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GUTE-NACHT/2907: Jeden Tag ein Bild (SB)


Gute Nacht Geschichten


Egon sitzt im Park. Da die Sonne scheint, hat es viele Menschen hierher gezogen. Mütter mit ihren Kindern sind auf dem Spielplatz etwas weiter von Egons Parkbank entfernt. Egon steht auf und geht hinüber. Er will ein wenig die Kinder beobachten. Was mögen sie? Was spielen sie gern?

Eine Bank ist noch frei und Egon nimmt Platz. Nun beobachtet er die Kinder im Sandkasten. Er verfolgt, worüber sie lachen oder weinen. Nach geraumer Zeit erscheint eine Frau und fragt: "Darf ich Platz nehmen?" Auch sie schaut zu den spielenden Kindern hinüber. Dann sagt sie: "Meine Tochter sitzt da drüben im Sandkasten. Welches Kind ist ihres?" Egon lacht: "Nein, ich habe keine Kinder." Die Frau schaut ihn fragend an: "Eine Nichte oder einen Neffen vielleicht?" Auch da muß Egon passen. Verwundert blickt ihn die Frau an. Schließlich fragt sie sich, was will der Mann hier auf dem Spielplatz, wo er nicht einmal ein Kind betreut?

Aber Egon setzt sie ins Bild. "Ich arbeite für einen Verlag. Zur Zeit ist es meine Aufgabem, eine Figur zu erfinden, besser gesagt zu entwickeln, die Kindern am Abend Geschichten erzählt, bevor sie zu Bett gehen. Aber ich weiß nicht, wie so eine Figur aussehen soll. Das wissen wohl nur die Kinder selbst. Darum sitze ich hier und beobachte sie. An die eigene Kindheit habe ich nämlich kaum noch Erinnerungen." Das kann die Frau nur bestätigen: "Ja, man vergißt so vieles, daß man als Kind erlebt hat. Darum ist es gut, sich jeden Tag etwas aufzuschreiben von dem, was man erlebt hat. Und wenn man noch nicht schreiben kann, so kann man doch seine Erlebnisse aufmalen. Malen kann jeder, auch schon die kleinen Kinder. Sie finden eine Möglichkeit, die wichtigen Dinge aufzuzeigen." - "Ja, das ist gar nicht schlecht", sagt Egon, "jeden Tag ein Bild oder ein Foto, um nichts zu vergessen." Die Frau lacht: "Vergessen tut man auch dann noch viel zu viel. Wie kann man das nur verhindern?"

Da kommt die Kleine der Frau angelaufen. Sie hält etwas fest und legt es in die Hände ihrer Mama. Dann lacht sie und läuft zurück zum Sandkasten. Die Frau blickt auf ihre Hände. Ein Stein liegt da. Ein wunderschöner Stein. Die Feuchtigkeit, die ihn umhüllt holt die Musterungen erst so richtig ans Tageslicht. Jetzt erinnert sich die Frau an einen ganz anderen Stein, den sie einst zuhause im Garten ihrer Eltern gefunden hat. Sie sieht ihn wieder genau vor sich. Dann sagt sie: "Steine sind auch eine schöne Art, Erinnerungen festzuhalten."

14. April 2009

Gute Nacht