Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

MEMORIAL/019: Juni 1976 - Kommunistische Partei Italiens (PCI) auf dem Weg in den Untergang (G. Feldbauer)


Die Kommunistische Partei Italiens (PCI) auf dem Weg in den Untergang

Im Juni 1976 erreichte sie bei den Parlamentswahlen 34 Prozent

Mit dem folgenden Compromesso storico begann die "Heimkehr zur Sozialdemokratie"

Von Gerhard Feldbauer, Juni 2011


Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2008 erlitt die Linke Italiens in einem Wahlbündnis Sinistra arcobaleno (Regenbogenlinke) mit 3,1 Prozent ihre bis dahin schwerste Niederlage. Kommunisten, Sozialisten und Grüne sind seitdem zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte nicht mehr im Parlament vertreten. Unwillkürlich erinnert man sich, dass die IKP vor 35 Jahren, bei den Parlamentswahlen am 20./21. Juni 1976, mit 34 Prozent von zwölf Millionen Italienern gewählt wurde. Das zeugte von einem tiefen Widerhall der kommunistischen Ideen und einer sozialistischen Alternative unter den Menschen.

Wo liegen die Ursachen für den heutigen schockierenden Verlust an Vertrauen unter den Wählern. Sie liegen im Umsichgreifen von vielfältigen opportunistischer Erscheinungen, vor allem seiner Hauptströmung, des Revisionismus, und der fehlenden Auseinandersetzung mit ihnen. Die parlamentarischen Erfolge beförderten seit Ende der 1960er Jahre in der IKP das Wachsen einer sozialdemokratischen Strömung. Ihre politisch-ideologische Basis bildete der zu dieser Zeit in einigen westeuropäischen KPs (Italiens, Frankreichs und Spaniens, der Linkspartei Kommunisten Schwedens u. a.) entstandene sogenannte Eurokommunismus, der sich von grundlegenden Fragen der kommunistischen Identität, darunter dem Leninismus abwandte. Der Begriff wurde übrigens zunächst von bürgerlichen Medien lanciert und dann von den Revisionisten in den betreffenden Parteien selbst übernommen. Während Spaniens PCE unter dem späteren Sozialdemokraten Santiago Carrillo kaum über Deklarationen hinauskam und die von George Marchais geführte PCF bald zunehmend wieder auf Distanz ging, wurde die IKP unter Enrico Berlinguer, seit März 1972 Generalsekretär, zu seinem Protagonisten.


Ziel: "Überwindung der Klassenschranken"

Berlinguer nahm den Wahlsieg zum Anlasse, der führenden großbürgerlichen Regierungspartei Democrazia Cristiana eine Zusammenarbeit auf Regierungsebene vorzuschlagen, um der wachsenden faschistischen Gefahr zu begegnen. Unter der Losung einer "chilenischen Lösung für Italien" betrieben die Faschisten, unterstützt von CIA, NATO und eigenen Militär- und Geheimdienstkreisen den Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung. Berlinguer bezog sich auf Antonio Gramscis Historischen Block und nannte seinen Vorschlag Historischer Kompromiss. Die Notwendigkeit, gegen die faschistische Putschstrategie ein breites Bündnis unter Einschluss der Christdemokraten zu bilden, stellte zunächst einen richtigen Ausgangspunkt dar. Während es Gramsci beim Historischen Block jedoch um ein antifaschistisches Bündnis mit den katholischen Volksmassen unter Führung der Arbeiterklasse ging, suchte die IKP jetzt die Klassenzusammenarbeit mit DC. Bereits auf einer ZK-Tagung im November 1971 hatte Berlinguer deutlich erklärt, man müsse "aus der endemischen Krise der Regierungen des Linken Zentrums (der DC mit der Sozialistischen und Sozialdemokratischen Partei) herauskommen", eine "Regierung der demokratischen Wende" bilden und "die Überwindung der Klassenschranken anstreben".

Die IKP war zu dieser Zeit mit über zwei Millionen Mitgliedern die stärkste und politisch einflussreichste kommunistische Partei der kapitalistischen Industriestaaten. Für Verhandlungen befand sie sich in einer starken Position. Im Parlament belegte sie mit nur knapp fünf Prozent Abstand hinter der DC mit 227 Parlamentssitzen den zweiten Platz und stellte den Präsidenten, im Senat den Stellvertreter. Sieben Kommunisten leiteten Parlamentsausschüsse. Kommunisten und Sozialisten belegten von den Gemeinden bis zu den Landesparlamenten 52,8 Prozent der Mandate.


