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HEINRICH BÖLL STIFTUNG/425: Angezählt, aber nicht ausgeknockt - Acht Lehren aus den Zwischenwahlen in den USA


Heinrich-Böll-Stiftung - 7. November 2018

Angezählt, aber nicht ausgeknockt:
Acht Lehren aus den Zwischenwahlen in den USA

Analyse von Bastian Hermisson


Die Zwischenwahlen zeigen, wie stark die Trump-Präsidentschaft die US-Gesellschaft politisiert und polarisiert. Was folgt daraus für die künftige Politik der Demokraten und Republikaner? Eine Analyse von Bastian Hermisson, Leiter unseres Büros in Washington.


Am Wahltag regnet es in Washington, DC - einer Hochburg der Demokraten - in Strömen. Die Stimmung ist angespannt. Es ist eine andere Welt als noch vor zwei Jahren, als am Wahltag unter blauem Himmel viele Menschen euphorisch auf den Sieg von Hillary Clinton hofften. Der Schock der Wahlnacht von 2016 sitzt immer noch tief in der Stadt. Die vergangenen zwei aufreibenden Jahre der Regierungszeit von Donald Trump und der republikanischen Dominanz der Bundespolitik haben Spuren hinterlassen.

Ein harter Wahlkampf liegt hinter dem Land mit dem Gefühl auf beiden Seiten des politischen Spektrums, der Charakter und die Zukunft des Landes stehe auf dem Spiel. Trump hat diese Polarisierung in den letzten Monaten wieder einmal auf die Spitze getrieben. Er hat den politischen Gegner dämonisiert und auf eine Angst- und Wutkampagne gesetzt, vor allem gegenüber Migrant/innen und der freien Presse. Die versuchten Bombenattentate auf Demokraten und regierungskritische Medien und der rechtsextremistische Terroranschlag auf eine jüdische Synagoge in Pittsburgh in den Wochen vor der Wahl waren ein bestürzendes Signal der Erstarkung des Extremismus in diesem Klima der gesellschaftlichen Radikalisierung. Die Demokraten machten ihrerseits den Wahlkampf zu einem Referendum über Donald Trump, setzten dabei jedoch vor allem auf Sachthemen, allen voran die Gesundheitspolitik und überließen Identitätspolitik diesmal in erster Linie dem politischen Gegner.

Bei dem Wahlkampf ging es daher nicht nur um die Mandatsverteilung für die kommenden Jahre. Es ging auch um die Frage, welche Botschaften und welche Kandidat/innen für die Wahlen 2020 Erfolg versprechen, und wie sich die demokratische und republikanische Partei in den kommenden Jahren aufstellen werden.

Das Ergebnis ist ein gemischtes Bild. Die Demokraten haben die Mehrheit im Abgeordnetenhaus gewonnen, einige Sitze im Senat verloren, mehrere Gouverneursposten gewonnen, in anderen wichtigen Rennen aber den Kürzeren gezogen. Mehrere Lehren lassen sich aus diesem Ergebnis ziehen.

1. Die Trump-Präsidentschaft politisiert und polarisiert

Die Demokraten wollten die Wahl zu einer Abrechnung mit Donald Trump machen. Sie haben es geschafft, damit viele Wähler/innen zu mobilisieren und viele Wahlkreise zu ihren Gunsten zu kippen. Eine Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner sehnt sich offensichtlich nach einer anderen Form von Politik und politischem Diskurs. Dennoch war die Wahl keine klare Ablehnung des Trumpismus, der politischen Verlagerung der republikanischen Partei nach rechts außen. Denn auch die Republikaner haben mit ihrem Rechtsruck und Populismus Rekordzahlen von Wählerinnen und Wählern an die Urne gebracht. Diese Wahl zeigt daher vielmehr, dass die Trump-Präsidentschaft die Menschen in den USA insgesamt stärker politisiert und die Gesellschaft weiter polarisiert. Aus dieser Spaltung des Landes mögen sich mittelfristig leichte politische Vorteile für die Demokraten ergeben, sie ist jedoch kein gutes Zeichen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den politischen Diskurs und die Zukunft der Demokratie in den USA.

