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MEMORIAL/158: November 1926 - Mussolini leitet den Übergang zur offen terroristischen Diktatur ein (Gerhard Feldbauer)


Stationen der Errichtung des faschistischen Regimes in Italien

1926 ging Mussolini zur offen terroristischen Diktatur über
Vier Jahre vorher schien es noch geraten, sie parlamentarisch zu verschleiern

Von Gerhard Feldbauer, 1. November 2016


Mit dem Verbot nicht nur der kommunistischen und sozialistischen, sondern aller antifaschistischer Positionen beschuldigter Presseorgane leitete Mussolini am 1. November 1926 den Übergang zur offen terroristischen Diktatur ein. Das Interdikt betraf die Zeitung Unita der Italienischen Kommunistischen Partei (IKP), den Avanti der Sozialistischen Partei (ISP), die Gewerkschaftszeitung Battaglie sindacali und bekannte bürgerliche Zeitungen wie die Turiner Stampa, den Mailänder Corriere della Sera oder das Gazzettino von Venedig, die sich in der vorangegangenen Krise des faschistischen Regimes nicht offen hinter den "Duce" gestellt hatten. Am 5. November wurden alle Parteien und Organisationen, ausgenommen der Partito Nazionale Faschista (PNF) und seine Organisationen, verboten. Die faschistische Parlamentsmehrheit verabschiedete Ausnahmegesetze und annullierte die letzten Mandate der Opposition. Mussolini war als Regierungschef nicht mehr dem Parlament rechenschaftspflichtig, sondern nur noch dem König, was eine reine Formalität war. Regierungsdekrete bedurften keiner legislativen Zustimmung mehr. Der von den Reformisten beherrschte Gewerkschaftsbund Confederazione Generale del Lavoro (CGdL) löste sich im Januar 1927 selbst auf. Alle kommunistischen und sozialistischen Abgeordneten, derer die Polizei habhaft werden konnte, wurden verhaftet, darunter am 8. November IKP-Generalsekretär Antonio Gramsci. Dem ISP-Vorsitzenden Pietro Nenni gelang es, nach Paris zu fliehen.

Am Ende des Ersten Weltkrieges befand sich Italien auf der Seite der Sieger und kassierte als wichtigste Beute das österreichische Südtirol. Der Preis waren 680.000 Tote, zirka eine Million Verwundete und eine halbe Million Invaliden. Die Kriegsfolgen und die heraufziehende Wirtschaftskrise mit maßlosen Teuerungen und mehr als einer halben Million Arbeitslosen mündeten in die revolutionären Nachkriegskämpfe. In der ISP, die 1919 zirka 300.000 Mitglieder zählte, hatte sich der reformistische Flügel noch nicht als die Partei beherrschender durchsetzen können. Bei Kriegsausbruch hatte die ISP Antikriegspositionen bezogen, die sie, von Abweichungen einer reformistischen Minderheit abgesehen, bis Kriegsende beibehalten hatte. Bei den Wahlen im November 1919 verdreifachten die Sozialisten ihre Parlamentsmandate gegenüber 1913 und errangen 156 der insgesamt 508 Sitze in der Abgeordnetenkammer. Die Reformisten erreichten 27 Mandate.


Der Sturz der Ausbeuterordnung drohte

Millionen streikten nicht mehr nur, um ihre materielle Lage zu verbessern, sondern für den Sturz der Ausbeuterordnung. Im August/September 1920 besetzten die Arbeiter alle großen Betriebe in Norditalien, wählten Fabrikräte, übernahmen die Leitung der Produktion (die sie trotz Sabotage des größten Teils des technischen Personals durchweg zu 70 Prozent aufrechterhielten) und bildeten bewaffnete Rote Garden zur Verteidigung der Unternehmen. Im Süden nahm die Inbesitznahme von Ländereien der Latifundistas teilweise Massencharakter an. Die Regierung musste durch Dekret das Vorgehen der Bauern legalisieren.

Da dem Imperialismus in Italien nicht wie in Deutschland eine mehrheitlich revisionistische und chauvinistische Positionen vertretende sozialdemokratische bzw. sozialistische Führung zur Niederschlagung der revolutionären Arbeiter zur Verfügung stand, setzten seine reaktionärsten Kreise auf Mussolini. Damit wurde der Faschismus in Italien früher als in Deutschland zu der Kraft, in der Großkapital und Latifundistas den Garanten ihrer Existenz sahen und dem sie an die Macht verhalfen. Im März 1919 gründete Mussolini Fasci di Combattimento (Revolutionäre Kampfbünde). Dafür stellten ihm führende Unternehmer das Gebäude ihrer Industrie- und Handelskammer (des Vorläufers des Industriellenverbandes Confindustria) an der Piazza San Sepolcro in Mailand zur Verfügung.

