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GUTE-NACHT/2435: Von der Sechs, die zur Schule gehen sollte (SB)


Sechs

Als am Morgen die Bäckerei ihre Türen öffnete, wurde auch das Geheimnis des verhangenen Schaufensters mit gelüftet. Jeder Passant konnte jetzt sehen, daß die Bäckerei seit 45 Jahren bestand. Was das bedeutete, konnten sich die Kunden schon ausmalen. Wieviele Brötchen waren hier wohl in dieser langen Zeit über den Ladentisch geschoben worden und wieviele Brote hatten in diesen Räumen das Licht der Welt erblickt? Der Meister wußte es selbst nicht mehr und konnte nur schätzen.

Er kam an diesem Morgen später als gewöhnlich zur Arbeit. Die Arbeiten in der Backstube liefen schon längst ihrem Ende entgegen, während im Laden noch mehrere Stunden der Verkauf andauern würde. Wie überrascht war er, als er das neugestaltete Schaufenster erblickte. "Das ist ja ein gelungener Blickfang und die Zahlen aus Teig gebacken, sind ein echter Hinweis, daß wir zurecht dieses Jubiläum feiern", sagte der Meister.

Nicht nur er sah das so. Auch mehrere Kunden lobten das schöne Fenster. Einer fragte sogar nach, ob der Meister denn auch andere Zahlen oder Motive in dieser Größe backen und verkaufen würde. "Warum?" wollte der Meister wissen. "Unsere Tochter wird sechs Jahre alt, was auch bedeutet, daß sie dieses Jahr zur Schule kommt. Es wäre schön, wenn wir ihr eine große Sechs schenken könnten, die sie dann sogar auffuttern kann."

"Das läßt sich machen!" sagte der Meister und gab den Auftrag gleich an seinen Lehrjungen weiter. Der konnte sich nun noch ein weiteres Mal im Backen von Zahlen aus Teig beweisen. Er formte eine große Zuckertüte, auf der die Zahl Sechs nun reliefartig und die ganze Tütenansicht einnehmend protzte.

Ob dem neuen Schüler diese Art der Zuckertüte wohl gefallen würde? Das fragte sich der Bäckerlehrling bevor er mit seiner Arbeit begann. Er kam zu der Antwort, daß zu einer Zuckertüte besonders viel Süßes und auch jede Menge Überraschungen gehörten. Deshalb formte er sein Gebilde aus Lebkuchenteig und versteckte nach dem Backen noch jede Menge Überraschungen darin. Dazu hölte er die Zuckertüte aus, buk ein Gegenstück von gleicher Größe und klebte die beiden Teile mit Zuckerguß zusammen. In die Öffnung steckte er dann in Klarsichtfolie gewickelte Dinge, die ein Schüler in seinen ersten Tagen gebrauchen konnte. Ein Stift, ein Radiergummi, eine Schreibtafel usw. Alles fertigte der Lehrjunge aus Marzipan und Schokolade an.

Als die Zuckertüte endlich fertig war, wollte der Meister sie gar nicht mehr verkaufen. Das ist ja unbezahlbar. Die sollten wir in unser Schaufenster als Werbung legen. Doch der Junge hatte auch hier eine andere Idee. "Die beste Werbung ist doch, wenn die Schultüte auch in die Schule wandert, wo viele Kinder sie sehen können und besonders die Eltern. Dann bekommen wir im nächsten Jahr vielleicht noch mehr Aufträge dieser Art." Der Meister war mit seinem Lehrjungen zufrieden. "Du hast doch wirklich immer die besten Ideen", lobte er ihn, "jetzt aber ab nach Hause. Du hast dir deinen Feierabend wirklich verdient.

24. September 2007

Gute Nacht