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GUTE-NACHT/3502: Boardy - entführt, gestohlen, verlacht ... (SB)


Gute-Nacht-Geschichte von Boardy


Boardy - ein Skateboard sucht den Weihnachtsmann


2



Der eine geht, der andere kommt. Während der Mann mit dem grimmigen Gesichtsausdruck und dem Sack unterm Arm in der morgendlichen Winterdüsternis verschwindet, taucht aus der Dunkelheit heraus eine noch junge Frau auf. Hätte der Zufall es gewollt, die beiden wären glatt zusammengestoßen. Doch der Zufall schlägt heute erst später zu.

Ohne Zusammenstoß betritt die Frau die Post und steuert direkt den Postschalter an. "Haben sie am letzten Öffnungstag kurz vor dem Schließen der Filiale ein Skateboard gefunden? Wurde es vielleicht abgegeben? Mein Junge hat es hier vergessen." Die Frau scheint ziemlich nervös. Der Postbeamte meint, er habe nichts gesehen, wolle aber mal nachfragen. Er geht nach hinten. Dort trifft er seine Kollegin, der er die Frage weiterstellt.

Die Frau erinnert sich und ihre Augen leuchten. "Kleinen Moment!", sagt sie zu ihrem Kollegen und geht zum Regal mit den Fundsachen - viele Leute lassen hier ihre Dinge liegen und holen sie niemals wieder ab. Die Postangestellte weiß noch genau, wohin sie das Skateboard gelegt hat. Doch als sie nachsieht, ist das Board nicht mehr da. Ein Riesenschreck durchfährt sie. Sie hatte das Board doch eigenhändig hier abgelegt. Aber wer würde ihr das glauben, war sie doch erst im vergangenen Monat verdächtigt worden, ihrer Kollegin etwas gestohlen zu haben. Zwar stellte sich die Anschuldigung später als falsch heraus. Doch der Zweifel einiger Personen war an ihr haften geblieben. Immer noch tuschelten einige Kolleginnen hinter ihrem Rücken über sie. Das durfte nicht noch schlimmer werden. Deshalb mußte sie etwas Zeit gewinnen, um herauszufinden, wo das verdammte Board geblieben war.

"Tut mir leid, Swiffer!", sagt die Postangestellte, "ein Skateboard ist zwischen den Fundsachen nicht zu entdecken. Vielleicht taucht es aber noch auf. Soll die Kundin doch in ein paar Tagen ein weiteres Mal nachfragen." In dieser Weise gibt nun der befragte Postschalterbeamte die Nachricht weiter. Die Kundin scheint über diese Antwort nicht sehr beglückt zu sein. Es breitet sich sogar Panik auf ihrem Gesicht aus.

Schnellen Schrittes verläßt Kennys Mutter die Post, überquert die Straße und will beim Bäcker nachfragen. Vielleicht hatte Kenny sein Brett, das er stets nur Boardy nennt, ja dort vergessen.

Schon von der Straße her sieht Kenny's Mutter, daß beim Bäcker heute Hochbetrieb herrscht. "An diesem Morgen will wohl jeder frische Brötchen essen", sie. Doch der Stau an der Kasse kommt nicht durch die vielen Kunden zustande, sondern ein grimmig dreinschauender Mann mit einem Sack unter dem Arm zahlt sein Brot mit vielen kleinen Centstücken. Die Verkäuferin braucht eine Weile, um den Betrag für das Brot abzuzählen. Die anderen Kunden werden schon ungeduldig und werfen giftige Blicke hinter dem Mann hinterher, als dieser die Bäckerei wieder verläßt. Er blickt zu Boden, denn es ist ihm selber peinlich, daß er den ganzen Ablauf in der Bäckerei so lange aufgehalten hat. Doch was soll er machen. Von seinem Konto drüben bei der Post konnte er kein Geld abheben. Der gezogene Auszug hatte ergeben, daß das Kindergeld gekürzt worden war. "Diese verdammten Schweine!", hatte der Mann nur gedacht, "wie können sie so mit uns umspringen. Sie haben mir eine Frist bis Januar gegeben, damit mein Sohn seine Papiere, die belegen, daß er eine Ausbildung sucht, einreichen kann. Doch schon im Vorhinein kürzen sie das Kindergeld, obwohl es bis Dezember ohne Schwierigkeiten hätte weiterlaufen können. Wie soll ich jetzt meinen Kindern bloß etwas zu Weihnachten kaufen? Die letzten Cents aus meinem Spartopf gehen für das nötige Essen drauf ..."