Die Gründung der IKP am 21. Januar 1921 gab den revolutionären Kräften Auftrieb. Mussolini versuchte danach zunächst, die faschistischen Positionen durch eine Teilnahme an den für Mai 1921 anberaumten Parlamentswahlen zu stärken und bildete mit der bürgerlichen Rechten einen "Nationalen Block". Trotz des blutigen Terrors kam die profaschistische Koalition nur auf 265 Mandate, von denen nur 36 an die Faschisten fielen, die erstmals ins Parlament einzogen. Die ISP behauptete 123 Sitze, die katholische Volkspartei kam auf 108. Die IKP gewann erstmals 15 Mandate. Mussolini drohte, "ich bin gegen das Parlament und gegen die Demokratie". Während seine Schwarzhemden auf der Straße schrien: "Italien braucht einen Diktator", kündigte er den Weg an. "Wir werden kein Parlamentsklub sein, sondern ein Aktions- und Exekutionskommando."

Nach diesen Wahlen begann Mussolini, die bewaffnete Machtergreifung vorzubereiten. Einflussreiche Kreise des Industrie- und Bankkapitals, Vertreter der Großagrarier sowie der Staatsbürokratie und Teile des Militärs unterstützten ihn. Von der im April 1920 gegründeten Confindustria und der danach im August gebildeten Confederazione dell'Agricoltura sowie aus vielen Unternehmerkassen (Conti, Pirelli, Agnelli, Benni, Donegani, Bennedetti) erhielten die Faschisten reichlich Gelder. Am Hofe hatte Mussolini Fürsprecher in der verwitweten Königinmutter und im Herzog von Aosta, einem Vetter Vittorio Emanuele III. und Kommandeur eines Armeekorps, der ihm für einen Staatsstreich Unterstützung zusicherte. Der im Januar neu gewählte Papst Pius XI. ergriff zusammen mit seinem Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri ebenfalls offen Partei für die Faschisten.

Zur Führung der faschistischen Bewegung konstituierte Mussolini im November 1921 die Fasci di Combattimento zum Partito Nazionale Faschista. Von etwa 30.000 Anhängern 1919 war die Bewegung seitdem auf rund 320.000 eingeschriebene Mitglieder angewachsen, die in 2.200 Fasci organisiert waren. Die Squadre di Azione (Sturmabteilungen - SA) wurden in den PNF eingegliedert, alle Parteimitglieder verpflichtet, ihnen beizutreten. Mussolini ließ sich von nun an "Duce del Fascismo" nennen. Mit dem PNF entstand eine imperialistische Massenpartei, deren Gefolgschaft überwiegend aus kleinbürgerlichen Schichten bestand.

Wie vorher die Mitglieder der Fasci nannten sich auch die des PNF Fascisti, und die Bewegung bezeichnete sich als Fascismo. Mit dem Namen griff Mussolini einmal auf die Fasces, jene lederumschnürten Rutenbündel der altrömischen Liktoren, aus denen ein Beil hervorragte zurück. Dieses Zeichen der Gewalt über Leben und Tod war für ihn Anlass, sich und seine Diktatur im Rahmen der nationalistischen Verhetzung als Nachkommen des Römischen Reiches und seiner Cäsaren zu feiern. Gegenüber den Arbeitern wurde herausgestellt, dass ihre Organisationen in den Kämpfen des 18. und 19. Jahrhunderts sich Fasci genannt hatten. So beispielsweise die armen Bauern, Tagelöhner und Arbeiter in Messina, Catania und Palermo, die 1889 Fasci di Lavoratori gebildet hatten, aus denen 1893 die Federazione Socialista Siciliana hervorging. Auch bei der Wahl der Farbe der Uniformhemden griff Mussolini auf Traditionen aus der Arbeiterbewegung vor allem des Südens zurück, wo sowohl die Bergarbeiter als auch die Anarchisten schwarze Hemden trugen. Mussolinis pseudorevolutionäre Demagogie kam selbst bei nicht wenigen Sozialisten an, da er von 1900 bis zu seinem Ausschluss 1914 eine führende Funktion in der ISP inne hatte und es bis zum Chefredakteur des Avanti brachte. Viele sahen in den Fasci eine neue sozialrevolutionäre Organisation.(1)


