Schattenblick → INFOPOOL → GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE


MEMORIAL/166: 19. April 1937 - Mussolinis Dekret über "Die Verteidigung der Rasse" (Gerhard Feldbauer)


Die römische Rassenideologie entstand lange vor den hitlerfaschistischen Rassengesetzen

Am 19. April 1937 gipfelte sie in Mussolinis Dekret über "Die Verteidigung der Rasse"

von Gerhard Feldbauer, 18. April 2017


Zur Kolportage, dass in Ideologie und Politik Mussolinis zunächst Rassismus, Antisemitismus und Judenverfolgung keine so barbarische Rolle gespielt hätten, gehört auch die Behauptung, die hitlerfaschistischen Rassengesetze habe Rom erst unter dem Druck Berlins 1938 übernommen.[1] Wenn auch die Judenverfolgung nicht das unmenschliche Ausmaß wie in Deutschland annahm, schlug die Geburtsstunde der römisch-rassistischen Ideologie bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als Italien mit der Eroberung Eritreas und Südsomalias zur Schaffung seines Kolonialreiches in Afrika ansetzte. Zur Verwirklichung von "La Grande Italia" (Großitalien) und dem Mittelmeer als "Mare Nostrum" (Unserem Meer) traten die Ideologen des Kolonialismus als "Erben des antiken Rom" auf, die dazu berufen seien, die "italienische Zivilisation" in die Welt zu tragen. Die entstehende Rassenideologie unterschied sich nur graduell von der späteren der Hitlerfaschisten. Sie ging von der generellen Überlegenheit der europäischen Völker aus und klassifizierte die Afrikaner als "minderwertige Rassen", als eine verwandte Form von Antropoiden oder Affen, die eine besondere Neigung zur Kriminalität und zu Lug und Trug hätten. Während der kolonialen Eroberungen dienten die rassistischen Theorien zur Rechtfertigung des barbarischen Terrors. Noch bevor unter Hitler in Deutschland Konzentrationslager entstanden, errichtete der bereits 1922 an die Macht gekommene "Duce" diese bei der Eroberung Libyens 1931. Beim Überfall auf Äthiopien 1935/36 setzte er Giftgas ein und beging Völkermord.

In Äthiopien wurde diese Rassenideologie sofort praktiziert. In die 1935/36 eroberte Kolonie kamen mehr als vorher italienische Siedler, die Kontakte zu den Einheimischen aufnahmen, mit ihnen Geschäfte machten, auch sexuelle Beziehungen zu Frauen unterhielten und selbst eheähnliche Verbindungen eingingen. Die rassistischen Unterweisungen sollten das unterbinden und unter ihnen wie unter allen Italienern den Geist des Herrenmenschen und der Herrenrasse züchten, um sie auf ihre Rolle als künftige Herren nicht nur des bestehenden Italienisch Ostafrika, sondern als Eroberer des ganzen Kontinents vorzubereiten. Grundlage bildeten die Schriften des faschistischen Ideologen Julius Evola. Als Anhänger des in der Weimarer Republik berüchtigten Deutschen Herrenklubs, eines Wegbereiters des Machtantritts Hitlers, und nach 1933 des Freundeskreises Himmlers, schrieb er unter dem Einfluss der deutschen Mystik, dem SS-Totenkult und anderem reaktionärem Gedankengut sein Hauptwerk "Die Söhne der Sonne", in dem er die Überlegenheit der arischen Rasse, Führerkult und soldatische Disziplin verherrlichte. Die Historiker Angelo Del Boca und Mario Giovana schrieben Evolas "Söhne der Sonne" seien Herrenmenschen, die gegenüber "jeglicher Schwäche unerschütterlich" seien, für die "nichts wahr und alles erlaubt ist". Außer den "Herren" würden nur Sklaven existieren. Die Masse bestehe nur aus "Leuten, die überhaupt keine Rechte haben", auch nicht das auf Leben, und über deren Vernichtung "man keine Träne zu vergießen braucht".[2] Das Wüten von Mussolinis Sturmabteilungen und des Henkers von 30.000 Äthiopiern, des Generalgouverneur von Äthiopien, Marschall Roldolfo Graziani, verdeutlichte, wie diese Aspekte der römischen Rassenideologie in barbarischer Weise umgesetzt wurden. Der in Addis Abeba weilende Korrespondent des Mailänder Corriere della Sera, Ciro Poggiali, schilderte, wie mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnete Italiener die Einheimischen auf der Straße erschlugen. "Nach kurzer Zeit sind die Straßen um die Hütten von Toten übersät."[3]

