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GUTE-NACHT/3511: Im Schuhschrank ist die Hölle los - Teil  6 (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

I m   S c h u h s c h r a n k   i s t   d i e   H ö l l e   l o s


Huh! Huh! Huh! Geisterstunde. Die Kirchturmglocken läuteten genau zwölf Mal. An die Scheiben des Fensters im Flur schlugen die Äste des Holunderbusches. Der Wind peitschte heute mächtig ums Haus. Es war so richtig ungemütlich. Zu allem Übel zuckten auch noch Blitze über den Himmel und der Donner grollte. Vom letzten Donnerschlag waren inzwischen alle Bewohner des Schuhregals erwacht.

"Mitternacht! Habt Ihr es gehört? Habt Ihr es alle gehört?" weckte einer der Wanderschuhe auch den allerletzten noch schläfrigen Schuh auf. Manchmal feierten die Schuhe zur Mitternachtszeit eine tolle Party. Doch heute Nacht war es irgendwie ungemütlich. Nicht einmal der Mond schien durchs Fenster. Entweder war er wegen des Unwetters zuhause geblieben und versteckte sich hinter den Wolken, oder er war mal wieder zur Anprobe bei seinem Schneider, der ja alle Nas' lang, die Anzüge des Herrn Mond ändern mußte, da er mal zu dünn und dann wieder zu dick war. So berichtete es jedenfalls eine Geschichte, die der kleine Turnschuh mal im Zimmer des kleinen Tonis gehört hatte.

Es war an einem Nachmittag, als Toni sich mit seinen Sportsachen aufs Bett geschmissen hatte und Kassette hörte. Damals war der Bruder des kleinen Turnschuhs noch nicht verschwunden. Beide Brüder steckten an den Füßen des kleinen Tonis. Eher war es umgekehrt. Die Füße des kleinen Tonis steckten in den beiden Turnschuhen. Toni betrachtete sich die beiden Schuhe und war stolz auf sie. Er hatte sich schon lange genau diese Turnschuhe gewünscht. Deshalb zog er sie jetzt auch nicht aus, obwohl er auf seinem Bett lag. Dann aber kam Tonis Mutter herein. Ihr war die Lautstärke, mit der Toni seine Kassette abspielte, einfach zu laut. Sie kam, sah und siegte - könnte man sagen. Denn sie kam ins Zimmer, sah Toni mit seinen Turnschuhen auf dem Bett liegen und begann loszuschimpfen: "Zieh gefälligst deine Schuhe aus, wenn du dich aufs Bett legst und dreh die Lautstärke leiser. Ich kann ja mein eigenes Wort nicht mehr verstehen." Toni setzte sich auf, und Mutter verließ den Raum, um nur eine Sekunde später den Staubsauger einzuschalten. Dieses Monstrum, vor dem Toni als er noch klein war immer flüchtete, wenn seine Mutter ihn anschaltete. Toni legte sich wieder zurück - ohne die Turnschuhe auszuziehen - und hielt sich ein Kissen über den Kopf. Die Geschichte vom Mond konnte Toni nun nicht mehr verstehen. Nach einiger Zeit verstummte der Staubsauger.

Es dauerte nicht lange, da kam Tonis Mutter wieder ins Zimmer geschossen: "Ich habe dir doch gesagt, du sollst dein Radio leise drehen!" - "Das ist nicht das Radio. Das ist Kassette!" entgegnete Toni. "Das ist mir egal. Jedenfalls stelle ich es jetzt ab, da du dich ja nicht darum kümmerst." Gesagt getan, der Mond konnte nun nicht mehr sagen, ob ihm diesmal der Anzug bei der Anprobe paßte. Mutters Blick wand sich wieder Toni zu, der auf dem Bett lag und noch immer die Turnschuhe an seinen Füßen trug. "Habe ich dir nicht auch gesagt, daß du nicht mit Schuhen ins Bett sollst? Du machst ja alles dreckig!" Mutter war richtig sauer. Sie trat an das Bett heran, zog ihrem Sohn unsanft die Turnschuhe aus und pfefferte dann einen nach dem anderen durchs Zimmer. Ohne weitere Worte verließ sie den Raum. Mutter konnte schon ganz schön wütend werden. Nun war Toni war sauer und traurig. Schließlich hatte Mutter seine Lieblingsschuhe durch die Gegend geworfen. Toni stand auf. Einen Turnschuh fand er sogleich wieder. Nach dem zweiten mußte er eine Weile suchen. Der war in Tonis Wäschekorb gelandet. In den Wäschekorb!

An diese ganze Aktion hatte der kleine Turnschuh jetzt gerade gedacht, als er den Mond vermißte. Darüber kam ihm eine Idee, er sollte doch nach seinem Bruder noch einmal gründlich in Tonis Zimmer schauen. Vielleicht hatte er in der vergangenen Nacht dort einfach nicht richtig nachgesehen. Diesmal würde er seinen Bruder auch rufen. Selbst wenn das ganze Haus wach werden würde. Sollten sie sich doch erschrecken und fortlaufen, diese ganzen Hausbewohner. Die gingen ja sowieso nicht gerade sorgsam mit ihm und all seinen anderen Artgenossen um. Der Wind peitschte noch immer die Holunderzweige gegen das Fenster und dunkel war es auch noch. Doch das störte den kleinen Turnschuh nicht, er machte sich auf den Weg zu Tonis Zimmer. Keiner der anderen Schuhe hielt ihn zurück. Die meisten waren eh schon wieder eingeschlafen oder mit ihrer Angst vor dem Sturm beschäftigt.

Die Dunkelheit des Flurs verbarg die Gestalt des kleinen Turnschuhs, sowie seines Schattens, und das Geheul des Windes ließ auch keinen Laut durchdringen. So blieb der kleine Turnschuh auf seiner erneuten Suche nach seinem Bruder unentdeckt und keiner der Schuhe vermißte ihn. Stop! Einer vermißte ihn. Das war der, zu dem sich der kleine Turnschuh gerade auf den Weg machte. Doch bis der kleine Turnschuh seinen Bruder findet, kann der andere ruhig ein bißchen schlafen.


Gute Nacht

zum 9. Januar 2012