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MEMORIAL/074: Im Mai 1963 begann Aldo Moro seine Apertura a Sinistra (Gerhard Feldbauer)


Enttäuschte Hoffnungen

Im Mai 1963 begann Aldo Moro seine Apertura a Sinistra

von Gerhard Feldbauer, 28. Mai 2013



Als Aldo Moro, Führer des linken Flügels der Democrazia Cristiana (DC), im Mai 1963 den Auftrag zur Regierungsbildung erhielt, sah er sich am Ziel, seine Politik der "Öffnung nach Links" in die Tat umzusetzen. Bereits seit der Wahlniederlage der DC 1953 wollte Moro die 1947 zusammen mit den Kommunisten (PCI) aus der antifaschistischen Einheitsregierung vertriebenen Sozialisten (PSI) wieder in die Regierung aufnehmen. Die DC hatte die Quittung für ihren proatlantischen Kurs erhalten und war von 48,4 Prozent 1948 auf 40 abgesackt. Alcide De Gasperi, der Moro wegen seiner Ablehnung des NATO-Beitritts 1949 als Staatssekretär aus der Regierung ausgeschlossen hatte, trat als Ministerpräsident zurück. Moro kehrte in die Politik zurück, stieg in das Sekretariat des Parteivorstandes auf und wurde ab 1955 mehrmals Minister. Während Moro der Vorherrschaft der USA in Italien entgegentrat, wollten die DC-Rechten die PSI auf ihre pro-atlantische Linie festlegen. Sie forderten, den antikapitalistischen Kurs und die Opposition gegen die NATO aufzugeben und das Aktionseinheitsabkommen mit der PCI zu kündigen.

Als Ursachen des Bruchs mit der PCI werden der XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956, auf dem Chruschtschow zu den Folgen des Personenkults um Stalin sprach, und das militärische Eingreifen der UdSSR in Ungarn im Oktober 1956 angeführt. PSI-Vorsitzender Pietro Nenni hatte die DC-Angebote vom "Wechsel des Bündnisses" jedoch bereits im März 1955 aufgegriffen und empfohlen, sich "gegenüber den Katholiken zu öffnen". Staatspräsident Giovanni Gronchi, versicherte daraufhin "die arbeitenden Massen, die das allgemeine Wahlrecht bis an die Schwelle des Staates geführt hat, auch effektiv an der politischen Leitung des Landes zu beteiligen". Im Oktober 1956 kündigten die Sozialisten dann das 1934 im antifaschistischen Widerstand mit den Kommunisten geschlossene Aktionseinheitsabkommen. Der XXXIII. PSI-Parteitag im Januar 1959 billigte den Rechtsschwenk.

Die DC versprach die Verstaatlichung der Energieversorgung, eine Industrialisierung des Südens, Mindestlöhne und Verbesserungen im Gesundheitswesen. Als Gegenleistung verzichtete die ISP auf eine Vergesellschaftung der wichtigsten Produktionsmittel und billigte die NATO-Mitgliedschaft. Außer der Verstaatlichung des Energiesektors fielen später alle übrigen Programmpunkte unter den Tisch. Aufgrund des massiven Drucks der USA gegen das neue Regierungsbündnis tolerierte die PSI zunächst die DC-Regierung nur durch Stimmenthaltung im Parlament.

Als bei den Wahlen im April 1963 die Stimmen der DC nochmals auf 38,3 Prozent sanken und keine regierungsfähige Mehrheit mehr zustande kam, schritt Moro zur Bildung eines Centro Sinistra-Kabinetts mit den Sozialisten. Der Regierungseintritt im Dezember 1963 stärkte den reformistischen Kurs in der PSI. Ausdruck war u. a. die Vereinigung mit den Sozialdemokraten (PSDI) zur "Partei der Sozialistischen Einheit" (PSU) mit Nenni an der Spitze. Als bei den Wahlen 1968 die PSU mit 14,5 Prozent gegenüber 1963 13,8 (PSI) und 6,1 (PSDI) eine Niederlage erlitt, kehrte die PSI zu ihrer Eigenständigkeit zurück. Nenni trat als Parteichef ab. Die Stimmenverluste ergaben sich daraus, dass die linken Sozialisten aus Protest gegen den Eintritt in die DC-Regierung 1964 die PSI verlassen und die Sozialistische Partei der Proletarischen Einheit (PSIUP) gegründet hatten, die auf 4,2 Prozent kam.

In den USA wollte man Moros apertura à sinistra, die in Verfälschung ihres tatsächlichen Charakters eine "linke" und "kommunistenfreundliche Regierung" genannt wurde, mit einem faschistischen Staatsstreich begegnen. Aus dem Pentagon verlautete, "ohne zu zögern das Land militärisch zu besetzen". Die CIA arbeitete mit dem Geheimdienst-Chef Giovanni De Lorenzo einen Staatsstreichplan aus. Der General übernahm das Kommando über das Carabinieri-Korps, mit dem er zusammen mit Faschisten und Gladio-Einheiten einen Umsturz durchführen wollte. Die Putsch-Pläne scheiterten jedoch an der antifaschistischen Wachsamkeit und mussten vorerst zurückgestellt werden. Einen neuen Versuch starteten CIA und Gladio mit dem Kriegsverbrecher und früheren Mussolini-Befehlshaber Valerio Borghese an der Spitze im Dezember 1970.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2013