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GUTE-NACHT/3541: Eine außergewöhnliche Bande - Teil 16 (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

Eine außergewöhnliche Bande



Der Zug der Schuhe, angeführt von den Stiefeln, wandert in Richtung Stadt. Am Ende des Zuges trotten die durchlöcherten Herrenschuhe, die immer wieder zurückblicken. Hätten sie vielleicht bei der traurigen Sandale bleiben sollen? Aber sie hatten doch versprochen die anderen Schuhe zum Obdachlosenheim zu geleiten. Eigentlich hatten auch sie Abenteuer erleben wollen. Dann aber verliebten sie sich Schnürsenkel über Lasche in die Sandalen. Leider war die eine Sandale verloren gegangen. Das war auch noch ein weiterer Grund, warum die durchlöcherten Herrenschuhe bei der einen Sandale bleiben wollten.

"Hey, ihr Leisetreter", rufen die Stiefel, "kommt nach vorn und zeigt uns den Weg. Jetzt wo wir am Anfang der Stadt sind, brauchen wir euch als Wegweiser." Die durchlöcherten Herrenschuhe schütteln die traurigen Gedanken ab und beeilen sich nach vorne zu gelangen. "Hier geht es lang", sagen sie dann und schreiten als erste voran.

"Ist der Weg noch weit?", rufen die goldenen Damenschuhe, denen dieser Marsch wieder zuviel ist. "Wir hätten auch bei der Sandale bleiben sollen", stöhnt der linke, goldene Damenschuh schwer. "Tja, wenn du ab jetzt immer Wind und Regen ausgesetzt sein willst, hättest du dort bleiben sollen. Ich für meinen Teil suche einen gemütlicheren Unterschlupf. Dabei denke ich an soetwas wie ein Theater. Dort ist das Leben sicher herrlich", der rechte goldene Damenschuh weiß genau, was er will. Da kann der Linke nur staunen: "Wie willst du in so ein Theater kommen?" Der rechte Schuh überlegt. Aber dann ist er sich sicher, daß sie auf ihrem Weg in die Stadt bestimmt an einem Theater vorbeikommen werden. Die vielen Lichter, die ihnen von der Stadt her entgegenstrahlen lassen den rechten goldenen Damenschuh auf die Erfüllung seiner Träume hoffen.

Dann aber werden die Lichter plötzlich weniger. Die durchlöcherten Herrenschuhe haben einen Weg eingeschlagen, der in eine trostlosere Gegend der Stadt führt. Das behagt den goldenen Damenschuhen gar nicht. Aber vorerst trotten sie murrend den anderen hinterher. Endlich hält der Zug der Schuhe inne. "Wir sind da", verkünden die durchlöcherten Herrenschuhe.

Alle schauen sich um. "Wo steckt nun dieser Willi?", fragen die Stiefel. "Laßt uns zu seinem Stammplatz gehen. Dort drüben im Vorbau der alten Gartenlaube liegt er meist." Die Schuhe haben Glück. Auf der Bank finden sie den Landstreicher Willi, ausgestreckt und mit wenigen Zeitungen zugedeckt. Er schnarcht. An seinen Füßen stecken ein Paar Herrenschuhe, die gar nicht zu einem Landstreicher passen. Das liegt daran, daß Willi dieses Paar Schuhe erst kürzlich gefunden und gegen seine alten durchlöcherten Schuhe ausgetauscht hat.

"Versteckt euch, damit euch keiner sieht", sagen die Stiefel, "wir gehen hinüber und fragen, wie es unseren Freunden geht." Die anderen Schuhe wollen sich aber nicht verstecken. Sie alle wollen mit, und da es Nacht ist, sollte das ja auch kein Problem sein.

Das ist ein Geschnatter. Endlich hat die Schuheschlange die noch gut erhaltenen, wenn jetzt auch schon ein wenig staubigen, Herrenschuhe wiedergefunden. Diese sind sehr überrascht, die vielen Schuhe aus ihrem bereits in Vergessenheit geratenem früheren Leben hier zu sehen.

"Was führt euch her?", fragen sie. "Na ihr!", antworten die Schuhe im Chor. Jetzt berichten die Stiefel, was sich inzwischen alles zugetragen hat. Und dann stellen sie die eine wichtige Frage: "Kommt ihr wieder mit uns auf Abenteuer?" Die Herrenschuhe an Willis Füßen sind sichtlich erstaunt. So einen langen Marsch haben die anderen Schuhe auf sich genommen, nur um sie zu fragen, ob sie wieder mit ihnen ziehen wollen. "Wir sind sehr gerührt über euer Handeln. Doch ich habe den alten Willi inzwischen so gut kennengelernt, daß ich bei ihm bleiben möchte. Ihr würdet erstaunt sein, was er schon so alles erlebt hat. Morgen brechen wir auf und wollen nach Italien ziehen. Dort soll es sehr warm sein und Zitronen sollen da wachsen. Ich möchte gern in das Land in dem Zitronen blühen. Seid ihr uns nun sehr böse, daß wir uns euch nicht wieder anschließen?" Die Schuhe überlegen. Ein bißchen anstrengend war der Weg schon hierher. Doch wenn es den Herrenschuhen hier bei Willi gut gefällt, dann sollen sie ruhig bleiben.

"Was machen wir aber jetzt?", fragen die Wanderschuhe. "Ihr könnt euch in der Gartenlaube verstecken und dort den nächsten Tag über bleiben. Denn wenn euch einer entdeckt, werdet ihr bald keine Gemeinschaft mehr sein. Ihr werdet getrennt voneinander und jeder landet an irgendwelchen Füßen. Hier sind die Leute sehr arm und immer froh über jedes Stück, das ein wenig besser aussieht als das, was sie bereits tragen.

So klettern die Schuhe durch ein loses Brett in der Gartenlaubenwand und suchen sich dahinter jeder ein ruhiges Plätzchen. "Morgen sehen wir dann weiter", sagen die Stiefel und wünschen allen noch eine:

"Gute Nacht!"



zum 17. März 2012