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GUTE-NACHT/2311: Familie Schwalbe - Der Prinz und die Schwalbe (SB)


Familie Schwalbe - Der Prinz und die Schwalbe

Frau Schwalbe ruht sich aus. Gerade hat sie eine Runde in der Luft gedreht und festgestellt, wie warm es doch schon jetzt an diesem Vormittag ist. Wie gut, daß das Nest mit den Eiern, aus denen ihre Kinder schlüpfen werden, so gut geschützt hier im Hauseingang verborgen ist. Hierher kommt die Sonne nicht, kein Regen und kein heftiger Wind. Auch vor Katzen oder anderen Raubtieren sind die Eier und somit ihre Kinder gut geschützt. Da kann Frau Schwalbe gleich noch einmal eine Runde durch die Luft segeln, um sich ihr Mittagsmahl zu fangen.


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Unten im Hauseingang steht Vater Menschlein. Er würde zu gerne wissen, ob im Nest dort oben schon Eier liegen. Aber er schaut nicht nach. Er will das Nest der Schwalben nicht gefährden. Denn auch wenn die Schwalben kaum natürliche Feinde haben, so bleibt immer noch der Mensch, der aus Neugierde das Nest beschädigt oder es ganz zerstört. Schließlich soll die Hauswand nicht durch den herunterfallenden Schwalbenkot verdreckt werden. Vater Menschlein gehört nicht zu dieser Bedrohung für die Schwalben. Er wälzt lieber seine Bücher, um sich seine Fragen zu beantworten und läßt das Schwalbennest in Ruhe. Doch wo kann sie anfangen?

Vater Menschlein entdeckt die Geschichte vom glücklichen Prinzen. Oscar Wilde hat sie geschrieben. Er liest sie und erzählt davon später Mutter Menschlein:

"Ein Prinz, der in seinem Leben immer nur glücklich war, weil er das Leid seiner Untertanen nicht kannte, wurde nach seinem Tod als Goldstatue in einer Stadt aufgestellt. Dort kamen reiche und arme Menschen vorbei und bewunderten seine Schönheit. Jetzt erst lernte der Prinz das wahre Leben kennen. Denn die Menschen bestaunten ihn nicht nur, sondern klagten ihm auch ihr Leid. Es machte den Prinzen sehr traurig.

Während der Prinz so den ganzen Sommer auf seinem hohen Podest stand, am Tag bewundert wurde und in der Nacht weinte, lebte ein Schwälbchen nahe des Flusses. Es hatte sich in ein Schilfrohr verliebt und war deshalb nicht mit den anderen Schwalben gen Süden geflogen. Doch jetzt bedauerte es dies sehr, und es beschloß, seinen Freunden nachzureisen. Auf seinem Flug machte es halt und suchte sich ein Nachtquartier zu den Füßen des Prinzen. Da der Prinz auch in dieser Nacht wieder weinte, fielen seine Tränen auf die kleine Schwalbe hinab. Das Schwälbchen wollte gerade fortfliegen, da entdeckte es den Grund für den seltsamen Regen, der sein Gefieder ganz durchnäßt hatte. Jetzt klagte der Prinz dem Schwälbchen sein Leid und bat es um einen Gefallen. Es sollte den Rubin aus seinem Schwert picken und diesen zu einer armen Frau und deren kranken Sohn bringen. Nach einigem Zögern willigte das Schwälbchen ein.

So ging es auch die nächsten beiden Nächte zu. Der Prinz wollte noch weiteren armen Menschen helfen, einem Dichter und einem armen Mädchen, das Streichhölzer verkaufte. Ihnen ließ er durch das Schwälbchen seine Augen bringen, die Saphire waren. Danach konnte der Prinz nichts mehr sehen. Doch nun wurden die Augen des Schwälbchens seine Augen. Denn das Schwälbchen hatte den Prinzen längst lieb gewonnen und hatte nun kein Verlangen mehr nach Ägypten zu fliegen, dorthin wo seine Artgenossen den kalten Winter verbrachten. Es saß auf der Schulter des Prinzen und berichtete ihm von allem Elend, das es in der Stadt erblickte. Der Prinz wollte sogleich helfen und gab all sein Gold, das seinen bleiernen Körper umgab. Noch viele Tage konnte das Schwälbchen nun Gutes tun. Es brachte das Gold des Prinzen zu den Armen der Stadt. Doch jetzt war der kalte Winter da. Das arme Schwälbchen konnte die Kälte nicht aushalten und starb. Auch der glückliche Prinz blieb nicht verschont. Er hatte all seine Steine und sein Gold den Armen gegeben. Weil er, so grau wie er jetzt war, den Stadträten nicht mehr gefiel, wurde sein Körper eingeschmolzen. Nur das bleierne Herz. Das schmolz nicht. Deshalb wurde es auf einen Misthaufen geworfen. Dorthin wo schon die tote Schwalbe lag."

"Das ist aber traurig", sagt Mutter Menschlein mit Tränen in den Augen. Da berichtet Vater Menschlein noch vom Ende der Geschichte: "Ein Engel stieg vom Himmel herab und nahm die tote Schwalbe und das bleierne Herz mit ins Paradies, wo die Schwalbe von nun an zwitscherte und der Prinz wieder glücklich war."

26. April 2007

Gute Nacht