2. Frauen sind die Hoffnung der Demokraten

Viel wurde im Vorfeld der Wahl zu der politischen Bedeutung von Frauen geschrieben, sowohl als Wählerinnen als auch als Kandidatinnen. Und in der Tat hat die Wahlnacht gezeigt, dass vor allem Frauen die Wut-Kampagne der Republikaner und die zunehmend populistische und sexistische Ausrichtung der republikanischen Partei ablehnen. Vor allem die starke Mobilisierung von gebildeten Frauen aus den Vorstädten und von schwarzen Frauen hat dafür gesorgt, dass die Demokraten etliche Sitze im Abgeordnetenhaus dazu gewinnen konnten. Und es waren in erster Linie Frauen, welche diese Mobilisierung vor Ort vorangetrieben und organisiert haben. Erstmals in der Geschichte der USA sind zudem etwa 100 Frauen, überwiegend Demokratinnen, ins Abgeordnetenhaus gewählt worden. Für die Demokraten ist dies ein wichtiges Signal, auch mit Blick auf ihre politische Ausrichtung. Für die meisten Wählerinnen standen Sachthemen im Vordergrund, vor allem die Gesundheitspolitik. Die Partei wird daher vermutlich versuchen, einen sachorientierten Kurs weiter zu verfolgen anstatt die Radikalisierung des politischen Diskurses ihrerseits zu befeuern. Dass die Republikaner wiederum es vermocht haben, eine Rekordzahl von weißen Männern für die Zwischenwahlen zu mobilisieren zeigt gleichzeitig, dass die Spaltung der USA zunehmend auch eine geschlechterpolitische ist.

3. Die Republikaner sind endgültig die Partei von Donald Trump

2016 hatte Donald Trump als politischer Außenseiter noch das gesamte republikanische Establishment gegen sich. Er hatte weder eine parteiinterne Machtbasis, noch war er progammatisch in vielen Fragen auf Linie der Partei. Diese Wahl zeigt, wie stark sich das seither verändert hat. Trump hat sich nicht der Partei angepasst, sondern die Partei ist zur Partei von Donald Trump geworden. Die meisten Trump-kritischen Stimmen innerhalb der Republikaner sind bei diesen Wahlen entweder gar nicht mehr angetreten oder haben sich von Trump-Kritiker/innen zu begeisterten Trumpianern gewandelt. Schon in den republikanischen Vorwahlen war die Unterstützung oder Ablehnung durch Trump der wichtigste Faktor für den Erfolg von Kandidat/innen. An die 90 % der republikanischen Wählerinnen und Wähler unterstützen unverändert den Kurs des Präsidenten. Und Trump kann jetzt mit Verweis auf mehrere wichtige Wahlsiege, beispielsweise in Florida und Indiana, darauf verweisen, dass sein populistischer Rechtsaußen-Kurs Erfolg verspricht. Daher ist nicht mit einer Mäßigung der Trump-Agenda oder der republikanischen Partei in den kommenden Jahren zu rechnen.

4. Die Rückkehr von Checks and Balances

Die Mehrheit der Demokraten im Abgeordnetenhaus ist nicht nur ein politisches Signal, sondern wird auch konkrete Auswirkungen auf das Wechselspiel zwischen Exekutive und Parlament haben in den kommenden Jahren. Erstens können Demokraten nun ihre Kontrollfunktion der Exekutive intensiver wahrnehmen, beispielsweise durch die Einberufung und Leitung von Untersuchungsausschüssen oder die Prüfung von Donald Trumps Steuererklärungen. Auch die Russland-Ermittlungen des Sonderermittlers Robert Mueller werden in den kommenden Monaten wieder mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Zweitens haben die Demokraten nun ein stärkeres Mitspracherecht bezüglich des Bundeshaushalts, der ihnen politische Einflussmöglichkeiten verschafft. Und Drittens ist der legislative Prozess nun nicht mehr alleine unter republikanischer Kontrolle, das heißt Donald Trump wird auf Kompromisse mit den Demokraten angewiesen sein.

5. Demokratischer Comeback auf lokaler und Bundesstaatsebene

In den letzten Jahren haben die Demokraten an die 1000 Sitze in Landesparlamenten und eine Mehrheit von Gouverneursposten an die Republikaner verloren. Die Partei war dadurch extrem geschwächt, denn in einem föderalen System wie den USA wird Politik in großem Maße auf Bundesstaats- und lokaler Ebene gestaltet. Gleichzeitig sind die Funktionsträger/innen auf diesen Ebenen diejenigen, welche bundesweite Wahlkämpfe vor Ort unterstützen können und welche gleichzeitig einen Rekrutierungspool für künftige Politiker/innen auf Bundesebene bilden. Nach aktuellem Stand haben die Demokraten hier erheblich Boden gut gemacht, mindestens sieben zusätzliche Gouverneursposten gewonnen und die republikanische Mehrheit in mehreren Landesparlamenten gekippt. Das ist mit Blick auf die lokale Verankerung der Partei und auf ihre politischen Gestaltungsmöglichkeiten von ebenso großer Bedeutung wie ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus.