So in Gedanken verläßt der Mann den Laden und stößt dabei direkt mit einer viel zu schnell den Laden ansteuernden jungen Frau zusammen. "Können sie nicht aufpassen!", schnauzt er die Frau an, was ihm im nächsten Moment bereits leid tut. Doch für eine Entschuldigung ist er jetzt nicht aufgelegt. Schließlich wird auch ihm ständig übel mitgespielt, daß er sich gar mit gefundenen Sachen begnügen muß, um wenigstens etwas für seine Kinder zu Weihnachten unter den Baum legen zu können. Weihnachtsbaum! Pah, einen neuen wird es dieses Jahr nicht geben. Vermutlich muß der kleine Baum, den er im Frühjahr in den Garten gepflanzt hatte, dafür herhalten.

"Entschuldigen Sie", sagt jetzt die Frau, "ich habe ihren Sack nicht gesehen und bin dagegen gestoßen. Nochmals Entschuldigung."

Hier trennen sich wieder die Wege des Vaters einer Familie mit drei Kindern und der Mutter eines Sohnes, dessen Lieblingsspielzeug ein Skateboard namens Boardy war - und es nun nicht mehr ist, weil das Board auf seiner Suche nach dem Weihnachtsmann verloren ging und auf dieser Suche von einem grimmig dreinschauenden Mann in einen Sack gesteckt und weggeschleppt wurde.


*


Noch immer im Sack steckend, versucht Boardy herauszubekommen, wo er sich jetzt befindet. Ein wenig kann er durch die Netzstruktur des Sackes hindurchblicken. Es scheint, als habe ihn der grimmige Mann in ein dunkles Verlies, vielleicht einen Kellerraum, verschleppt. Der Mann selbst ist nicht mehr hier. Doch es dauert nicht lange, da taucht er bereits wieder auf. Ein Poltern und helles Licht kündigen ihn an. Das Licht dringt durch die grobmaschige Jute auch zu Boardy in den Sack hinein. Die ganze Gewalt des grellen Lichtes erfährt er jedoch erst, als der Mann den Sack öffnet und das Skateboard herauszieht. Was hat der Mann nun mit ihm vor?

Boardy schaut sich um. Ja wirklich, er befindet sich hier in einem Keller. Dieser ist gar nicht so übel eingerichtet. Kennys Vater hat ebenso einen solchen Raum, doch der ist nicht so ordentlich aufgeräumt. Hier ist es dagegen sehr gemütlich. Es ist fast ein bißchen wie in einem Spielzimmer. In einer Ecke steht ein Puppenhaus aus Holz. In der anderen ein großes Schaukelpferd. So ein schönes Pferd hat Boardy noch niemals zuvor gesehen.

Ein plötzliches lautes Geräusch schreckt Boardy auf. Es ist das Geräusch einer Säge, die der Mann angestellt hat. Nun verstummt das Geräusch wieder und süße Weihnachtsmusik erklingt. "Ob der Mann vielleicht der Weihnachtsmann ist?", überlegt Boardy, "einen Sack hatte er schließlich dabei." Wenn dem so sein sollte, ist Boardy jetzt nicht in irgendeinem Keller, sondern in der Werkstatt des Weihnachtsmannes. Das würde auch das Puppenhaus und das schöne Pferd erklären. Kennys Mutter hatte einmal eine Geschichte von der Weihnachtswerkstatt vorgelesen. Doch wo blieben hier die Wichtel?