Graf Galeazzo Ciano, Mussolinis Schwiegersohn und zu dieser Zeit Propagandaminister, untersagte jegliche Annäherung "der italienischen Rasse an die schwarze", um die "Reinheit" der italienischen absolut zu wahren. Kolonialminister Alessandro Lessona verbot jede "Vermischung" mit der einheimischen Rasse", da das eine "Paarung mit minderwertigen Geschöpfen" und nicht nur "eine physische Anomalie" sei, sondern zur "Ertränkung unserer besten Qualitäten als dominierende Rasse" führe. Nach den Forderungen des führenden Rassenideologen, des Herausgeber der Zeitung des Großkapitals Il Resto del Carlino, Giorgio Maria Sangiorgi, wurde ein "regelrechtes Apparteid-System errichtet, dass sich auf alle Bereiche der Kolonie erstreckte: Die Trennung galt im Gesundheitswesen wie in der Bildung, in Postämtern und Banken, erfasste Restaurants und Kinos, Krankenhäuser, Bordelle und selbst Friedhöfe.[4] Die rassistischen Forderungen fasste Mussolini am 19. April 1937 in seinem Dekret zur "Verteidigung der Rasse" zusammen, das scharfe strafrechtliche Maßnahmen einschloss. Es bereitete den Boden für das am 14. Juli 1938 verkündete "Rassenmanifest", in dem "das völkisch-biologistische Prinzip - so wie es Mussolini seit langem vertrat - zum Leitgedanken des faschistischen Rassismus und Antisemitismus erhoben wurde". Grundsätzlich und wesentlich wurden die faschistischen Rassengesetze Hitlerdeutschlands übernommen, durch die sich der "Duce" bestätigt fühlte, "in puncto Rassismus aber keiner Anregung oder Nachhilfe von außen" bedurfte. Das betraf auch den Antisemitismus, der "bereits in den zwanziger Jahren zu einem tragenden Pfeiler seiner Ideologie" avanciert war. Bereits im Juli 1935 hatte er Hitler wissen lassen, er habe "die Juden aus wichtigen Ämtern entfernt."[5]

Fruchtbar noch

Weit gefehlt, anzunehmen, die rassistische Ideologie gehöre der Vergangenheit an. Der Chef der rassistischen Lega Nord, Matteo Salvini, drohte am 11. März 2017 in Neapel: "Wenn wir an die Regierung kommen, werden wir die Roma-Lager und die Sozialzentren eliminieren". Die Lega bekannte sich bei ihrer Gründung 1991 zur berüchtigten faschistischen deutschen Blut- und Boden-Ideologie und zu einem offenen Rassismus. 1994 half sie zusammen mit den Faschisten der Alleanza Nazionale, Nachfolger der 1946 als Movimento Sociale Italiano (MSI) wieder gegründeten Mussolinipartei, dem Mitglied des Dreierdirektoriums der faschistischen Putschloge P2 und seiner Forza Italia (FI), Silvio Berlusconi, an die Macht und war bis 2011 in drei seiner Regierungen vertreten. Rassistische Ausfälle gipfelten, es sei leider "leichter, Ratten zu vernichten als Zigeuner auszurotten" (Süddeutsche Zeitung, 16. April 2008). Der Lega-Senator Roberto Calderoli, unter Berlusconi zweimal Minister, stellte sich 2013 hinter Aufrufe, die damalige aus der Demokratischen Republik Kongo stammende Ministerin Cécile Kyenge zu töten. Er verlangte, Flüchtlingsboote zu beschießen, diffamierte Einwanderer, sich "zu den Kamelen in der Wüste" zu scheren und "mit den Affen zu tanzen". Lange Zeit richtete sich der Lega-Rassismus selbst gegen die Neapolitaner, deren Fußballklub in Mailand mit Spruchbändern empfangen wurde: "Was Hitler mit den Juden gemacht hat, wäre auch das Richtige für Napoli".


Anmerkungen:

[1] Einer dieser Kolporteure ist der 1996 verstorbene reaktionäre Faschismusforscher Renzo De Felicie, der sich dazu verstieg, dass "der Rassismus dem italienischen Faschismus im Grunde fremd gewesen sei". Zit. in: Gabriele Schneider: Mussolini in Afrika. Die faschistische Rassenpolitik in den italienischen Kolonien, SH-Verlag, Köln 2000, S. 12 ff.

[2] "I Figli del Sole". Mezzo Secolo di Nazifascismo nel Mondo. Mailand 1965, S. 130 ff.

[3] Ciro Poggiali: Gli Appunti segreti dell Inviato del Corriere della Sera, Mailand 1971, S. 182.

[4] Giorgio Maria Sangiorgi: L'Impero italiano nell Africa Italia, Bologna 1936, S. 193.

[5] Hans Woller: Mussolini. Der erste Faschist. C.H.Beck, München 2016, S. 154 ff.

*

Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang