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GUTE-NACHT/2887: Der Geist in Pantoffeln und das Gespenstermuseum (SB)


Gute Nacht Geschichten


Die ersten Gäste verlassen gerade die Geburtstagsfeier. Einige von ihnen sind leicht sauer, weil sie gerade einen mächtigen Schrecken erlebt haben. Doch Großmutter ist es nur recht, wenn diese Gäste fort sind. Denn bald folgt der Höhepunkt dieses Abends. Und wenn einige der Gäste bereits beim Anblick einer Eule in Ohnmacht fallen, wie wären sie erst schockiert, wenn sie einem Geist begegnen würden? Nicht, daß es in dem alten Bauernhaus einen solchen Geist gäbe, oder doch? Zumindest gibt es viele Geschichten um einen solchen und um dieses Gemäuer im besonderen, die einem glatt die Schuhe ausziehen könnten.

Großmutter führt die verbliebenen Gäste nun in den alten Teil des Bauernhauses. Mutter ist in ihrer Reaktion nicht schnell genug, dies zu unterbinden. Sie ärgert sich. "Was sollen die Leute nur in dem noch nicht einmal renovierten Hausteil überhaupt sehen?", fragt sich Mutter, "womöglich fällt noch einer die Treppe mit dem fehlenden Geländer herunter." Großmutter geht vor. "Pst, jetzt schön leise", flüstert sie und alle Gäste werden hellhörig. Ist da vielleicht wieder so ein großes wildes Tier? Großmutter deutet auf eine Tür. "Nicht auch das noch?" denkt Mutter und stellt sich Paddy vor, wie sie sich vor all den Gästen erschreckt, wenn sie aus dem Schlaf hochfährt. Doch Großmutter will den Gästen das Kinderzimmer gar nicht zeigen. Sie hält den Finger gegen den Mund und macht noch einmal: "Pst." Eigentlich will sie ganz leise erklären, daß hier ihre Enkelin schläft. Doch bevor sie dazu überhaupt ansetzen kann, ertönt im Flur ein lauter Glockenschlag und elf weitere folgen. Die antike Standuhr hat die Geisterstunde eingeläutet. Damit hat die Uhr einige der Gäste aufs neue erschreckt. Aber Paddy scheint sie nicht geweckt zu haben.

Nun geht es hinauf in den ersten Stock. Großmutter verweist auf das fehlende Geländer an der Treppe und deutet an, daß alle schön links an der Wand hochgehen möchten. Oben angelangt, zeigt Großmutter zuerst den staubigen Dachraum. Dann versammeln sich alle wieder auf dem kleinen Vorflur und Großmutter hält eine kurze Ansprache: "Nun, hier ist unser Rundgang am Ende und eigentlich erst am Ziel angelangt." Am Ziel? Mutter wird noch ungeduldiger als sie bereits ist. Was hat Großmutter vor, will sie jetzt wieder von dem alten Bauern erzählen, der sich hier oben erhängt hat?

Großmutter erklärt, beim Rundgang wäre der Keller und der große Dachboden ausgespart worden, aber da sei es sowieso in der Nacht dunkel und es gäbe dort kein elektrisches Licht. "Nun aber, liebe Gäste, hier stehen sie vor einer schweren Entscheidung. Wollen sie mit mir dieses Zimmer betreten, in dem sich einst der Bauer vom Leben verabschiedete? Oder kehren sie lieber wieder um und genießen unten im Wohnzimmer eine Erfrischung?" Ein Pärchen zieht es vor, sich zurückzuziehen unter dem Vorwand, das alles sei ihnen zu kitschig. Dabei künden ihre Gesichter eher von Besorgnis. Die anderen sind gespannt auf den nächsten Raum. Langsam öffnet Großmutter die Tür. Sie knarrt - wie gewöhnlich. Den Gästen geht das Geräusch durch und durch.