Noch einer anderen Merkwürdigkeit geht Boardy nach, warum trug der Mann, wenn er der wirkliche Weihnachtsmann ist, keine roten Sachen, als er Boardy mitnahm. Wollte er vielleicht nicht erkannt werden? Es ist ja schließlich auch noch nicht Weihnachten.

Boardy kombiniert weiter. Der Weihnachtsmann versteht sicher nicht nur die vielen Sprachen der Menschen, sondern auch die der Tiere und der Spielsachen. Es müßte also für Boardy leicht sein, herauszufinden, ob er hier beim Weihnachtsmann ist oder nicht, indem er einfach versucht mit diesem Mann zu sprechen. Doch der Mann hat Ohrenschützer aufgesetzt. Kann er da Boardy überhaupt hören? Boardy versucht es: "Du, Weihnachtsmann, ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen!" Der Mann dreht sich um und geht direkt auf Boardy zu. "Ja, jetzt bist du an der Reihe!", sagt er. Boardy atmet auf. Er ist also hier in der Weihnachtswerkstatt angekommen." Doch gleich wird Boardy eine böse Überraschung erleben!

Der Weihnachtsmann nimmt das Skateboard hoch und besieht sich die Unterseite. Besonders interessieren ihn die kleinen Räder. "Meine Rollen sind spitze, nicht wahr!", erklärt Boardy dem Weihnachtsmann. Der scheint ihm zuzustimmen, denn er nickt mit dem Kopf. Jetzt stutzt er: "Hoffentlich habe ich einen passenden Schraubenzieher." - "Wozu einen Schraubenzieher?", fragt Boardy, "ich bin doch voll in Ordnung, voll funktionstüchtig." - "Ich werde die Rollen hier abschrauben und dem Pferd unterschrauben. Das wird klasse", freut sich der Mann. "Nein!", mehr fällt Boardy nicht ein, hatte er doch gedacht hier beim Weihnachtsmann in dessen Werkstatt zu sein. Doch wäre dieser wirklich in der Lage, ein heiles Spielzeug zu zerstören, nur um ein anderes noch wirkungsvoller zu bauen? Das kann Boardy wirklich nicht glauben. "Hier ist nicht die Weihnachtsmannwerkstatt. Es gibt auch keine Wichtel. Ich muß hier sofort verschwinden. Denn sonst schafft es der grimmige Mann doch noch, meine Rollen abzumontieren, um sie an das Schaukelpferd drüben in der Ecke zu schrauben."

Aber wie soll Boardy das anstellen? Gerade will der Mann einen Schraubenzieher holen, da klopft es an der Tür und eine Stimme ist zu hören: "Papa!" - "Was willst du. Du weißt doch, daß ich bis Weihnachten hier unten niemanden von euch Kindern sehen will!" - "Ja, ich weiß. Aber Mama hat gesagt, ich soll dir unbedingt jetzt meine Wunschliste geben. Die anderen haben sie doch in ihre Schuhe zum Nikolaustag gesteckt, und Mutter will nicht, daß Berry und Tina sehen, daß ihr älterer Bruder noch seine Wunschliste hat. Also ich schiebe sie dir unter der Kellertür durch. Mama hat gesagt, du sollst sie bitte gleich lesen!"

Ein Blatt Papier wird unter der Tür hindurchgeschoben, anschließend sind Schritte auf der Treppe zu hören, die immer schwächer werden. "Was soll das bloß?", schimpft der Mann, den Boardy für den Weihnachtsmann gehalten hat. "Aber Weihnachtsmänner haben keine eigenen Kinder und wohl auch keine Weihnachtsfrau", bestärken Boardy. Davon hatte Kennys Mutter schließlich noch nie etwas gesagt. "Also bin ich wirklich nicht in die Weihnachtswerkstatt geraten, sondern bloß in irgendeinen Keller entführt worden", denkt Boardy, "aber was will der Mann von mir? Nur meine Rollen? Oder noch Schlimmeres? Vielleicht hat es alles mit den Wünschen seiner Kinder zu tun. Ja, das wird es sein. Ich muß hier verschwinden."

