den Ecken des Daches waren einige wirklich hübsche Spinnennetze zu bewundern. Eines zierte die untere Ecke des Dachfensters. Der sonst eher grantige Emil fühlte sich geschmeichelt. Endlich würdigte mal jemand seine Baukunst. So antwortete er ganz freundlich: "Ja, die habe alle ich gewebt. Freut mich, dass sie euch gefallen."

Auf einmal hatte Flap eine Idee: "Jetzt weiß ich's, ich hab's, wir spielen Erdnussball!"

Julian kratze sich am Kopf, Karolin blieb der Mund offenstehen, Flip legte den Kopf schief, Emil verschränkte seine Vorderspinnenbeine und wie mit einer Stimme ertönte ein: "Hähh?"

Flip gab der Verwunderung Ausdruck: "Also, entschuldige bitte, aber könntest du das erklären? Ich habe den Eindruck, dass hier niemand weiß, was das für ein Spiel sein soll." - "Ja, genau, ich kenne das Spiel auch nicht", bestätigte Julian. "Das geht so ...", Flap ließ eine kleine Weile verstreichen. Irgendwie hatte es den Anschein, als müsse er selbst noch überlegen, wie das Spiel funktionieren soll. Dann aber setzte er seine Rede fort: "Wenn Emil so freundlich wäre, uns ein Netz zu spinnen ..."

Emil platze gleich dazwischen, dass das ja wohl selbstverständlich sei, Netzespinnen, nichts lieber als das.

Nun beschrieb Flap ihm, wie das Netz auszusehen habe. Emil sollte Bahnen weben. Von dem Besenstiel des Besens, der an der einen Wand lehnte, bis hin zu dem Pinselstiel, der aus dem blauen Farbtopf ragte. Hin und her sollte Emil die Spinnenfäden ziehen, so dass schließlich ein Netz entstehe, wie die Tennisspieler es benutzen.

Flip und Flap hatten den Menschen oft genug beim Tennisspielen zugesehen. Der Sportplatz war von wunderschönen Blumen umsäumt, auf denen sich die Schmetterlinge gern aufhielten. Von dort aus hatten sie eine prima Sicht auf das Spielfeld.

Emil begann unverzögert mit seiner Arbeit - und er konnte ziemlich schnell spinnen. Beeindruckt sahen die Freunde ihm zu. Nebenbei entwickelte Flap seine Idee des Erdnussballspiels weiter: "Also, Flip und ich nehmen jeder einen Schläger und schlagen jeweils eine Erdnuss hin und her über das Netz - so oft wir es nur schaffen. Es ist wichtig, dass wir die Nuss so lange wie möglich in der Luft halten, denn wenn sie herunterfällt, darf Karolin sie aufessen.

"Toll, das finde ich ganz toll", jubelte die Maus. Sie stellte sich die vielen Nüsse vor, die auf den Boden landen würden ... ihr lief schon das Wasser im Munde zusammen.

"Und was ist meine Aufgabe?", wollte Julian wissen. "Du bist beim Erdnussballnachschubdienst, und zwar bist du der oberste Boss, der Hüter der Erdnüsse. Immer, wenn eine Nuss hinunterfällt und Karolin sie sich schnappen darf, sorgst du dafür, dass eine neue Nuss ins Spiel gebracht wird."

"Wow, Boss beim Erdnussballnachschubdienst, das klingt gut. Ja, das ist gut, ich bin dabei!", freute Julian sich. "Darf ich darauf aufmerksam machen, dass wir gar keine Schläger haben ...?", meldete Flip sich zu Wort.

"Oh, ja, ähm, natürlich, Schläger ..., warte mal ...", grübelte Flap vernehmlich vor sich hin. Emil, der leicht aus der Puste gekommen war, hatte sich auf den Boden gehockt und verschnaufte. Flap fragte ihn dennoch: "Emil, könntest du uns vielleicht auch noch Schläger spinnen. Die Spinne hob sacht ihren Kopf und schüttelte ihn langsam hin und her. "Tsse, tsse, tsse ...", zischelte sie leise und empörte sich dann etwas lauter, "hör mal, ich kann alles spinnen! Wenn du mir sagst, wie diese Dinger, diese Schläger, aussehen sollen, dann webe ich dir welche, alles klar?"

