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GUTE-NACHT/3647: Im Gewächshaus - Endlich frei (SB)

Gute-Nacht-Geschichten

Im Gewächshaus - Endlich frei

Enna starrt zur Zimmerdecke und kann es nicht fassen. Sie ist sauer. Elenor hat ihr gerade den letzten Joghurt vor der Nase weggeschnappt. Noch mehr ärgert sie sich aber darüber, daß nur die kleine Schwester Oma beim Vorlesen zuhören kann, während sie noch Hausaufgaben zu erledigen hat.

Mit einem Stöhnen erhebt sie sich vom Bett und geht hinüber zu ihrem Schreibtisch, der vor dem Fenster steht und einen herrlichen Blick über den Garten bis hin zum Gewächshauscafé bietet. Auch den kleinen Teich mit dem Springbrunnen kann Enna von ihrem Fenster aus erblicken. Da schwindet ihr Groll auf die kleine Schwester. Enna beginnt sogar zu schmunzeln. Noch vor Monaten hätte Enna niemals geglaubt, daß sich das Blatt noch einmal wenden könnte ...

*

... Enna erwacht in ihrem Barbiebett - ohne ein Ständchen zum Ehrentag von Mama oder Oma. Es gibt auch kein Geburtstagsfrühstück mit Schokolade und Kuchen im Bett. Das stimmt Enna traurig. Aber sie will nicht verzweifeln. "Vielleicht gibt es an diesem Tag doch noch eine Überraschung", denkt sie bei sich und schaut nach, ob Mama schon im Gewächshaus Vorbereitungen für das Frühstück ihrer Gäste getroffen hat.

Ja, mehrere Kuchen stehen am Tresen bereit und warten darauf, mit Genuß verspeist zu werden. Enna überlegt, ob sie sich vielleicht ein Stückchen stibitzen kann. Geschwind klettert sie vom Boden über den Stuhl zum Tresen hinauf. Im Laufe ihrer Zeit als Winzling hat sie sich ein Geschick im Klettern erworben. Bald ist sie auf der Spüle angelangt. Von hier balanciert sie hinüber zum Tresen mit den vielen Kuchensorten. Am liebsten würde Enna von jeder Torte ein Stück naschen. Aber dann begnügt sie sich mit ihrer Lieblingssorte. Schließlich soll Mama nicht denken, Mäuse seien im Café. Viel bekommt Enna nicht herunter, denn so eine winzige Person wie sie jetzt ist, hat eben nur einen kleinen Magen. "Ob die fehlende Ecke unentdeckt bleiben wird?", fragt sie sich. Denn sonst würde Mama die kleine Schwester am Ohr ziehen und sie ermahnen: "Du sollst doch nicht von meinen Torten naschen."

Süßes macht durstig. Enna nimmt sich einen Schluck Orangensaft, der beim Umschütten in ein Glas voll daneben gekleckert ist. Diese Pfütze reicht, damit Enna ihren Durst löschen kann. "Nun, das war mein Festtrank. Wo bleibt jetzt mein Geschenk?", fragt sich das Geburtstagskind. Auch dafür ist gesorgt. Enna fällt das gestern gefundene Überraschungsei wieder ein. Sie begibt sich auf den Weg zum Springbrunnen. Es dauert eine Weile bis sie dort anlangt.

Inzwischen entdeckt Mama die angeknabberte Torte und schimpft Elenor tüchtig aus. Leider versteht die gar nicht, was Mama will. Schließlich nascht sie nie von den Torten, die für die Gäste bestimmt sind. "Hätte ich doch bloß eine große Schwester. Dann würde sie allen Ärger abbekommen", geht es Elenor durch den Kopf. Den Beweis dafür liefert ihr täglich die Familie ihrer Freundin.

Am Springbrunnen angelangt, sucht Enna nach dem versteckten Überraschungsei. Sie zieht es aus dem Gebüsch heraus. Dann versucht sie, es zu öffnen. Das ist gar nicht einfach. Enna braucht etwas, womit sie den oberen Deckel von der unteren Eihälfte abhebeln kann. Enna versucht es mit einem Stöckchen, doch das bricht entzwei. Da hat Enna eine Idee: "Was wäre hier besser geeignet als ein Rolladenspieß von Mama. Also zurück in die Gästeküche."

Schon von weitem entdeckt Enna den ersten Gast, der sich gerade eingefunden hat. Enna hält sich bedeckt, auch wenn sie bisher noch von niemandem, der hier ein- und ausging, je wahrgenommen wurde. Beim Näherkommen erkennt Enna die Stimme des Gastes. "Das ist doch Papa!", freut sie sich und rennt los. Plötzlich aber hält sie inne. "Bestimmt wird auch er mich nicht wahrnehmen", geht es ihr durch den Kopf. Gleichzeitig regt sich eine Warnung in Ennas Kopf: "Was will er eigentlich. Schließlich haben Mama und er sich beim letzten Mal heftig gestritten. Wenn das wieder losgeht, kann er aber was erleben. Dann pikse ich ihn mit Mamas Rolladenspieß. Ob er das wohl merkt?" Schnell rennt Enna zur Caféküche.

Aber zu solch drastischen Maßnahmen kommt es nicht. Papa fragt vorsichtig an, ob er mit Mama etwas besprechen kann. Skeptisch nickt Mama, und die beiden setzen sich an einen Tisch. "Es tut mir leid, ich habe nur an mich gedacht und dich und die Kinder hintenan gestellt. Ich möchte es wieder gut machen und euch so oft es geht sehen."

Enna bekommt große Augen. "Hat Papa wirklich von Kindern gesprochen? Nicht nur von einem Kind?"

Mama scheint den gleichen Gedanken zu haben und entgegnet schließlich: "Was meinst du mit die Kinder? Weißt du nicht einmal mehr, daß es nur Elenor gibt?" Papa blickt Mama erschrocken an: "Ist Enna etwas passiert?"

Mama wirkt verärgert. "Nicht einmal den Namen deines Kindes hast du dir gemerkt. Das ist kein guter Neuanfang." Mama steht auf, auch Papa erhebt sich. "Natürlich weiß ich wie unsere Kinder heißen. Enna und Elenor!", protestiert Papa.

Enna wird es ganz warm ums Herz. Endlich ist da jemand, der sich an sie erinnert. Sie hat das Gefühl, als wenn aller Ärger und jede Sorge der vergangenen Wochen von ihr abfällt, als wenn sie plötzlich aufblüht wie eine Blume.

Mama will gerade etwas erwidern und blickt dabei in Ennas Richtung. Plötzlich bleibt sie mit offenem Mund und ohne ein Wort zu sagen erstaunt stehen. Dann fällt sie in Ohnmacht. Gerade kann Papa sie noch auffangen.

"Ist das wirklich gerade geschehen? Hat Mama mich gerade wieder wahrgenommen?", fragt sich Enna. Doch nicht lang, denn Papa ruft ihr zu: "Ein Glas Wasser! Bring bitte schnell ein Glas Wasser." Enna läuft zur Spüle hinüber und will gerade den Stuhl hinauf klettern, da bemerkt sie, daß sie nicht nur wieder sichtbar ist, sondern auch ihre ursprüngliche Größe zurück erlangt hat.

Was nun weiter geschehen wird? Na das ist doch klar ...

"Gute Nacht!"

zum 16. Juli 2014