Der Mann kümmert sich nicht um die Wunschliste seines Sohnes, sondern holt sich einen dicken Schraubenzieher aus der Werkzeugkiste. Damit geht er zur Werkbank, auf der Boardy steht, und hebt das Skateboard erneut hoch. Er besieht sich die Räder noch einmal und setzt den Schraubenzieher an. Boardy bekommt einen Mordsschreck. "Mist, der Schraubenzieher ist zu groß", schimpft der Mann, "holen wir eben einen kleineren und schrauben dann die Räder ab. Wenn sie erst unter dem Pferd sind, kann Berry mit seinem neuen Schaukelpferd schaukeln und gleichzeitig fahren." Der Mann setzt Boardy zurück auf die Werkbank und holt sich einen anderen Schraubenzieher. Dabei kommt er an der Kellertür vorbei. Er bückt sich und hebt die Wunschliste seines älteren Sohnes auf. Er ist erstaunt, hier keine lange Liste mit vielen Wünschen zu finden, die hätte er jetzt auch erstmal beiseite gelegt und sie später gelesen, denn er will endlich die Rollen von dem Skateboard abschrauben. Doch da nur ein einziger Wunsch auf dem Zettel steht, liest der Vater diesen sofort. "Potzblitz!" kommt plötzlich über die Lippen des Mannes, "wer hätte das gedacht? Da haben wir aber nochmal Glück gehabt. Gut, daß ich noch nicht die kleinen Räder abgeschraubt und unter dem Pferd befestigt habe und auch gut, daß aus dem geschwungenen Brett noch kein Blumenregal für meine Frau geworden ist. Timmy du kannst dich freuen, dein Wunsch geht in Erfüllung!"


*


"Potzblitz", entfährt es gleich noch einmal dem Mann, "da hätte ich mir ja fast doppelte Arbeit aufgehalst. Warum gibt der Junge auch nie etwas preis. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich doch sofort beim Anblick des Skateboards an meinen Großen gedacht."

Der Mann holt sich einen feuchten Lappen und wischt das Skateboard schön sauber. Mit einem zweiten Lappen trocknet er das Board wieder ab. "Nachher werde ich dich gleich schön einpacken und eine große Schleife daran binden. So haben wir wenigstens schon einmal ein fertiges Geschenk. Ich denke, es wird gleich Mittagessen geben. Ich gehe mal nachsehen. Du aber bleibst schön hier, sonst setzt es was!"

Hatte der Mann Boardys Gedanken gelesen? Konnte er auch ohne Weihnachtsmann zu sein die Sprache der Dinge verstehen? Im Grunde ist es Boardy egal. Wenn der Mann jetzt fort ist, muß er sofort die Chance ergreifen und hier aus dem Keller verschwinden, bevor er in irgendwelches Geschenkpapier verpackt wird.

