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GUTE-NACHT/3269: Der kleine Nachtwächter zwischen Freunden (SB)


Gute Nacht Geschichten

Mit der Taschenlampe in der einen und der Laterne in der anderen Hand geht der kleine Nachtwächter an seine Arbeit. Erst späht er über die Stadtmauer und geht dort oben den Rundgang entlang. Dann schreitet er durch die schmalen Straßen und noch engeren Gassen der Stadt.

Plötzlich hört er ein Geschrei. Darauf geht er zu. Da sieht er aus dem Fenster eines der Häuser auf der rechten Seite einen Jungen herausschauen. Dieser ruft über die Straße: "Gib mir meinen Ball zurück." Der kleine Nachtwächter wendet den Kopf zur anderen Straßenseite und blickt dort das Haus empor. Auch hier ist ein Fenster geöffnet und ein Mädchen schaut heraus.

Es ruft: "Du hast ihn mir aber zum Geburtstag geschenkt!" Da ruft der Junge von der anderen Seite: "Aber da waren wir noch Freunde!" - "Das können wir doch noch immer sein!", ruft das Mädchen zurück. "Nein, das geht nicht. Du hast mich verletzt."

Der kleine Nachtwächter kann das gar nicht mit anhören, wie die beiden Kinder sich streiten. "Es gibt doch bestimmt eine Möglichkeit, daß die beiden sich wieder vertragen", überlegt er. Doch ihm will einfach nichts einfallen.

"Du hast mich auch verletzt!", schluchzt da das Mädchen, "du hast mich allein gelassen." Der Junge schüttelt den Kopf und sagt: "Aber ich habe dir doch immer Briefe geschrieben." - "Das ist nicht dasselbe wie zusammen zu spielen", protestiert das Mädchen, "darum habe ich mir jemand anderen gesucht, der mit mir Ball spielt und lacht."

"Das ist mir egal", sagt der Junge, "gib mir nur meinen Ball zurück!" Im gleichen Moment zielt das Mädchen mit dem Ball, als wolle es ihn dem Jungen an den Kopf werfen. Doch der Ball prallt vom gegenüberliegenden Fensterrahmen ab und fällt zu Boden.

Der kleine Nachtwächter fängt den Ball und nimmt ihn mit, ohne etwas zu sagen oder auch nur nach dem Mädchen oder dem Jungen hinauf zu blicken.

"Das geht aber nicht!", ruft der Junge dem kleinen Nachtwächter hinterher. "Das ist unser Ball!", empört sich auch das Mädchen. Doch noch ehe die Kinder weitere Schimpftiraden loslassen können, ist der kleine Nachtwächter bereits um die Ecke gebogen. Hier bleibt er stehen, ohne daß die beiden Kinder ihn sehen können.

Das Mädchen weint: "Das ist so gemein. Das war so ein schöner Ball!" - "Der darf ihn uns nicht einfach wegnehmen!", erklärt der Junge, "wir holen ihn uns wieder zurück." - "Aber wie?", fragt das Mädchen. "Da wird uns schon etwas einfallen!", antwortet der Junge.

Als der kleine Nachtwächter sieht, daß die beiden Kinder gemeinsame Pläne haben, kommt er aus seinem Versteck hervor, legt den Ball auf den Boden und sagt: "Damit ihr beide wieder zusammen spielen könnt." Dann geht er davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.


11. Oktober 2010

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