Das Signal der Confindustria

In Neapel beschloss der PNF-Kongress am 22. Oktober 1922 den "Marsch auf Rom" und mobilisierte die Sturmabteilungen. Am 28. Oktober brachen die ersten 40.000 SA-Männer in drei Marschkolonnen nach der Hauptstadt auf. Der Rest folgte in LKWs, nachdem Mussolini von Mailand aus das Kommando dazu gegeben hatte. Für den "Marsch auf Rom" hatte sich der "Duce" der Unterstützung der Confindustria und des Wohlwollens der Militärs versichert. Das Königshaus hatte grünes Licht unter der Bedingung gegeben, dass die Monarchie nicht angetastet werde. In Mailand traf der "Duce" mit Vertretern des Industriellenverbandes zusammen. Die Abordnung führte der Gummikönig Pirelli an. Der Duce gab den Herren noch einmal zu verstehen, dass seine antikapitalistischen Forderungen nicht ernst zu nehmen und die Sicherung der Interessen der Wirtschaft und die "Wiederherstellung der Arbeitsdisziplin in den Betrieben" für ihn oberstes Anliegen seien. Pirelli war beeindruckt. "Welch ein Mann, dieser Mussolini, mit dem man sich so sachkundig über derartige Fragen unterhalten kann".

Vittorio Emanuele III. lehnte die von Ministerpräsident Luigi Facta angesichts der auf Rom vorrückenden Faschisten vorgeschlagene Verhängung des Ausnahmezustandes und die militärische Verteidigung der Hauptstadt ab. Facta trat daraufhin zurück und der König gab die Berufung Mussolinis bekannt. Erst jetzt fuhr dieser - um nicht aufzufallen, im Liegewagen der Eisenbahn - in der Nacht zum 30. Oktober nach Rom. Während die SA grölend durch die Straßen der Hauptstadt zogen, plündernd und mordend das Arbeiterviertel San Lorenzo heimsuchten, empfing der Monarch den "Duce del Fascismo" und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung. Er übergab die Exekutive einer Partei, die im Parlament von 508 Sitzen nur 36 belegte. Noch am selben Tag nahmen der Monarch und Mussolini - zum Entsetzen vieler Römer - eine Parade der faschistischen Horden und einer Formation der königlichen Armee ab.(2)

Am nächsten Tag legitimierten Nationalisten, Liberale und die katholische Volkspartei mit ihrem Eintritt in die Regierung den Putsch Mussolinis. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit sprach dem faschistischen Regierungschef mit 306 Stimmen das Vertrauen aus. Es gab nur 106 Gegenstimmen, vor allem aus den Arbeiterparteien. Angesichts des wachsenden Einflusses der gegründeten IKP und von Anzeichen des Zusammengehens der Sozialisten mit dieser waren sich die herrschenden Kreise nicht mehr sicher, die Macht unter einer herkömmlichen bürgerlichen Regierung behaupten zu können.


Das parlamentarische Mäntelchen

Neben der Monarchie musste Mussolini auch den parlamentarischen Rahmen beibehalten. Der König, die Confindustria und der Vatikan hielten das für angebracht, um die bürgerlichen Parteien zu besänftigen und Widerstand ihrerseits vorzubeugen. So war die erste Regierung Mussolini, formal gesehen, keine rein faschistische Exekutive. Von 15 Kabinettsressorts besetzte der PNF nur vier, darunter Mussolini die Ministerien für Äußeres und Inneres. Mit dem reaktionären Philosophen Giovanni Gentile und dem Nationalisten Luigi Federzoni, die beide später dem PNF beitraten, sowie zwei am Putsch beteiligten hohen Militärs, die das Kriegsministerium bzw. das Marineressort übernahmen, saßen jedoch zuverlässige Erfüllungsgehilfen des "Duce" im Kabinett. Die restlichen sieben Minister kamen aus den bürgerlichen Parteien. Sie verschafften dem seinem Charakter nach faschistischen Kabinett ein parlamentarisch verbrämtes, bürgerlich-demokratisches Mäntelchen und nährten unter dem faschistischen Regime noch mit Vorbehalten gegenüberstehenden bürgerlichen Politikern die Illusion, der "Duce" müsse mit den bürgerlichen Parteien die Macht teilen und könne so unter Kontrolle gehalten werden.