Günstige Position nicht genutzt

Die günstige Verhandlungsposition wurde jedoch nicht genutzt. Durch den Wahlerfolg erhielten die Reformisten Auftrieb und gewannen bestimmenden Einfluss auf die Gestaltung des Historischen Kompromisses. Sie konnten sich dabei auf die Aus- und Rückwirkungen ihres Kurses auf die soziale Zusammensetzung der Partei stützen, die einen beträchtlichen Zuwachs an Mitgliedern aus der katholischen Arbeiterschaft, aus Handwerkern und Angestellten sowie anderen städtischen Zwischenschichten der Dienstleistung und Bildung verzeichnete. Im Parteiapparat der mittleren Ebene hatte sich ein neuer Funktionärstyp durchgesetzt, der im Alter zwischen 20 und 30 Jahren überwiegend aus Hochschulabsolventen oder solcher, die dabei waren, ein Diplom zu erwerben, bestand. Nur 26 Prozent der Funktionäre kamen noch aus der Arbeiterklasse. Bei den Parlamentariern betrug der Arbeiteranteil nur noch 8,7 Prozent. Viele Parteimitglieder erhielten auch Zugang zu dem großen Sektor der staatlichen und kommunalen Betriebe oder wurden Staatsbedienstete. Sie gerieten damit zugleich in den Bereich des berüchtigten Klientelismus. Hinzugerechnet die Arbeit in der CGIL-Gewerkschaft, im umfangreichen Genossenschaftswesens und anderen gesellschaftlichen Institutionen entstand ein Sektor der Parteibürokratie, der bereits aus den Zeiten des Entstehens der Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg einen gefährlichen Nährboden reformistischer Entwicklung bildete. Es bestehe "die Gefahr, dass die Partei in den Institutionen aufgeht, dass sie diese Quasi zum ausschließlichen Terrain ihres Engagements macht", war in der Rinascita nachzulesen.(1)

Für die in Aussicht gestellte Aufnahme in die Regierung und - die niemals eingehaltenen - Versprechen, gewisse soziale und ökonomische Reformen einzuleiten, setzten die Revisionisten die Aufgabe fundamentaler Klassenpositionen durch. Damit entzog die IKP ihrer ursprünglich richtigen Zielsetzung den Boden und machte sie selbst unrealisierbar. Mit der Erklärung, "wir sind schon einmal ohne Dramatisierung in die Opposition gegangen", legalisierte Politbüromitglied Giorgio Amendola sogar ihren staatsstreichartigen Rausschmiss aus der antifaschistischen Einheitsregierung 1947 und beteuerte, "in der Opposition waren wir kohärent und haben uns auf die Regierungsverantwortung vorbereitet".(2)

Dem Eintritt in die bürgerliche Regierung wurde alles untergeordnet. Die IKP half der DC, die über keine regieringsfähige Mehrheit mehr verfügte, nach dem Wahlsieg über eine schwere Regierungskrise hinweg, in dem sie ihr Kabinett im Parlament durch Stimmenthaltung stützte. 1978 stimmte sie auf der Grundlage eines nun geschlossenen Abkommens, das ihren späteren Eintritt in die Regierung vorsah, für die von dem DC-Rechten und Vertrauensmann der CIA Giulio Andreotti geführte Große Koalition. Die IKP gab fundamentale Klassenstandpunkte auf. Sie sagte sich vom Leninismus los und beteiligte sich an der bürgerlichen antisowjetischen Propaganda. Sie bekannte sich zur kapitalistischen Markwirtschaft, versprach die Privatindustrie zu fördern und akzeptierte das bourgeoise Staatsmodell, für das sie lediglich eine "demokratische Transformation" forderte.


NATO zum "Schutzschild" erklärt

Den Gipfel des Revisionismus erklomm die IKP, als sie mitten im kalten Krieg und angesichts der Blockkonfrontation verkündete, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus. Damit entzog sie ihrer ursprünglich richtigen Zielsetzung den Boden und machte sie selbst unrealisierbar.

Auf dem 10. Parteitag 1962 hatte Togliatti eingeschätzt, der Pakt sei "ein Joch, das die Nation so weit beschränkt, dass diese das Recht verliert, über ihr Geschick selbst bestimmen zu können."(3) Die Tatsache, dass die USA anschließend die entscheidende Rolle bei der Verhinderung der Zusammenarbeit der IKP mit der DC spielten, zeigte, wie brandaktuell die Wertung Togliattis geblieben war. Diese Haltung zur NATO stellte, bei einem gewissen Verständnis für kritische Positionen, welche die IKP gegenüber der KPdSU und vor allem ihrem Führungsanspruch in der kommunistischen Weltbewegung bezog, einen Affront nicht nur gegenüber der UdSSR, sondern auch den Staaten des sozialistischen Lagers dar. Mitten im kalten Krieg und der Blockkonfrontation bezog die IKP Position für die von den USA geführte NATO und damit gegen den ihr gegenüberstehenden Warschauer Pakt und ihre führenden Kräfte, die Kommunistischen und Arbeiterparteien. Aber das war noch nicht alles. Es wurde völlig übersehen, dass NATO und CIA die vorangegangenen faschistischen Putschversuche in Italien aktiv unterstützt, ja regelrecht zu ihren Drahtziehern gehört hatten. In Vergessenheit geriet, dass die USA 1945, beginnend mit der Zulassung der faschistischen Bewegung zur Reorganisation der Mussolinipartei Uomo Qualunque, den Faschismus am Leben erhalten und im Friedensvertrag von Paris 1947 ablehnt hatten, ein Verbot faschistischer Organisationen auszusprechen. Dieses Bekenntnis zur NATO war eine Absurdität ohnegleichen und eines jener opportunistischen Zugeständnisse an den Gegner, von denen man hoffte, er werde das honorieren, was sich als eine katastrophale Fehleinschätzung erwies.


