Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/3370: Der kleine Nachtwächter entkommt dem Wind (SB)


Gute Nacht Geschichten vom kleinen Nachtwächter


Mit der Laterne in der einen und der Taschenlampe in der anderen Hand ist der kleine Nachtwächter bereit für seine Nachtwanderung durch die Stadt. Auch Rebell steht schon an der Wohnungstür und wackelt wie wild mit dem Schwanz. Bevor die beiden aber die Wohnung verlassen, verabschiedet sich der kleine Nachtwächter noch von Herrn Zucker: "Also dann bis morgen früh beim Frühstück!" Da nimmt Herr Zucker etwas vom Tisch, reicht es dem kleinen Nachtwächter und meint: "Bitte, eine Kleinigkeit, falls ihr beide in der kalten Nacht Hunger bekommt." Dann setzt er noch nach: "Die Möhre ist für Rebell!" - "Danke", damit verabschiedet sich der kleine Nachtwächter nun wirklich. Das eingewickelte Brot und die Möhre steckt er in seine Jackentasche ein.

Hund und Herrchen verlassen sodann die Wohnung. Ein schneidender Wind begrüßt sie und weht dem kleinen Nachtwächter sogleich seinen Hut vom Kopf. Schnell läuft der hinter dem Hut her und hat ihn alsbald wieder eingefangen. "Meinen Hut muß ich mir wohl tiefer ins Gesicht ziehen", stellt der kleine Nachtwächter fest und trifft Vorsorge, daß der Wind ihn nicht wieder erwischt. Er wickelt ein Band um seinen Hut und mit den beiden losen Enden bindet er ihn sich unter dem Kinn mit einem Knoten fest.

"So das wird reichen! Gut daß du keinen Hut trägst", lacht der kleine Nachtwächter zu Rebell hinüber, "sonst könntest du ihm jetzt die ganze Zeit hinterher jagen." Doch Rebell steht nur andächtig da, die Nase in den Wind gereckt. Er liebt es, wenn der Wind ihm durch das Fell pustet und die Haare zu Berge stehen läßt.

In dieser Nacht greift der kleine Nachtwächter auf die Taschenlampe zurück. Denn der Wind treibt auch mit der Laterne Schabernack und bläst die Kerze immer wieder aus. Für ihn ist es kein Problem durch die kleinsten Ritzen einzudringen und die Flamme zu löschen. "Na, zum Glück habe ich ja noch die Taschenlampe. Die kannst du nicht so mir nichts dir nichts auspusten", schimpft der kleine Nachtwächter mit dem Wind. Die Worte sind kaum zu hören, denn auch sie nimmt der Wind einfach mit sich fort.

Der kleine Nachtwächter und Rebell setzen ihren Weg fort. Sich gegen den starken Wind zu behaupten, kostet schon einiges an Kraft. Deshalb sucht der kleine Nachtwächter für sich und Rebell ein ruhiges Plätzchen. "Wo können wir uns geschützt ausruhen, aber dennoch einen Blick auf die Stadt haben?", überlegt der kleine Nachtwächter. Da fällt ihm der Wasserturm ein. Der alte Turm ragt weit über die Häuser hinaus. Nicht weit ist der Weg dorthin.

Als Bewacher der Stadt hat der kleine Nachtwächter für den alten Turm einen Schlüssel. Er knipst die Taschenlampe aus und steckt sie ein. Mit dem Schlüssel schließt er die Tür auf. Knarrend läßt sie sich öffnen und den kleinen Nachtwächter und Rebell eintreten. Doch der Wind treibt auch mit der Tür sein Unwesen, reißt sie dem kleinen Nachtwächter aus der Hand und läßt sie hinter den beiden krachend ins Schloß fallen. Hier im Innern des Turms ist es jetzt stockdunkel, aber auch windstill. So kann der kleine Nachtwächter die Kerze in der Laterne wieder entzünden. Damit leuchtet er sich und Rebell den Weg nach oben aus.

Oben im Turm angekommen, betreten die beiden eine Plattform. Im Mauerwerk rund um die Plattform sind kleine verglaste Fenster angebracht. Durch sie kann der kleine Nachtwächter einen Blick über die Stadt werfen. Jedes Fenster läßt einen anderen Teil der Stadt sichtbar werden. In eine der Fensternischen stellt der kleine Nachtwächter die brennende Laterne ab.

In der Mitte der Plattform steht eine Bank ohne Lehne. Darauf nimmt der kleine Nachtwächter Platz. Rebell legt sich erwartungsvoll zu seinen Füßen. "Ja, du weißt schon Bescheid", flüstert der kleine Nachtwächter. Er bricht die Möhre in zwei Teile und reicht die eine Hälfte Rebell. "Laß es dir schmecken." Die andere Hälfte ißt er selber auf. Anschließend teilt er auch das Brot in zwei Teile. "Mhm, das ist lecker!"

Nach dem Schmaus schreitet der kleine Nachtwächter von Fenster zu Fenster und schaut in die Gassen der Stadt. "Niemand ist dort unten zu entdecken. Keiner mag in der Nacht hinaus auf die Straße und schon gar nicht bei diesem Wind", stellt der kleine Nachtwächter fest. "Aber das ist auch gut so. Denn wie leicht kann der Wind einen Baum entwurzeln oder Dachziegeln von den Dächern reißen und dadurch jemanden verletzen", sagt der kleine Nachtwächter mehr zu sich selbst als zu seinem Hund, der inzwischen die Augen geschlossen hat und auf dem Boden der Plattform schläft.

Eine ganze Weile schreitet der kleine Nachtwächter von Fenster zu Fenster, und er spürt wie der Wind auch mit dem Turm seine Kräfte messen will. Dann, weit nach Mitternacht, läßt der Wind nach und verstummt ganz. Da nimmt der kleine Nachtwächter seine Taschenlampe und reißt Rebell mit einem Ruf aus dem Schlaf heraus: "Komm Rebell, der Wind schweigt jetzt. So wollen wir den Turm verlassen und wieder durch die Stadt streifen." Erst auf der Straße bemerkt der kleine Nachtwächter, daß seine Laterne noch immer oben in einem der Fenster brennt. Er läßt sie dort, wo sie ist. Denn in dem gläsernen Gehäuse ist die Flamme gut geschützt und kann keinen Unfug anstellen. In dieser Nacht kann der kleine Nachtwächter ihr Licht von all seinen Wegen her betrachten.

© 2011 by Schattenblick

8. April 2011