Die antifaschistische Bewegung, deren Hauptkräfte aus der Arbeiterbewegung kamen, hatte - bedingt durch ihre Uneinigkeit, die sich hauptsächlich aus ihrer Spaltung ergab - die Machtübergabe an Mussolini nicht verhindern können. Der seit 1919 tobende faschistische Terror hatte nicht nur bürgerliche Kreise, sondern auch Arbeiterschichten eingeschüchtert und ihre Widerstandskraft geschwächt. Wie Angelo Tasca schrieb, war der Sieg des Faschismus jedoch "nicht absolut unvermeidlich, nicht schicksalhaft".(3) Palmiro Togliatti warnte ebenfalls "den Übergang von der bürgerlichen Demokratie zum Faschismus als notwendig, als unvermeidbar anzusehen."(4) Aufschlussreich war die Aussage Roberto Farinaccis, eines der engsten Mitarbeiter Mussolinis in der PNF-Führung, der Erfolg sei weniger von der Stärke des Faschismus als "von der Schwäche und zögerlichen Haltung seiner Gegner" abhängig gewesen.(5) Gegen den Faschismus an der Macht leisteten dann, wie sich erstmals in der Matteotti-Krise zeigte, neben den Linken in Italien auch Vertreter der bürgerlichen Oppositionsparteien, darunter solche, die dem Machtantritt untätig gegenübergestanden hatten, Widerstand, während sich die entsprechenden Kräfte zehn Jahre später in Deutschland weitgehend passiv verhielten.

Mit Regierungsdekreten hob der "Duce" die Besteuerung aller Industrie- und Bankwerte der Besitzenden auf und widerrief das Gesetz zur Übereignung unbebauten Großgrundbesitzerlandes an landlose und arme Bauern. Beseitigt wurde der Achtstundenarbeitstag, für den die Faschisten sich demagogisch ausgesprochen hatten. Die Löhne sanken um 13 Prozent und stagnierten danach.

Im Dezember 1922 ernannte Mussolini einen Gran Consiglio del Fascismo, der Gesetze erlassen und dabei das Parlament übergehen konnte. Da sich die Armee beim Marsch auf Rom nicht geschlossen hinter ihn gestellt hatte, diese weiterhin dem König als oberstem Feldherrn unterstand und er sich so ihrer Loyalität nicht völlig sicher war, wertete er die SA zur "Miliz für nationale Sicherheit" auf und gliederte sie als eigenständige Teilstreitkraft in die Armee ein. Die Miliz wurde auf den "Duce" und den Großen Rat des Faschismus vereidigt und unterstand nur ihm. Gleichzeitig wurde die königliche Garde aufgelöst. Die katholische Volkspartei verließ am 23. März 1923 das Kabinett. Der Vatikan missbilligte den Austritt.


Die Matteotti-Krise

Zur Konsolidierung seiner Macht bereitete der "Duce" eine betrügerische Scheinwahl vor. Im Parlament peitschte er ein neues Wahlgesetz durch, welches das 1919 erkämpfte Verhältniswahlrecht modifizierte und festlegte, dass die Liste, welche die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt, zwei Drittel der Parlamentssitze zugesprochen erhielt. Zu den Wahlen am 6. April 1924 traten auf einer gemeinsamen Regierungsliste für den PNF führende Industrielle wie der Präsident der Confindustria, Alfano Benni, und Gino Olivetti vom gleichnamigen Elektrokonzern an. Über die Liste zogen 375 Abgeordnete ins Parlament ein, darunter 275 Mitglieder des PNF. Die übrigen Parteien erreichten 161 Mandate, von denen 24 bzw. 22 auf die Einheitssozialisten(6) und Sozialisten und 19 auf die Kommunisten entfielen. Die Volkspartei kam noch auf 39 Sitze. Die Liberalen stellten nur noch 15 Abgeordnete.