Boardy hat Glück. Denn der Mann hat die Kellertür nicht abgeschlossen. Doch was ist das? Vorsichtig wird die Kellertür aufgedrückt. "Wer ist da?", ruft Boardy. Doch er erhält keine Antwort. Ein kleiner Junge schiebt sich in den Kellerraum und versucht dabei sehr leise zu sein. Boardy denkt sich sofort, daß dieser Junge auch eines der Kinder des Mannes ist. Keine Zeit verliert der Junge. Er hat das Skateboard sofort entdeckt, schnappt es sich und läuft mit ihm die Treppe hinauf und im Erdgeschoß aus der Haustür hinaus. Hier rennt er schleunigst um die Ecke. Er hat nicht viel Zeit, das Board auszuprobieren. Denn Vater wird nach seiner Mittagsruhe gleich wieder in den Keller eilen. Dann muß das Board allemal am alten Platz stehen. Der Junge freut sich, daß er das Gespräch zwischen Vater und Mutter belauscht hat. Deshalb wußte er von dem Skateboard. Es ist für seinen großen Bruder bestimmt. Doch wenn der das Board erst mal in den Händen hält, besteht nicht die geringste Chance, es auch einmal selber auszuprobieren. Also stahl sich der kleine Bruder gleich in den Keller, schnappte sich das Board und probiert es nun auf der Straße vor dem Haus aus.

Es macht Spaß auf dem Skateboard hin und her zu fahren. Doch was ist das? Da kommen die großen Jungs aus dem Nachbarhaus. Die haben schon einmal seinen älteren Bruder verhauen. Dennis nimmt das Board schleunigst unter den Arm und versucht zurück ins Haus zu gelangen. Er schafft es auch gerade, doch die Tür fällt nicht mehr ins Schloß.

"Wolltest du vielleicht mit meinem Board verschwinden?", trumpft der Größte der Jungen auf. "Es ist nicht dein Board!" - "So, nicht nur Klauen, auch noch Lügen tut der Kleine! Sollen wir das mal deinem Vater erzählen?" Oben im Haus geht eine Tür. "Verziehen wir uns", befiehlt der Anführer des kleinen Trupps, "aber mein Board nehme ich mit!" Mit diesen Worten reißt der ältere Junge dem kleineren das Board aus der Hand und läuft davon. Tränen schießen Dennis in die Augen. Aber nicht Tränen der Trauer oder der Schmach, sondern Tränen der Wut! "Euch werde ich es schon zeigen!", weiß der Junge und fügt im Stillen an, "wenn ich das Donnerwetter meines Vaters überlebe."


*


Während Boardy nun bei dem Anführer der vier Jungen unter dem Bett steht, liegt Kenny, dem das Skateboard eigentlich gehört, zuhause im Bett. Er ist traurig, weil das Board, sein Lieblingsspielzeug, fort ist und er nicht einmal weiß, ob er es irgendwo abstellte oder ob es ihm gestohlen wurde. Er macht sich große Vorwürfe. Seine Mutter versucht ihn durch das Vorlesen einer Geschichte von seinem Kummer abzulenken.


Die Sage von der Christrose

In der Heiligen Nacht als das Jesuskind
geboren wurde, sahen die Hirten den Stern
über dem Stall zu Bethlehem. Auch ein
Engel sprach zu ihnen und trug ihnen
auf, den neuen König der Welt zu begrüßen.
Die Hirten wollten nicht mit leeren
Händen kommen. So nahmen sie mit, was
sie hatten. Honig, Butter, einen Krug
Milch, Wolle vom Schaf und auch ein
kleines Lammfell war unter den Gaben.
Alle Hirten zogen mit einem Geschenk
los. Nur der Hirtenjunge hatte nichts.
Deshalb suchte er auf der Winterflur
nach einem Blümchen, konnte aber in
der Kälte keines finden. Das machte ihn
so traurig, daß er zu weinen begann.
Aber, oh Wunder, dort wo die Tränen die
Erde berührten, sprossen kleine Blümchen
aus dem Boden. Die Blüten sahen wie
Rosen aus. Inmitten von fünf weißen
Blütenblättern stand ein Kranz aus
goldenen Staubgefäßen, die einer Krone
glichen. Der Hirtenjunge brach eine
Blüte ab und brachte sie dem Jesuskind.
Voller Freude legte der Knabe die Blume
dem Jesuskind in die Krippe. Segnend
legte das Jesuskind seine Händchen auf
das Wunder.

