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MEMORIAL/089: Vor 70 Jahren begann die Schlacht um Monte Cassino (Gerhard Feldbauer)


Vor 70 Jahren begann die Schlacht um Monte Cassino

60.000 alliierte Soldaten bezahlten an dem Berg Eisenhowers antisowjetische Strategie mit dem Tod

von Gerhard Feldbauer, 18. Januar 2014



Nach monatelangem Stillstand der Kampfhandlungen eröffneten die alliierten Truppen am 17. Januar 1944 ihre Offensive gegen die sogenannte Gustav-Linie der Hitlerwehrmacht mit der Schlüsselstellung auf dem 519 Meter hohen Monte Cassino etwa 120 km südlich von Rom. Im Herbst 1943 hatte der Befehlshaber des angloamerikanischen Mittelmeerkommandos, General Dwight D. Eisenhower, nach der Kapitulation Italiens und dessen Übertritt auf die Seite der Antihitlerkoalition tatenlos die Errichtung dieser Abwehrfront zugelassen. Sie reichte von der Garigliano-Mündung am Tyrrhenischen Meer quer durch das unwegsame Gebirge bis zur Mündung des Sangro an der Adria. Rund 50.000 Wehrmachtssoldaten verteidigten die Stellungen, gegen die 200.000 Alliierte mit 1.600 Geschützen zum Angriff antraten. Unter angloamerikanischem Kommando kämpften Angehörige von 20 Ländern, darunter aus Südamerika, Indien, Australien, Neuseeland, polnische Exilverbände und eine internationale jüdische Einheit.


Überlegenheit an Kräften und Material nicht zielstrebig genutzt

Zunächst verzichtete Eisenhower auf massive Luftbombardements auf den Monte Cassino, da der Vatikan intervenierte, das historische Benediktiner-Kloster auf dem Berg mit seinen wertvollen Kunstschätzen zu verschonen. Die alliierte Aufklärung stellte jedoch fest, dass aus dem Kloster Gefechtsaufklärer und Artilleriebeobachter die Verteidigung leiteten. Nachdem die erste Angriffswelle gescheitert und zwischenzeitlich die Kunstschätze des Klosters in den Vatikan evakuiert worden waren, eröffneten am 15. Februar 229 "B-17 Flying Fortress" des 96. US-Bombergeschwaders (Red Devils genannt) die Luftangriffe auf den Monte Cassino und warfen 500 Tonnen Spreng- und Brandbomben ab. Die Stadt Cassino, umliegende Städte und Dörfer und das Kloster wurden bis auf die Grundmauern zerstört. Da die Alliierten weder ihre Überlegenheit an Kräften und Material noch die Luftherrschaft zielstrebig nutzten, zogen sich die Kämpfe über vier Monate hin. Auch einer Seelandung am 22. Januar bei Anzio und Nettuno an der Adriaküste südlich von Rom fehlte die nötige Stoßkraft. Das Wehrmachtskommando konnte die alliierten Verbände in die Verteidigung drängen. Erst im Mai konnte die 5. Amerikanische Armee aus dem Landekopf bei Anzio und Nettuno und die 8. Britische Armee beiderseits von Monte Cassino den Widerstand der Wehrmacht brechen. Angesichts der sich verschlechternden militärischen Situation in Italien insgesamt befahl der Befehlshaber im Mittelmeerraum, Feldmarschall Albert Kesselring, am 17. Mai den Rückzug nach Norden. Einen Tag später besetzten als erste polnische Einheiten unter General Wladislaw Anders den Monte Cassino. Dass Eisenhower im Herbst 1943 tatenlos die Errichtung der Gustav-Linie der Hitlerwehrmacht zugelassen hatte, bezahlten in der Schlacht um Monte Cassino 60.000 alliierte Soldaten mit ihrem Leben. Die deutschen Verluste betrugen 24.000 Mann. Mit dem Fall von Monte Cassino war der Weg nach Rom frei, das die Alliierten am 4. Juni einnahmen.


Churchill und reaktionäre US-Kreise setzten auf Sieg der Nazis

Den Hintergrund der Tatenlosigkeit Eisenhowers bildete die Haltung der USA und Großbritanniens zum Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR. Der sowjet-russische Diplomat Valentin Falin gibt in seinem Buch "Zweite Front. Die Interessenkonflikte in der Anti-Hitler-Koalition" (München 1997) die Stimmung von führenden US-Kreisen unterschiedlichster politischer Couleur "wie einflussreichen Katholiken und professionellen Antikommunisten bis zu Erzreaktionären vom Schlage des Ex-Präsidenten Herbert Hoover oder den Senatoren Robert Taft und Arthur Vandenberg sowie offenen Anhängern des Nazismus" wider. Sie ließen sich "von den neuen deutschen Aggressionen zu Träumen von einer 'politischen Neuordnung' Kontinentaleuropas" inspirieren. "Für diese Politiker und ihre Kreise stellte sich die Frage überhaupt nicht, ob man der Sowjetunion helfen sollte". Sie versuchten, so Falin, "ihrem Land eine Sicht aufzudrängen, wonach der Sieg des Nazismus einem Triumph des Kommunismus in jedem Fall vorzuziehen war". In dem Buch von D. F. Fleming: "The Cold War and his Origins", 1917-60, Bd. I (London 1961) sind die lange Zeit in den Geheimarchiven verwahrten Äußerungen Churchills vom 22. Juni 1941 nachzulesen: "Gewinnen die Deutschen, so soll den Russen geholfen werden, gewinnen aber die Russen, so soll den Deutschen geholfen werden - mögen sie einander so viel wie möglich umbringen". Nicht in diesen reaktionären Chor stimmte Franklin Roosevelt ein, der parallel zum New-Deal eine veränderte Haltung gegenüber der UdSSR suchte, den Antikommunismus mäßigte und dem es zu verdanken war, dass die Anti-Hitler-Koalition überhaupt zustande kam. Deswegen versuchten Wirtschaftsbosse und Spekulanten schon 1934, Roosevelt zu stürzen.