Gegen die manipulierten Wahlen entfalteten sich bis dahin nicht gekannte Proteste, die das Regime in eine existenzielle Krise stürzten, die sogenannte Matteotti-Krise; benannt nach dem Führer der Einheitssozialisten, der im Parlament und in der Öffentlichkeit die Verbrechen der Faschisten anprangerte und forderte, die Wahl für ungültig zu erklären. Am 10. Juni überfiel ein Mordkommando Matteotti auf offener Straße, erschlug ihn und verscharrte seine Leiche in der Umgebung der Hauptstadt, wo sie erst am 16. August gefunden wurde. Die IKP schlug ISP und SEP sowie den Gewerkschaften einen Generalstreik mit der Forderung vor: Weg mit der Regierung der Mörder! Entwaffnung der faschistischen Garden! Bildung einer Arbeiter- und Bauernregierung! Die Regierungslosung schloss die bürgerliche Opposition aus. Der Vorschlag wurde zurückgewiesen.

Nach dem Mord an Matteotti verließ fast die gesamte Opposition das Parlament, tagte auf dem Aventin-Hügel und nannte sich nach ihm. Die bürgerliche Opposition beschränkte sich darauf, die Auflösung der faschistischen Miliz und die Wiederherstellung der Gesetzlichkeit zu verlangen, und schreckte vor der Forderung nach dem Rücktritt der Mussolini-Regierung zurück. Der Antrag der IKP, den Aventin zum Gegenparlament zu erklären, wurde verworfen. Gleichzeitig wandte sich die bürgerliche Opposition gegen revolutionäre Aktionen der Arbeiter. Der liberale Abgeordnete Giovanni Amendola schrieb in der von ihm herausgegebenen Zeitung Il Mondo am 23. Oktober "weder Revolution noch Faschismus, weder ein revolutionäres Antiparlament noch ein von der Miliz überwachtes Parlament" und sprach sich für eine konstitutionelle Restauration im Rahmen der Monarchie aus. Nach der Rückkehr des Aventinblocks in die Abgeordnetenkammer stimmten jedoch die früheren Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti, Vittorio Emanuele Orlando und Antonio Salandra gegen Mussolini.

Aus dem PNF traten Mitläufer, Karrieristen und Funktionsträger, die einen Sturz Mussolinis befürchteten, scharenweise aus. Bis Ende 1924 verließen 182.291 Mitglieder die Partei, deren Zahl nach der offiziellen Statistik nur noch 599.988 betrug. Selbst führende Faschisten wollten nachgeben und einen Kompromiss mit den Liberalen schließen. Mussolini entließ mehrere seiner engsten Mitarbeiter, darunter den Chef seines Pressebüros, Cesare Rossi, der an der Entführung und Ermordung Matteottis beteiligt gewesen war, und den Polizeichef, General Emilio De Bono. Schließlich trat er selbst als Innenminister zurück.


Die Retter des "Duce"

Zur Rettung Mussolinis traten die Confindustria und der Vatikan auf den Plan. Der Industriellenverband versicherte Mussolini bereits am 24. Juni seiner "unwandelbaren Treue" und nahm scharf gegen die "intrigante Opposition" Stellung. Nachdem Mussolini dem Vatikan Konkordatsverhandlungen zur Lösung der 1870 vom Papst provozierten "römischen Frage" signalisierte hatte, lobte der Osservatore Romano dessen "feste Haltung" und wandte sich gegen antifaschistische Aktionen. Dank der so gewährten Hilfe entging Mussolini 1924/25 seinem Sturz und konnte im November 1926 die parlamentarisch verschleierte Etappe des Faschismus beenden und seine offene terroristische Diktatur errichten.

Das Regime kerkerte über 2.000 Kommunisten ein, darunter Gramsci, der unter Bruch seiner Abgeordnetenimmunität verhaftet wurde. Im Mai 1928 verurteilte ein Sondertribunal 37 führende Kommunisten zu langjährigen Kerkerstrafen. Auch viele bürgerliche Oppositionelle, die in der Matteotti-Krise gegen die Diktatur aufgetreten waren, wurden verfolgt, umgebracht, eingesperrt oder mussten emigrieren.


ANMERKUNGEN

(1) Ausf. Georg Scheuer: Genosse Mussolini. Wurzeln und Wege des Ur-Faschismus. Wien 1985

(2) Marco Palla: Mussolini e il Fascismo. Florenz 1993.

(3) A. a.O.

(4) Togliatti : Lektionen über den Faschismus. Frankfurt/Main 1973

(5) Zit. In: Jens Petersen, Wolfgang Schieder: Faschismus und Gesellschaft in Italien. Köln 1998.

(6) Von der ISP 1922 abgespaltene Sozialistische Einheitspartei (Partito Socialista Unitario - PSU).

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2016

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