Von dieser Zeit an blüht jedes Jahr in
der Weihnachtsnacht diese Blume, die die
Menschen Christrose nennen.


Kenny weiß, daß seine Mutter ihn aufheitern will. Doch er hat gar nicht richtig hingehört. "Mama, können wir morgen noch mal nach Boardy in der Stadt suchen? Vielleicht geht es ihm gar nicht gut!" Mutter verspricht ihrem Sohn, was er will. Sie kann nicht mit ansehen, wie er leidet. Insgeheim hat sie beschlossen, Kenny ein neues Skateboard zu kaufen, wenn bis Weihnachten das alte nicht wieder auftaucht.


*


Boardy ist längst nicht mehr im Keller des Mannes, der ihn bei der Post in einen Sack steckte, auch fährt dessen jüngster Sohn nicht mehr mit dem Skateboard vor dem Haus herum. Genausowenig liegt das Board noch unter dem Bett des Anführers der vierköpfigen Gang. Sondern ...

... Boardy ist auf dem Weg mit dem Bus in die Stadt. Bald werden die vier Jungen und das Skateboard dort ankommen. Der Anführer der Gang will auf dem Weihnachtsmarkt mal so richtig allen mit seinem neuen fahrbahren Untersatz einheizen. Einer seiner Anhänger hat dagegen so seine Zweifel und grübelt, ob denn der "Boss" überhaupt Skateboard fahren kann. Klar, im Fernsehen sieht das immer so cool aus. Doch Tobi, so heißt der Junge, hat es schon selber einmal ausprobiert und weiß wie schwer das Fahren auf einem Brett ohne Lenkstange ist. Er bewundert die Jungs, die alles mögliche mit diesen Brettern anstellen und sogar mit ihnen durch die Luft fliegen können.

In einem anderen Teil der Stadt macht sich Kenny mit seiner Mutter ebenfalls auf den Weg zum Weihnachtsmarkt. Kenny will dort versuchen Boardy wiederzufinden. Damit ihm das gelingt, hat er einen Handzettel geschrieben und mehrmals kopiert. "Suche mein Skateboard, wer hat es gesehen. Bitte melden! Wer Boardy zurückbringt, erhält einen Finderlohn."

Boardy selber freut sich, daß es in die Stadt und zum Weihnachtsmarkt geht. Er hat die Jungen miteinander reden hören. Dort sei immer viel los und man könne sich vom Weihnachtsmann Schokolade holen. Dabei hatten die Jungen gelacht. Das hörte sich nicht gerade freundlich an. Doch die Nachricht, daß der Weihnachtsmann auch dort wäre, haute Boardy fast um. Gerade dahin ist er ja unterwegs. Er will den Weihnachtsmann treffen, um ihm zu sagen, daß er Kenny bitte kein neues Board zu Weihnachten bringen darf, damit dadurch die Freundschaft nicht in Gefahr gerät. Aber nach den Erlebnissen der letzten Tage will Boardy den Weihnachtsmann auch noch um etwas anderes bitten. Boardy wünscht sich nichts sehnlicher, als wieder zuhause bei Kenny zu sein.

"Hey, Platz da, jetzt komm ich!", schreit der Boss. Ehrfürchtig schauen seine Kumpels zu, wie ihr Anführer durchstartet. Tobi ist der einzige, der sieht, daß es der Boss noch nicht wirklich gut drauf hat. Wenn er nicht aufpaßt, fährt er glatt in eine dieser Buden hinein.

Auf dem Platz vor dem großen Kaufhaus hat sich eine Menschenmenge versammelt. Ein Mann hält eine Ansprache, bei der es um Spenden für Kinder in Not geht: "Helfen sie mit ..." Am Ende der Ansprache folgt ein Weihnachtslied. Das "Kling Glöckchen klingelingeling" soll die Herzen der Menschen erweichen und den Griff in ihre Geldbeutel erleichtern. Danach kommt der Auftritt des Weihnachtsmannes. Die Kinder stehen schon Schlange. Alle möchten ihre Wünsche loswerden.

