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GUTE-NACHT/2745: Ein Körper für das Mondgesicht (SB)


Der Zeichenblock liegt aufgeschlagen auf dem Arbeitstisch. Das oberste Blatt ist bereits in Angriff genommen worden. Links ist ein Eisbär in einer Schneelandschaft zu sehen, rechts ein Drache, der Feuer speit. In der Mitte dazwischen zeigt sich ein Kreis. Wie ein Nabelbauch oder wie der Nabel der Welt liegt der Kreis im Zentrum des Bildes. Aber es ist kein Nabel und auch nicht nur ein Kreis. Es ist ein Mondgesicht, bestehend aus "Pünktchen, Pünktchen, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht".

"Ich bin kein Mondgesicht!", protestiert das kleine Gebilde, "ich bin ein Zeichner." - "Aber wo sind deine Bilder und wo sind deine Hände, mit denen du die Bilder erschaffst?" - "Ich brauche keine Hände! Ich habe doch meinen Mund. Es gibt viele Menschen, die mit dem Mund zeichnen! Gib mir nur einen Stift."

Eine ganz dünne, abgebrochene Mine aus einem Zeichenstift bekommt das Mondgesicht hingehalten. "Was geht denn hier vor sich?", fragt der Zeichner, der gerade an seinem Arbeitstisch erscheint. "Du kannst doch keine Bleistiftmine in den Mund stecken", erklärt er, "nicht nur, daß sie nicht schmeckt, es tut auch deinem Magen nicht besonders gut."

"Da liegt das Problem", entgegnet das Mondgesicht, "ich habe keinen Magen, nicht einmal einen Pullover darüber und ich kann keinen Stift in die Hände nehmen, weil du mir noch keine gezeichnet hast. Dabei will ich so werden wie du und den ganzen Tag malen. Zuerst ein Haus in dem ich wohne, dann einen Garten darum herum. In dem Garten wachsen viele bunte Blumen - rote, gelbe und weiße."

"Wenn du farbige Dinge haben möchtest, dann solltest du nicht Zeichner sondern Maler werden oder noch besser Künstler", schlägt der Zeichner vor. "Gut, dann werde ich Maler. Aber bitte gib mir endlich einen Körper. Dann kann ich nicht nur gucken und mit dir reden, sondern auch herumspazieren. Hier zwischen Feuer und Eis ist das Leben nicht gerade angenehm."

Einen Körper erhält das Mondgesicht. Dazu noch ein Bett, in das der Zeichner das Wesen hineinlegt. "So kann der kleine Kerl erst einmal eine Runde schlafen. Sicher hat er in der Nacht kein Auge zugetan, weil er Angst hatte, vor dem großen Bären und der Hitze des Drachen", denkt der Zeichner.

25. September 2008

Gute Nacht