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GUTE-NACHT/3226: Der kleine Nachtwächter hört ein Weinen (SB)


Gute Nacht Geschichten

Am Abend ist der kleine Nachtwächter ganz gespannt, wie es dem merkwürdig aussehenden Kuschelwesen im Hause des Dichters ergangen ist. Die Laterne in der einen und die Taschenlampe in der anderen Hand zieht der kleine Nachtwächter los in die Stadt. Zuerst schaut er wie jeden Abend nach den Türen der Häuser und den Toren der Stadt, ob sie alle verschlossen sind. Anschließend steigt er hinauf auf die Stadtmauer und dreht dort ebenfalls eine Runde. Danach will er endlich zum Haus des Dichters gehen. Von hier oben auf der Stadtmauer kann er gut in die Straßen hinunter schauen. Das Haus des Dichters kann er ebenfalls entdecken. Licht brennt noch hinter dem Fenster. So begibt sich der kleine Nachtwächter hinunter in die Straße, wo das Haus des Dichters zu finden ist.

Auf dem Weg dorthin, vernimmt er plötzlich ein Weinen. Da es in den letzten Tagen sehr heiß war bis zum Abend, stehen viele Fenster offen, um etwas Kühle in die Zimmer zu lassen. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum der kleine Nachtwächter das Weinen überhaupt vernommen hat.

Der kleine Nachtwächter verlangsamt seine Schritte und lauscht. "Wo kommt das Weinen bloß her?", fragt er sich. Die dunklen Fenster geben keinen Anhaltspunkt. Doch da wird das Weinen plötzlich lauter und schon wieder leiser. Der kleine Nachtwächter hält inne, dreht sich auf dem Absatz um und geht zurück. Nun wird das Weinen wieder lauter. Auch ohne Licht hinter den Fenstern entdeckt er bald, woher das Weinen kommt.

Es ist das Haus, in dem Samenta wohnt. Mit seiner Taschenlampe leuchtet der kleine Nachtwächter in das Zimmer hinein. Da wird das Weinen zu einem Schrei. Samenta hat sich vor dem ins Zimmer scheinende Licht total erschreckt. "Ach bitte nicht erschrecken! Es besteht kein Grund zur Sorge. Ich bin es, der Nachtwächter."

Das Weinen verstummt. Ein Kopf schaut nun zwischen den Vorhängen zum Fenster heraus. Jetzt ist es der kleine Nachtwächter, der sich erschreckt. Denn wenn das Licht einer Taschenlampe von unten gegen einen Kopf scheint, sieht dieser sehr gespenstisch und gefährlich aus.

Doch schnell hat sich der kleine Nachtwächter wieder von dem Schreck erholt. Er erkennt in dem gespenstischen Gesicht die kleine Samenta. Tränen glitzern noch in ihren Wimpern. "Warum weinst du?", fragt der kleine Nachtwächter. "Ich weine aber gar nicht!", meint Samenta und schnieft. "Na, dann ist ja gut!", entgegnet der kleine Nachtwächter, "da kann ich ja getrost weitergehen. Ich bin nämlich auf dem Weg zum Haus des Dichters. Dort will ich meinen Freund, das kleine Kuschelwesen besuchen."

Samenta macht große Augen. "Ein Kuschelwesen ist dein Freund?", fragt sie. "Aber sicher doch. Er ist einer von meinen Freunden. Und ihn gehe ich jetzt besuchen. Du hast doch sicher auch einen kuscheligen Freund?" Samenta schüttelt den Kopf und scheint mit dem Fuß aufzustampfen. "Ich möchte ein richtiges Tier, aber ich darf keins haben."

"Nun, wenn du mit mir darüber sprechen möchtest, komme ich gleich zurück. Wenn du dann noch nicht schläfst, plaudern wir ein bißchen." Samenta nickt und ist einverstanden.

Nicht weit von Samentas Haus entfernt steht das Haus des Dichters. Auf dem Fensterbrett tummelt sich das weiße, weiche Kuschelwesen. "Der kleine Nachtwächter kommt!", ruft das Kuschelwesen ins Innere des Zimmers. Sogleich erscheint der Kopf des Dichters. "Gut, kleiner Nachtwächter, daß du da bist." Dem Dichter ist seine Erregung anzusehen. "Was gibt es denn?", fragt der kleine Nachtwächter. Der Dichter nimmt das Kuschelwesen und hält ihm die Hände auf beiden Seiten gegen den Kopf, als ob das es Ohren hätte.

"Ich kann das Kuschelwesen nicht mehr hier behalten. Ich finde keinen klaren Gedanken mehr, und Verse kommen schon gar nicht mehr aus meiner Feder. Kleiner Nachtwächter, nimm das Kuschelwesen bitte wieder mit." Jetzt läßt der Dichter die vermeintlichen Ohren des kleinen Wesens wieder los. Doch das weiche Ding hat trotzdem gehört, was der Dichter gesagt hat und streckt ihm die Zunge heraus.

Da hat der kleine Nachtwächter plötzlich eine Idee. Er nimmt das Kuschelwesen auf den Arm und kehrt zum Haus von Samenta zurück. "Bis bald!", ruft der kleine Nachtwächter noch dem Dichter zu und ist dann um die Hausecke verschwunden.

Samenta freut sich, die Bekanntschaft des Kuschelwesen zu machen. Der kleine Nachtwächter reicht ihr den kleinen Kerl ins Zimmer. "Oh bist du niedlich", sagt Samenta. Dann fragt sie: "Darf er vielleicht heute Nacht zu Besuch bleiben?" Der kleine Nachtwächter ist einverstanden und verabschiedet sich: "Es wird Zeit, daß ich wieder meine Runden drehe. Gute Nacht ihr beiden!"


5. Juli 2010