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MEMORIAL/130: Der lange Arm der Mafia - Eine kurze Geschichte der "Ehrenwerten Gesellschaft" (Gerhard Feldbauer)


Der lange Arm der Mafia

Eine kurze Geschichte der "Ehrenwerten Gesellschaft"

von Gerhard Feldbauer, 12. Juli 2015


Die Mafia knüpfte auf Sizilien an progressiven Wurzeln an. 1282 stürzten die Bürger im Aufstand der "Sizilianischen Vesper" die Herrschaft des Grafen von Anjou, einem Bruder König Ludwig IX. Ihrem Schlachtruf "Morta alla Francia - Italia Anela" (Frankreichs Tod - Italiens Herzenswunsch) sollen die späteren Gründer die Anfangsbuchstaben für den Namen Mafia entnommen haben. Zunächst agierten sie als Räuberbanden, ähnlich wie in Deutschland Karl Stülpner, gaben nach der Herstellung des Einheitsstaates 1861 dem Protest gegen das ungelöste Elend des Südens Ausdruck. Bald aber wurden sie Interessenvertreter der politisch entmachteten Latifundista gegen die Herrschaft der Bourgeoisie des Nordens. Als organisierte Verbrecherorganisation breitete sie sich wie ein Polyp über das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben aus. Auf Sizilien nannte sie sich Cosa nostra (Unsere Sache), in Kalabrien 'Ndrangheta' und in Neapel 'Camorra'. Unter Mussolini offiziell verboten, blieb sie jedoch weitgehend unangetastet.

Unter den italienischen Auswanderern in die USA befanden sich viele Mafiosi, deren Zentrale Chicago wurde, die Stadt Al Capones. Bei der Landung der US-Army im Juli 1943 auf Sizilien sicherte sich der Geheimdienst die Hilfe der Mafia. Dazu wurde der Schwerverbrecher Lucky Luciano aus dem Gefängnis entlassen und nach Palermo gebracht. Die Mafiosi wurden als Polizeichefs, Bürgermeister oder in andere Ämter eingesetzt und so wurde verhindert, dass Kommunisten und Sozialisten diese Positionen besetzen konnten. Luciano wurde seine lebenslange Haftstrafe erlassen. Die Mafia brachte den Schwarzhandel mit US-Armee-Beständen unter ihre Kontrolle und machte ihn zur Basis ihrer Wiederbelebung.

Unter den Fittischen von Luciano stieg ein Michele Sindona zum Drahtzieher eines Geflechts der Mafia mit der Kurie, den italienischen Faschisten, CIA- und NATO-Kreisen und ihrer Führungszentrale, der Putsch-Loge Propaganda due (P2) auf, das den späteren Staatspräsidenten Francesco Cossiga, Ministerpräsidenten wie Giulio Andreotti, den Sozialistenchef Bettino Craxi und später Silvio Berlusconi einbezog. Dieses Geflecht inszenierte mit der Nato-Truppe Gladio die Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro und den Sturz der von ihm mit den Kommunisten gebildeten Regierung. Andreotti wurde 1992 wegen Anstiftung zum Mord und Komplizenschaft mit der Mafia angeklagt, in Revision wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Craxi, wie Berlusconi Mitglied des Dreierdirektoriums der P2, erhielt eine lebenslange Haftstrafe, vor der er ins Ausland (Tunesien) floh. Als Stallknecht getarnt hielt in der Villa Arcore Berlusconis in Mailand ein Mafia-Boss die Verbindungen zu dessen Medien-Konzern.

Sindona beherrschte ein "Imperium ohnegleichen, mit Tausenden Verzweigungen in allen Wirtschaftsbereichen. Er war Vertrauensmann des Vatikans und Teilhaber großer englischer und amerikanischer Bankiers, so der Hambro von London und der Illinois Bank von Chicago" (Paolo Panerai/ Maurizio De Luca: "Il Crack", Mailand 1977). Andreotti feierte als Premier Sindona 1973 "als Retter der Lira", der Club of Rom verlieh ihm den Titel "Unternehmer 1973". 1974 brach im Ergebnis von Clan-Kämpfen das Imperium Sindonas zusammen. Zu lebenslanger Haft verurteilt lieferten ihn die USA an Italien aus, das die Haftstrafe bestätigte. Als er drohte, "klingende Namen" zu nennen, brachte ihn die Mafia um. Am 22. März 1986 starb er in seiner Zelle an einer Überdosis Zyankali.

Seit dem Fall des dreimaligen Premiers Berlusconi im November 2011 gibt es beachtliche Erfolge der Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung der Mafia. In Rom wurde ein Verbrecherkartell ausgehoben, das ein Nachkömmling des Sindona-Imperiums aufbaute: der Faschist der "Spannungsstrategie" der CIA, Massimo Carminato, ein Intimus des bis 2013 amtierenden faschistischen Bürgermeister Giovanni Alemanno, eines Vertrauten Berlusconis. So schließt sich vorerst der Kreis.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2015

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