"Ja, sicher, danke. Die Schläger sehen so aus: Sie haben einen runden Kreis mit Stiel und innen ist der Kreis zugesponnen, und der Kreis ist eigentlich ein runder Rahmen, der ist aus ...", stammelte Flap, weil er es nicht genau wusste. "Aus Stroh", half ihm Flip aus der Patsche. Flip hatte sich inzwischen auf dem Boden umgesehen und hier und da einige Halme herumliegen sehen. Karolin lief sofort los, holte zwei lange Strohhalme herbei und legte sie vor Emil hin. Dann malte Flap einen Schläger auf den staubigen Fußboden, genau so, wie er es bei den Menschen gesehen hatte. Emil besah sich die Zeichnung und alle anderen standen erwartungsvoll um ihn herum. Ihre geheimen Gedanken waren schon fast zu hören: "Ob er das wohl schaffen wird?"

Aber Emil schien nicht an sich zu zweifeln. Geschickt nahm er einen Strohhalm, bog und formte ihn zurecht und begann sein Spinnwerk. Gespannt schauten ihm alle zu. Bald begutachteten und bewunderten sie den ersten fertigen Schläger. Emil webte ununterbrochen weiter bis auch der zweite vollendet war. Die Spinne war sichtlich stolz auf ihr Werk, aber auch erschöpft. Emil hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, um alles so zu erledigen, wie die Schmetterlinge es sich gewünscht hatten. Nun sagte er: "Ich weiß was ich in diesem Spiel bin. Ich bin der Zuschauer, das würde mir jetzt am besten gefallen."

"Natürlich, Zuschauer brauchen wir auch", redete Flap ihm zu.

Dann begaben die beiden Schmetterlinge sich auf ihre Plätze. Jeder auf eine Seite des Netzes und jeder mit einem Schläger ausgestattet. Julian warf die erste Nuss auf das Feld, Flap bückte sich, hob die Nuss auf, warf sie in die Luft und schlug mit dem Schläger auf die Erdnuss, so dass sie über das Netz flog. Flip passte genau auf, flatterte in die Richtung, aus der die fliegende Nuss kam und schlug sie wieder zurück über das Netz. Flap war so überrascht, dass er die fliegende Nuss mit seinem Schläger verfehlte und diese zu Boden fiel. "Jipiiie, juhuu, das ist meine, das ist meine", quiekte Karolin und stürzte sich auf die Nuss.

Julian warf eine neue Erduss aufs Feld. Diesmal waren Flip und Flap aufmerksamer und hielten die fliegende Nuss lange in der Luft. Karolin war schon enttäuscht und raunte leise: "Könnt ihr nicht etwas schlechter spielen, damit auch mal wieder eine Nuss zu Boden fällt?" Julian hörte das und hatte eine Blitzidee. Er flatterte aufgeschreckt in die Höhe und landete in seinem Schuh, die Flügel ließ er wie immer über den Rand hängen, sein Körper verschwand im Schuh.

Die beiden Schmetterlinge erschraken. Die just noch fliegende Erdnuss fiel zu Boden und Karolin ergatterte sie. Julian hievte sich nun aus dem Schuh und warf eine weitere Nuss aufs Feld. Erst wollten Flip und Flap sich ärgern, dann aber mussten sie lachen und wieder stürzte die Nuss ab. Sie mussten immer weiter lachen, auch Julian und Karolin glucksten, und selbst Emil kicherte. Dann tobten und spielten sie wie wild. Alle waren reichlich beschäftigt mit Nuss werfen, Nuss schlagen, zurückschlagen, fallenlassen, aufheben, essen, zuschauen und lachen.

Buntstiftzeichnung: Fledermaus Julian in seinem Schuh - © 2011 by Schattenblick

November 2011