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GUTE-NACHT/2601: Schäfchenzählen (SB)


Schäfchenzählen

Die beiden Geschwister, Marci und Mara, fragen sich, was Träume sind? "Das Traumland ist so wirklich", wundert sich Mara, "manchmal wache ich auf und denke, daß ich jetzt erst träume." Marci geht es ebenso. Er hat eine Idee: "Am besten, du beobachtest mich, wenn ich eingeschlafen bin und wenn ich dann träume, kannst du mir Fragen stellen. Vielleicht beantworte ich sie dir." Mara findet das einen guten Vorschlag.

Marci legt sich zum Schlafen in sein Bett. Den Schlafanzug hat er bereits an. Mara fröstelt und zieht sich über ihr Nachthemd einen Bademantel. Denn vielleicht hat sie ja lange zu warten, bis ihr Bruder endlich träumt. "Jetzt schalte das Licht aus!" fordert Marci seine Schwester auf. "Kannst du nicht mit Licht einschlafen? Ich habe Angst im Dunkeln", entgegnet Mara. Marci erwidert: "Ich schlafe aber schneller ein, wenn es dunkel ist." Mara stöhnt. Marci versucht Mara zu beruhigen: "Ich bin doch bei dir." Mara möchte das Licht aber immer noch nicht ausschalten. "Wenn es dunkel ist, schlafe ich auch viel schneller ein. Außerdem hast du doch die Augen zu, da ist es sowieso schon dunkel!", kontert Mara. "Aber du sitzt auf dem Stuhl. Da schläfst du schon nicht ein", versucht Marci seine Schwester zum Lichtausknipsen zu bewegen. Da aber Mara nicht ohne Licht im Zimmer sitzen will, einigen sich beide auf eine kleine Leselampe, die Mara an die Seite ihres Stuhles anklemmt. So hat es Marci schön dunkel, Mara aber dennoch etwas Licht.

Die Schatten, die die kleine Lampe wirft, sind ungewöhnlich. Mara blickt sich genau im Zimmer um. Der Schatten, den der Schrank wirft, ist viel größer als gewöhnlich. Mit den Augen wandert Mara im Zimmer herum. Auch die Schatten der Kuscheltiere sehen ganz merkwürdig und ebenfalls viel größer aus. Am liebsten würde Mara sich von Marci Witze und lustige Dinge erzählen lassen, so wie jeden Abend bevor sie einschlafen. Aber Mara will kein Hasenfuß sein, so nennt ihr Bruder sie stets, wenn sie ihm zu ängstlich ist. Und was ist schon dabei, auf dem Stuhl zu sitzen und zu warten, bis Marci schläft?

Nach ein paar weiteren Sekunden fragt Mara flüsternd: "Schläfst du schon?" - "Ja", antwortet Marci. "Aber wenn du ja sagst, dann bist du doch noch nicht eingeschlafen", entgegnet Mara. "Es fühlt sich aber an, als ob ich schlafe", findet Marci. Die beiden vereinbaren, daß Mara zehn Minuten wartet bis sie Marci noch einmal ganz leise anspricht. "Dann gibst du mir aber wirklich die richtige Antwort", fordert Mara.

Mara schaut auf den Wecker. Eine Sekunde ist um, die nächste Sekunde ist um. Es dauert ganz schön lange, bis der Zeiger eine ganze Minute umrundet hat. An den nackten Füßen beginnend, kriecht Mara die Kälte der Nacht an den Beinen hoch. Sie beschließt, sich ganz leise in ihr Bett zu legen. Von dort kann sie auch auf den Wecker schauen und ihren Bruder nach den vereinbarten zehn Minuten ansprechen.

Im Schleichen ist Mara sehr geschickt. Marci hört sie nicht im Zimmer herumgehen. Nur das Aufdecken der Bettdecke verursacht ganz leise Geräusche. Aber Marci scheint sie nicht wahrzunehmen. Mara schiebt sich vorsichtig unter die Decke. Noch immer hat sie den Wecker im Blick. Noch sechs Minuten. Das ist lang. "Da kann ich schon mal die Augen bis auf einen kleinen Spalt schließen. Ich brauche ja nur bis sechzig zu zählen und dann ist eine weitere Minute um. Sechs mal zähle ich bis sechzig und dann frage ich Marci, ob er schläft."

Mara zählt und zählt, erst leise mit dem Mund unter der Decke, dann nur noch in Gedanken. Marci könnte sie ja schließlich hören und wieder aufwachen. Zuerst zählt Mara recht schnell. Damit aber wirklich eine Minute eine Minute bleibt, zählt Mara langsamer und nach kurzer Zeit noch langsamer. Bald zählt Mara gar keine Zahlen mehr ab, sondern Dinge auf ... und dann ist sie plötzlich eingeschlafen ...

10. April 2008

Gute Nacht