Mit den strategischen Siegen der Roten Armee an der Jahreswende 1942/43 bei Stalingrad und anschließend nochmals im Juli 1943 in der gewaltigen Schlacht bei Kursk-Belgorod war die Niederlage Deutschlands eingeleitet. Angesichts dieser Lage und der internationalen Isolierung des Aggressors als auch der weltweiten Sympathien für die UdSSR war es diesen Kreisen nun nicht mehr möglich, Churchill zu folgen und Deutschland zu helfen. Das strategische Ziel blieb jedoch, dass die UdSSR sich in der gewaltigen militärischen Auseinandersetzung mit Hitlerdeutschland weiter ausbluten sollte, um so geschwächt aus dem Kriege hervorzugehen, dass den westlichen Weltherrschaftsplänen keinen Widerstand entgegensetzen könnte.


Auf Landung bei Rom verzichtet

So erhielten die italienischen Streitkräfte, die der Besetzung Nord- und Mittelitaliens durch die Wehrmacht Widerstand leisteten, keinerlei Unterstützung. Statt mit einer Landeoperation bei Rom die Wehrmachtstruppen aufzuspalten, was wegen der Versorgungsschwierigkeiten zu deren baldiger Vernichtung im Süden hätte führen können, landeten die Alliierten mit ihrer Hauptstreitmacht am 9. September bei Salerno südlich von Neapel. In Neapel hatten die Partisanen nach viertägigen Kämpfen die deutschen Besatzer noch vor dem Eintreffen der Anglo-Amerikaner am 1. Oktober 1943 aus der Stadt vertrieben. In Rom wurden vier italienische Divisionen, die den Wehrmachtstruppen entgegentraten, im Stich gelassen. Ebenso erging es Hunderttausenden italienischen Soldaten, die sich in Italien, auf Korsika und dem Balkan weigerten, zu kapitulieren. Sie wurden nach dem Ende der Kämpfe zu Zehntausenden niedergemetzelt und nach Deutschland deportiert.

1944 setze die Rote Armee an, die noch besetzten Gebiete der UdSSR, Rumänien, Ungarn und Bulgarien zu befreien. Das veranlasste die Alliierten, nun aktiver zu werden, was sich in der Offensive gegen die Gustav-Linie in Italien und in der Eröffnung der zwei Jahre verzögerten Front in Frankreich zeigte. Es wurde befürchtet, die Rote Armee könnte allein in Deutschland einmarschieren und selbst zum Rhein vorstoßen. In Italien erreichte die Partisanenarmee eine Stärke von 250.000 Mann. Weitere über 200.000 Kämpfer zählten die örtlichen Partisanen-Einheiten. Schon Anfang 1944 musste die Wehrmacht 15 Divisionen gegen sie einsetzen. Rom befand sich noch vor dem Eintreffen der alliierten Truppen unter der Kontrolle des Nationalen Befreiungskomitees. Im August in Florenz beginnend, das die Partisanen vier Wochen vor der Ankunft der Alliierten einnahmen, befreiten sie immer öfter Städte und Dörfer. Wesentliche Triebkraft des nunmehr intensivierten Vormarsches der Alliierten war, dem Einhalt zu gebieten und revolutionäre antifaschistisch-demokratische Veränderungen zu verhindern.


Mahnmal gegen Krieg und Faschismus

Nach Originalbauplänen wurde das älteste Benediktiner-Kloster nach dem Krieg wieder errichtet. Die weithin sichtbare Abtei war 529 von dem späteren Heiligen Benedikt von Nursia errichtet worden. Er gilt als Begründer des nach ihm benannten Mönchtums der Benediktiner. Nachdem das Kloster bereits 577 der Zerstörung durch die Langobarden, 883 durch die Sarazenen und 1349 durch ein Erdbeben zum Opfer fiel, wurde es durch die anglo-amerikanischen Luftangriffe während der Schlacht um Monte Cassino bis auf die Grundmauern in Schutt und Asche gelegt. Nur ein Gebäude, die frühmittelalterliche Krypta, blieb unversehrt.

Durch Verlagerung in den Vatikan blieben die Kunstschätze des Klosters erhalten: Bronzegefäße und Statuen, Gemälde von Leonardo da Vinci, Tizian, Raffael, darunter eine der wertvollsten Gemäldesammlungen der Welt mit Werken von Brueghels, sowie Zeichnungen und Aquarellen italienischer Meister. Zu einer tausendjährigen über 100.000 Bücher zählenden Bibliothek gehören Schriften von Seneca mit dazugehörigen 1.200 handgeschriebenen Aufzeichnungen.

Am Fuße des Klosters mahnen heute mehrere Friedhöfe an die Schrecken von Krieg und Faschismus. Sie bergen neben den Gräbern von 16.000 Soldaten des Ersten Weltkrieges die von 107.000 Gefallenen des Zweiten Weltkrieges aus 32 Nationen. Ein deutscher Soldatenfriedhof zählt 24.000 Gräber.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2014