6. Klimapolitik, Mindestlohn, Marihuana und Wahlrecht: Ein gemischtes Bild

Wie bei jeder US-amerikanischen Wahl war diese verknüpft mit Volksabstimmungen zu einer Bandbreite an politischen Fragen. Aus grüner Sicht enttäuschend ist, dass mehrere wichtige klimapolitische Volksabstimmungen verloren gingen, beispielsweise zu der Einführung einer CO2-Steuer im Bundestaat Washington. Zudem sind einige republikanische Abgeordnete, die einer klimapolitischen Arbeitsgruppe im Abgeordnetenhaus angehörten, nicht wiedergewählt worden, was diese Arbeitsgruppe verkleinern wird und ein Zeichen ist, dass die Klimapolitik auch weiterhin auf Bundesebene kaum voran kommen wird. Auf der anderen Seite hatten etliche liberale Initiativen Erfolg, beispielsweise zur Erhöhung von Mindestlöhnen oder zur Dekriminalisierung von Marihuana. Bedeutend ist der Erfolg einer Initiative in Florida zur Wiederherstellung des Wahlrechts für ehemalige Strafgefangene. Dies eröffnet über einer Million Menschen aus Florida, vor allem schwarzen Männern, in diesem politisch wichtigen Bundesstaat die erneute Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung und könnte auch für die Wahl 2020 von Bedeutung sein.

7. Eine gewachsene außenpolitische Herausforderung

Angesichts der demokratischen Mehrheit im Abgeordnetenhaus wird Donald Trump es in den kommenden Jahren noch schwerer haben, die Innenpolitik legislativ zu gestalten. Ein Blick auf die Historie zeigt, dass sich Präsidenten in solch einer Situation meist umso mehr auf die Außenpolitik fokussieren, in denen sie der Kontrolle des Kongresses weniger unterworfen sind und großen eigenen Handlungsspielraum haben. Nichts deutet darauf hin, dass Donald Trump hier seinen Kurs verändern könnte. Im Gegenteil rechnen viele Beobachter in Washington mit baldigen personellen Veränderungen im Kabinett und der Entlassung einiger relativ gemäßigter Kräfte wie dem derzeitigen Verteidigungsminister James Mattis. Daher sollte sich die internationale Gemeinschaft und die Europäische Union auf weitere scharfe Auseinandersetzungen mit der US-Regierung einstellen, vor allem in der Handelspolitik, der Sicherheitspolitik, der Zukunft multilateraler Institutionen und internationaler Abkommen sowie der globalen Klima- und der Migrationspolitik. Das wird auch Deutschland in den kommenden Jahren vor erhebliche diplomatische Herausforderungen stellen.

8. Nach der Wahl ist vor der Wahl

Am Tag nach den Zwischenwahlen ist der Präsidentschaftswahlkampf für 2020 offiziell eröffnet. Donald Trump hat mit der erfolgreichen Mobilisierung seiner Basis bei diesen Zwischenwahlen bewiesen, dass dann mit ihm zu rechnen sein wird. Er scheint sich als rechtspopulistischer Brandstifter auf Wahlkampfbühnen weiterhin wohler zu fühlen denn als Präsident im Weißen Haus. Es wäre fahrlässig, ihn oder seine Wiederwahlchancen zu unterschätzen.

Zwei Aspekte können den Demokraten dennoch Hoffnung machen. Sie haben es bei dieser Zwischenwahl vermocht, in mehreren Staaten hinzuzugewinnen, die 2016 wahlentscheidend waren, vor allem im Mittleren Westen, in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin. Auf diese Staaten sind sie 2020 dringend angewiesen.

Und zum Zweiten haben die Zwischenwahlen eine große Bandbreite an neuen Persönlichkeiten hervor gebracht, welche die Partei vielfältiger machen werden und für frische Ideen und neuen Mut sorgen könnten. Einige der neuen Hoffnungsträger der Partei, Beto O´Rourke aus Texas, Stacey Abrams aus Georgia oder Andrew Gillum aus Florida, konnten ihre jeweiligen Wahlkämpfe diesmal zwar jeweils knapp nicht für sich entscheiden. Die landesweite Begeisterung unter Demokraten für diese neuen Gesichter deutet dennoch darauf hin, dass die Sehnsucht nach neuen politischen Führungspersönlichkeiten die demokratischen Vorwahlen mitbestimmen könnte. Das könnte ein entscheidender Vorteil gegenüber Donald Trump sein, der in zwei Jahren kaum mehr den Bonus des Neulings und Außenseiters wird vorweisen können.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2018

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