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MEMORIAL/049: 18.6.1982 - Ermordung Roberto Calvis. Heikle Erinnerungen für Lech Walesa (Gerhard Feldbauer)


Heikle Erinnerungen für Lech Walesa

Am 18. Juni 1982 wurde Roberto Calvi, der "Bankier Gottes", umgebracht. Er kannte auch die Summen, die Papst Woityla der Solidarnosc zukommen ließ

von Gerhard Feldbauer, 18. Juni 2012



Als Finanzmanager des Vatikans wurde Roberto Calvi der "Bankier Gottes" genannt. Darüber hinaus war er, wie der führende Politologe Italiens, Giorgio Galli, in seinem Aufsehen erregenden Buch "Staatsgeschäfte, Affären, Skandale, Verschwörungen" (Hamburg 1994) enthüllte, als Präsident der Banco Ambrosiano, einem der größten Finanzinstitute des Landes, Mitglied der faschistischen Putschloge Propaganda due (P2) und die zentrale Figur eines "Begegnungszentrums" zur Vatikan-Finanz, der sizilianisch-amerikanischen Mafia und diversen Geheimdienstkreisen mit der CIA an der Spitze.

Im Vatikan herrschte zu dieser Zeit der fanatisch antikommunistische Pole Karol Woityla (als Johannes Paul II. Papst von 1978-2005), der sich im Kalten Krieg gegen das sozialistische Lager an der Seite der USA in die erste Reihe stellte. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln förderte er besonders die Opposition gegen das kommunistische Regime in seinem Heimatland, die bekanntlich Lech Walesa als Chef der Untergrundgewerkschaft Solidarnosc anführte. Die Publizisten Carl Bernstein und Marco Politi berichteten in ihrem Buch "Seine Heiligkeit Johannes Paul II. und die Geheimdiplomatie des Vatikans" (München 1997), dass Woityla dazu eine enge konspirative Zusammenarbeit mit den USA, darunter mit einem der ranghöchsten Agentenführer ihrer Geheimdienste, General Vernon Walters, pflegte. Im Februar 1992 berichtete die "Times", dass der Papst und US-Präsident Reagan bei einem Treffen am 7. Juni 1982 im Vatikan eine "Heilige Allianz" gegen den Kommunismus schmiedeten. Bei den geheimen Absprachen sei es um das Überleben der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc gegangen.

Ein wichtiger Bereich der Kooperation von Vatikan und USA wurde neben der politischen die materielle und direkte finanzielle Hilfe für die Solidarnosc Walesas. Gelder, welche die USA bereitstellten, liefen über den Chef der Vatikanbank IOR, Erzbischof Marcinkus, der mit Calvi auf das engste zusammenarbeitete. Woityla habe seinen Status als Staatsoberhaupt dazu benutzt, bei Reisen nach Polen solche Gelder in seinem Diplomatengepäck zu befördern, war dem Buch von Marian Stankiewicz "Das Pontifikat von Carol Woityla" zu entnehmen (jW, 4./5. April 2005). E. R. Carmin sprach in seinem Werk "Das schwarze Reich" (München 2000) von weit über 100 Millionen Dollar, die Woityla persönlich der Solidarnosc zukommen ließ. Laut Calvi habe die Finanzhilfe für die Solidarnosc insgesamt mehr als eine Mrd. US-Dollar betragen, berichtete der "Tagesspiegel" am 16. März 2009 unter Berufung auf italienische Quellen.

Bei der Solidarnosc setzte die CIA in Zusammenarbeit mit dem vatikanischen Geheimdienst Pro Deo einen ihrer erfahrensten Agenten, Corrado Simioni, ein. Im Komplott zur Ermordung des Parteiführers der Democrazia Cristiana, Aldo Moro, am 9. Mai 1978, bei dem die P2 zusammen mit der CIA die zentrale Rolle spielte, hatte Simioni, wie bei den Untersuchungen der hierfür eingerichteten italienischen Parlamentskommission bekannt wurde, als Anstifter (Einflussagent) in den Roten Brigaden gewirkt. Die Rolle Simionis bei der Solidarnosc kam unter Insidern in Rom dann durch Berichte des "Corriere della Sera" und des "Espresso" vom 14. bzw. 28. März 1993 zur Sprache. Die Zeitungen vermeldeten, dass Johannes Paul II. den Agenten fünf Monate vorher in Privat-Audienz empfangen hatte, begleitet von dem führenden Pro Deo-Mann Abbé Pierre.

Der katholische Weltgeistliche war nicht irgendwer. Er hatte es unter seinem bürgerlichen Namen Henri Maria Joseph Grouves zum Ritter der Ehrenlegion gebracht, war als Vertreter der Zentrumspartei von 1945-51 Abgeordneter der französischen Nationalversammlung und Mitglied ihres Verteidigungsausschusses. In den 1970er Jahren gehörte er dem Vorstand des Sprachinstituts Hyperion in Paris an, das der CIA als Zentrale der Einschleusung von Agenten in linksradikale Organisationen diente, darunter in die Roten Brigaden, die für die Entführung und Ermordung Moros manipuliert wurden. Als der DC-Politiker am 18. März 1978 entführt wurde, befand sich Abbé Pierre in Rom und sorgte für die Vertuschung von Spuren der Kidnapper. Die "Repubblica" schrieb am 14. März 1993 (in derselben Ausgabe, in welcher der Bericht über die Papst-Audienz erschien) von einer "mysteriösen Person", die an das Hyperion-Institut gebunden war, was Kenner der Entwicklung als Hinweis auf die Rolle des Abbé und von Pro Deo werteten.

Als am 17. März 1981 die P2 aufgedeckt wurde, machte die Ambrosiano-Bank Calvis, an welcher der Vatikan als Mehrheitsaktionär beteiligt war, mit Verlusten von über drei Mrd. US-Dollar Bankrott. Ein Großteil der Summe war in die Kassen der P2, des Vatikans und Leuten von der Mafia geflossen. U. a. hatte Calvi mittels "Patronagebriefen" (Bürgschaften), des IOR, die dessen Chef Erzbischof Marcinkus ausstellte, von ausländischen Banken Kredite in Höhe von 700 Millionen Dollar beschafft. Es wurde bekannt, dass der Vatikan auch an Briefkastenfirmen Calvis beteiligt war. Vor seiner Verhaftung floh der "Bankier Gottes" nach London. Dort drohte er, wenn die Ermittlungen gegen ihn nicht eingestellt würden, die Hintermänner der Geschäfte bloßzustellen. Selbst die Verwicklung des Papstes wollte er zur Sprache bringen. Danach dauerte es nur wenige Tage, bis er am 18. Juni 1982 unter der Black Friars-Bridge erhängt aufgefunden wurde. Niemand unter Insidern zweifelte in Italien ernsthaft daran, dass Calvi umgebracht worden war. Nicht nur seine Kenntnisse über das "Beziehungsgeflecht" zwischen P2-Vatikan-Mafia, sondern wohl mehr noch sein Insiderwissen über die Unterstützung der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc Waleses durch den Vatikan und den Papst persönlich sowie die Rolle der CIA und von Pro Deo dürften dabei als Motiv gedient haben. Es ist nicht auszuschließen, dass beim Treffen Woitylas mit Reagan am 7. Februar 1982 das brisante Wissen Calvis zur Sprache kam und Entscheidungen angeschoben wurden.

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012