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GUTE-NACHT/2757: Hinterher geschickt (SB)


"Wie es hier wieder ausschaut! Ich weiß schon, warum ich meinen Bruder lieber zu mir nach Hause einlade, als ihn zu besuchen. Seid einem halben Jahr war ich wohl schon nicht mehr hier. Zu dem Zeitpunkt habe ich ihn auch nur besucht, weil ich ihm zum Geburtstag einen Gutschein geschenkt hatte, der ihm einen Tag Aufräumen schenkt. Den hat er dann eingelöst, als der Herr von der Galerie kam, um sich Raimunds Zeichnungen anzusehen. Mein Äufräumen hat bestimmt mitgeholfen, daß er dieser Tage eine Ausstellung seiner Arbeiten in der Großstadt zeigen kann."

"Mama, darf ich ein bißchen malen?"

"Häschen, warte einen Augenblick. Ich schaue mal, ob ich einen Block und ein paar Stifte für dich finde. Oh Mann, nicht mal der Tisch ist freigeräumt. Ach hier, das ist ein Skizzenblock. Da hat dein Onkel bestimmt nichts dagegen, wenn du im ein schönes Bild hinein malst. Und hier sind die Stifte."

"Ich würde lieber mit richtiger Farbe und einem Pinsel malen."

"Buntstifte ist auch okay, wir wollen in diesem Durcheinander nicht noch etwas verschütten. So, jetzt habe ich dir den Tisch abgeräumt und hebe dich auf den Stuhl. Hier kannst du schön sitzen und malen. Ich suche noch das Bild, das dein Onkel vergessen hat und dann können wir zur Post gehen und es ihm nachsenden. Moment, den Block klappe ich dir noch auf. Schau mal! Was baumelt denn hier herum? Das sieht ja aus wie eine Anziehpuppe. Also mein Bruder hat dieses Haus und die gelbe Sonne darüber bestimmt nicht gemalt. Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Vielleicht hatte er in letzter Zeit schon einmal Besuch von einem Kind."

"Darf ich die Puppe anmalen? Die ist ganz schön nackig."

"Mhm? Außer der Puppe und dem Haus ist ja nicht viel auf dem Blatt und in dem Block ist sonst auch nichts. Ich versuch mal, Raimund über Handy zu erreichen. Dumm, das habe ich im Auto vergessen. Ich gehe es mal schnell holen."


*


"Warum bist du denn an dem Blatt festgeklebt, du kleine Anziehpuppe? Hast du etwas ausgefressen?"

"Nein."

"Oh, du kannst ja sprechen!"

"Warum denn nicht! Du Häschen kannst ja auch sprechen."

"Ich bin kein Häschen, habe ich etwa lange Ohren?"

"Nein, aber die Frau hat dich so genannt."

"Die Frau ist meine Mutter. Sie nennt mich immer Häschen. Das kann ich ihr einfach nicht abgewöhnen. Sagst du mir, warum du hier festklebst?"

"Befrei mich erst, dann sage ich es dir."

"Das kann ein bißchen wehtun. Das ist wie wenn Mama mir ein Pflaster vom Knie zieht. Das tut auch immer ein bißchen weh. Auf los geht es los! Eins, zwei, drei und los!"

"Hat gar nicht weh getan!"

"Um so besser. Hat mein Onkel dich gemalt?"

"Nein."

"Aber wer hat dich dann hergestellt?"

"Dein Onkel!"

"Warum sagst du erst, daß es nicht mein Onkel war?"

"Weiil dein Onkel nicht malen kann!"

"Kann er doch!"

"Nein, kann er nicht. Hat er selber gesagt!"

"Kann er doch. Ich habe ganz viele Bilder in meinem Zimmer von meinem Onkel."

"Aber nicht gemalt, nur gezeichnet. Hat er selber gesagt, daß er kein Maler ist. Sondern er ist ein Zeichner."

"Du bist dumm."

"Was ist das?"

"Oh, bist du dumm!"


*


"Mit wem sprichst du da, Häschen?"

"Mit niemand!"

"Gut, daß du noch nichts in den Block gemalt hast. Genau den will Onkel Raimund nämlich haben. Da hätte ich ja lange suchen können. Darauf wäre ich nie gekommen, daß er für seine Ausstellung ausgerechnet dieses unfertige Haus mit der Anziehpuppe haben möchte. Also packen wir es schnell ein und schicken es ihm hinterher. War die Anziehpuppe nicht festgeklebt? Ach egal, ich lege sie lose in den Block und stecke alles in einen Umschlag. Wenn wir jetzt rechtzeitig loskommen, erreicht die Post meinen Bruder noch morgen."

13. Oktober 2008

Gute Nacht