Auch Kenny steht an. Endlich ist er an der Reihe. Er möchte vom Weihnachtsmann wissen, ob dieser seinen Wunschzettel erhalten habe. Der Weihnachtsmann nickt. Kenny flüstert etwas, das nur der Weihnachtsmann hören soll. Das was der Weihnachtsmann nun sagt, können allerdings auch die umstehenden Kinder verstehen. "So, du hast nur noch einen einzigen Wunsch und ich soll deine ganze Wunschliste vergessen." - "Ja", nickt Kenny und händigt auch dem Weihnachtsmann einen Steckbrief über einen Vermißten aus. Schon drängelt das nächste Kind und schiebt Kenny förmlich zur Seite. Der Weihnachtsmann findet nicht einmal Zeit, Kenny wenigstens mit den Augen zu signalisieren, daß er ihm helfen wird. Traurig kehrt Kenny zu seiner Mutter zurück und will nach Hause.

"Platz da, Platz!", schreit ein Junge auf seinem rollenden Vehikel. Er kann seinen fahrenden Untersatz nicht mehr stoppen. Wenn es nicht so gefährlich wäre, würde sich Tobi fast kranklachen. Doch lieber versucht er seinem Boss zu Hilfe zu eilen, der geradewegs in die Menschenmenge vor dem Kaufhaus hineinzurasen scheint!

Dann ist es passiert. Ein paar Kinder hatten noch Zeit, an die Seite zu springen. Andere fielen mit dem großen Jungen um. Dieser weiß sofort Bescheid. Hier heißt es bloß noch abhauen. Sonst wird er noch zur Verantwortung gezogen. Zwei seiner Kumpels haben sich bereits in Luft aufgelöst. Zeit, das Skateboard zu schnappen, das er nicht lenken nur lossausen lassen konnte, bleibt keine mehr. Das Board rollt alleine noch ein Stück weiter und landet genau unter einem der Wohnwagen, die als Marktbude dienen.

Hier unten verschnauft Boardy erst einmal. Der Weihnachtsmann hingegen, der auch mitten in der Menschentraube dabei war, ist sich sicher, solch gefährliche Spielzeuge würde er als Geschenkeüberbringer keinem dieser Kinder schenken, und er wirft den gerade erhaltenen Steckbrief fort.

Auch Tobi hat sich aus dem Staub gemacht, nachdem er den Anführer seiner Gang außer Gefahr wußte. Dieser schimpfte auf das Scheißboard! "Die Rollen waren nicht in Ordnung. Eines wollte gerade abfallen! Ich konnte mich gerade noch retten. So ein kleiner armer Pisser kann ja auch kein teures Board haben. Das hätte ich wissen müssen. Ich sollte mir von ihm Schmerzensgeld holen!" So war der Anführer der Gang am Fluchen. Tobi allerdings läßt sich nichts vormachen. Auf seinem Heimweg nimmt er einen kleinen Umweg und geht noch einmal über den Weihnachtsmarkt. Wenn keiner das Board mitgenommen hat, mußte es hier noch irgendwo sein. Dann wird Tobi ja herausfinden, was es mit der kaputten Rolle auf sich hat. Er mag nicht glauben, daß da wirklich etwas kaputtgegangen ist. "So ein Brett ist nur gefährlich, wenn man nicht damit umgehen kann. Aber dann ist selbst ein Dreirad gefährlich und kann zu einem Verkehrshindernis werden!", denkt Tobi und beginnt mit der Suche.