Großmutter winkt das Geburtstagskind heran: "Du gehst am besten vor?" - "Warum dieser Umstand?", fragt sich Mutter, insgeheim ist sie jetzt aber wie ihre Gäste ganz neugierig geworden. Also gehorcht sie und tritt ein. Sie kann nicht glauben, was sie da sieht. Überall stehen angezündete Kerzen. Mehrere Möbelstücke stehen plötzlich in diesem Raum, Regale vollbepackt und so vieles mehr, daß Mutter alles gar nicht gleich erfassen kann. Der Raum war doch leer, als sie hier einzogen. Und auch dieser alberne Strick in der Mitte des Zimmers da an der Decke war nicht da. Mutter kommt aus dem Staunen nicht heraus.

Inzwischen sind auch alle Gäste eingetreten. Sie schauen sich im Zimmer um und bestaunen die vielen alten Sachen. "Stammen die noch von dem alten Bauern?", fragen sie. "Ja, teilweise", erklärt Großmutter und dann beginnt sie die schaurige Geschichte des toten Bauern zum Besten zu geben.

Nachdem Großmutter geendet hat und die Gäste sowie Mutter, die die ganze Zeit gar nichts gesagt hat, wieder nach unten wollen, bittet Großmutter doch jeden, gleich eine der Kerzen auszupusten. Sie wolle bis drei zählen, dann sollten alle pusten und das Geburtstagskind könne sich etwas wünschen. Es mache nichts, wenn alle Kerzen aus sind, ein wenig Licht bliebe noch von der Notbeleuchtung an. Großmutter zählt: "Drei, zwei, eins, jetzt." Die Kerzen werden ausgepustet. Es wird fast ganz dunkel im Zimmer. Aber die Notbeleuchtung reicht aus, den Rückzug anzutreten. Plötzlich ein Knarren und Quietschen und dann kein Geräusch mehr und auch die Notbeleuchtung fällt aus. "Auch das noch", denkt Mutter und sagt, "keine Panik, bleibt alle da stehen, wo ihr seid, ich schaue nach dem Sicherungskasten."

Doch den Gästen ist nicht wohl zumute bei dem Gedanken, hier im Zimmer des Erhängten eine Weile im Dunklen allein zu bleiben. Sie haben recht. Denn was jetzt geschieht, ist auch nicht angenehm. Ein Heulen und Kreischen tönt durch den Raum. Plötzlich flackern Lichter auf und grelle Lichtpunkte wie Augen blitzen auf. Die Gäste schreien. Vorsichtshalber hat sich Großmutter an der Tür postiert, daß keiner hinausstürzt und die Treppe hinunterfällt. Da, was ist das? "Ein Gespenst!", rufen die Gäste durcheinander. "Wo?" - "Es ist wieder fort!" Da geht die Notbeleuchtung von allein wieder an. Nur auf der Treppe ist noch Geklirre wie von Ketten zu hören. Dann verstummt auch dieses Geräusch. Plötzlich öffnet sich eine zweite Tür im Raum. Gestalten drängen sich in das Zimmer. Es scheint als seien Dracula, Merlin und der alte Bauer wieder lebendig geworden. Auch die weiße Frau tritt ein. Die Stimmung im Zimmer ist zum Zerplatzen. Da bricht die weiße Frau zusammen, Dracula erstarrt und aus Merlins Zauberstab sprühen Funken. Der alte Bauer ergreift das Wort: "Ich übergebe der neuen Hausherrin diesen Raum. Er hat sich inzwischen, wie jeder sehen kann, in ein richtiges Gespenstermuseum verwandelt."

Die Gäste atmen auf, alles Beängstigende ist nur geplant gewesen und sollte so ablaufen. Jetzt gehen weitere Lampen an und alle schauen den Raum nun mit anderen Augen an. Schließlich befinden sie sich in einem Museum. Endlich leuchten auch die Augen von Mutter wieder. Doch es dauert eine Weile, bis sie sich bei Großmutter für dieses Geschenk bedanken kann. "Ich denke, du solltest dich noch bei jemand anderen bedanken", sagt Großmutter. "Bei wem denn?", fragt Mutter. "Nun, bei unserem Geist in Pantoffeln! Du findest ihn im Kinderzimmer." Unbemerkt von ihren Gästen verschwindet Mutter. Denn dem Geist in Pantoffeln muß sie doch noch "Gute Nacht" sagen.

20. März 2009

Gute Nacht