*


Unter einem der vielen weihnachtlich geschmückten Wohnwagen liegt ein kleiner Kerl und ist traurig. Jetzt ist er auf dem Weihnachtsmarkt, aber hat den Weihnachtsmann doch nicht getroffen. Nunja, getroffen hätte er ihn sogar beinahe, aber nicht gerade in einer angenehmen Art und Weise. Denn hätte Boardy noch ein bißchen mehr Fahrt drauf gehabt oder sein Fahrer hätte eine andere Kurve gekriegt, wäre Boardy sogar direkt mit dem Weihnachtsmann zusammengestoßen.

Alles war viel zu schnell gegangen. Der Junge, den seine Kumpels nur Boss nennen, war geradewegs in eine Menschentraube hineingerast. Die Geschwindigkeit, die das Skateboard noch drauf hatte, nachdem Boss abgesprungen war, ließ ihn bis unter einen Wohnwagen sausen. Und hier liegt Boardy nun und wartet ab.

Endlich nach einer Ewigkeit des Wartens beschließt Boardy unter dem Wohnwagen hervor zu kommen. Boardy rafft sich auf, rollt nach vorne und späht vorsichtig nach rechts und links, bevor er sich völlig aus der Obhut des Wohnwagens entfernt.

Ein paar Meter weiter steht eine Bank, auf der jemand sitzt. Boardy erkennt, daß es ein Mann ist. "Vielleicht ist das ja der Weihnachtsmann", denkt Boardy und schlußfolgert weiter, "zwar hat der Mann keinen roten Mantel an, aber eine rote Mütze mit einer weißen Bommel dran auf dem Kopf. Wer würde schon so spät am Abend noch alleine auf einer Bank sitzen, während die anderen bereits alle nach Hause gegangen sind, wo es schön warm ist? Das kann doch nur der Weihnachtsmann sein, der hier auf die Kinder wartet, die aber erst morgen wiederkommen. Sein Zuhause ist ja schließlich im Weihnachtsdorf und das ist sicher zu weit weg, um jeden Abend wieder dorthin zu reisen."

Freudestrahlend, den Weihnachtsmann doch noch gefunden zu haben, rollt das Skateboard zur Bank. Gerade nimmt der ältere Mann in seinen heruntergekommenen Sachen einen Schluck aus einer kleinen, viereckigen Flasche. Es riecht komisch. Doch Boardy achtet nicht darauf, schließlich hat auch ein Weihnachtsmann mal Durst.

"Hallo Weihnachtsmann, ich möchte dich um etwas bitten", beginnt Boardy. Der Mann erhebt den Kopf und starrt das Skateboard an, als sehe er einen Geist. Wo kam das fahrende Ding her und wieso hat er den Eindruck, daß dieses Ding mit ihm spricht? "Was willst du", fragt der Mann, "und was starrst du mich so an?" Eigentlich spricht der Mann diese Worte zu sich selber. Doch Boardy glaubt, der Mann spräche mit ihm. Also berichtet Boardy alles, was bisher geschehen ist und am Ende seiner Geschichte fragt er: "Würdest du das für mich tun?"

Dem Mann ist, als höre er ständig Stimmen und er überlegt, ob er schon weiße Mäuse sieht oder das Brett mit den Rollen darunter wirklich zu ihm spricht? Ist es vielleicht so ein modernes Spielzeug mit eingebauter Stimme? Der Mann hat genug davon. Er will aufstehen und nach Hause gehen, doch platsch fällt er gleich wieder auf den Hosenboden zurück. "Das wird wohl heute nichts mehr!", denkt der Mann. Aber plötzlich hat er eine Idee ...

Zehn Minuten später geht ein Junge namens Tobi über den leeren Weihnachtsmarkt, sucht nach etwas und kann es nicht finden. Auf einer Bank setzt er sich nieder, um sich die Schuhe zu binden. Dabei entdeckt er ein kleines viereckiges Fläschchen am Boden. Es ist leer, aber ein starker Geruch geht noch von ihm aus. "Alkohol", denkt der Junge und kickt das Fläschchen über die Wiese, die gleich hier beginnt.

© 2010 by Schattenblick


zum 21. Dezember 2011