Ergebnis Wende nach rechts

Am Tag der Amtseinführung der Kompromiss-Regierung setzte mit der Entführung und späteren Ermordung des DC-Führers Aldo Moro, Partner Berlinguers in der Regierungszusammenarbeit, ein von Washington eingefädeltes Komplott zur Verhinderung der Beteiligung der Kommunisten an der Regierung ein. Als Werkzeug wurden die von Geheimdienstagenten unterwanderten linksextremen Roten Brigaden benutzt. Regierungschef Andreotti, der später vor Gericht angeklagt wurde, am Mordkomplott gegen Moro beteiligt gewesen zu sein, sabotierte die Zusammenarbeit mit der IKP.


Bündnispartner Moro dem Tod ausgeliefert

Aldo Moro hätte für die IKP, wenn sie nicht derart schwerwiegende Zugeständnisse eingegangen wäre, ein Partner für die Durchsetzung von demokratischen Reformen im Rahmen der bürgerlichen Ordnung, die im Sinne Gramscis dem Ausbau der bürgerlichen Demokratie dienen und an den Sozialismus heranführen konnten, werden können. Dafür spricht vor allem sein Memoriale, das er im Angesicht seines bevorstehenden Todes im Gefängnis der Roten Brigaden niederschrieb und das als sein politisches Testament gilt. Wie er darin das von den herrschenden Kreisen der DC angeführte antidemokratische und volksfeindliche Regime und seine proamerikanische Politik anklagte, ließ deutlich den Übergang zu antiimperialistischen Positionen erkennen.(4) Es ist gleichzeitig ein Dokument menschlicher Größe und Standhaftigkeit. Moro erkannte, dass es sich in den Händen seiner Washingtoner Feinde befand, welche die Brigate Rosse als ihr Werkzeug benutzten. Er hielt dem physischen und psychischen Druck stand und bekannte sich mutig zu seiner Zusammenarbeit mit den Kommunisten, obwohl ihn ein Widerruf möglicherweise das Leben hätte retten können. Angesichts dieser Haltung Moros war es umso beschämender, dass die IKP sich zum Komplizen des von Andreotti unterstützten reaktionären Komplotts machte und in der Regierungsmehrheit verblieb, um ihren für später vorgesehenen direkten Eintritt in dieses rechts ausgerichtete Kabinett zu wahren.(5)

Entgegen der Absicht der Revisionisten, die trotzdem in der Parlamentskoalition verbleiben wollten, setzte Berlinguer im Januar 1979 den Austritt durch. Der politische Einfluss der IKP ging spürbar zurück. In den folgenden Jahren verließen etwa ein Drittel ihrer 2,2 Millionen Mitglieder die Partei. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen 1979 war ihre Stimmenzahl zum ersten Mal seit Kriegsende rückläufig. Sie verlor gegenüber 1976 mit einem Schlag fast vier Prozent ihrer Wähler, bis 1987 rund acht. Das Scheitern des Historischen Kompromisses wurde zur einschneidenden Zäsur im Werdegang der IKP. Ein kritische Auswertung durch die Parteiführung erfolgte nicht. Der Begriff verschwand einfach aus dem Sprachgebrauch der Partei. Die Revisionisten zogen keinerlei Schlussfolgerungen aus dieser Niederlage. Sie verfolgten weiterhin einen Kurs des Ausweichens vor den Klassenauseinandersetzungen und der Zugeständnisse. Da es nicht gelang, ihren Vormarsch zu stoppen, begann Weg der IKP in den Untergang.


Am Ende wurde die IKP liquidiert

Berlinguer hatte die Revisionisten noch gezügelt. Nach seinem Tod im Juni 1984 errangen diese den beherrschenden Einfluss in der Partei. Im Schatten des opportunistischen Kurses Gorbatschows und in Anwesenheit des Renegaten Jakowlew verkündeten sie im März 1989 offen die Sozialdemokratisierung der Partei. Mit der Umwandlung auf dem Parteitag im Januar 1991 in die reformistische Linkspartei (PDS) wurde die IKP, wie der führende kommunistische Philosoph Domenico Losurdo einschätzte, liquidiert. Da in der danach gegründeten Partei der kommunistischen Neugründung (PRC) keine Auseinandersetzung mit dem revisionistischem Erbe der IKP stattfand, wollten die Revisionisten ihr 2008 das gleiche Schicksal bereiten. Das wurde zwar verhindert, aber die Krise dauert an. Derzeit ist die kommunistische Bewegung Italiens in drei Parteien und mehrere Strömungen zersplittert. Ein Ausweg scheint nicht in Sicht. Folge des Umsichgreifens des Revisionismus in der kommunistischen Bewegung war bzw. ist, dass es dem Mediendiktator Silvio Berlusconi im Bündnis mit Faschisten und Rassisten seit 1994 bereits dreimal gelang, eine rechtsextreme Regierung zu etablieren, und die Linken es bisher nicht schafften, diesen Tyrannen zu Fall zu bringen.


Anmerkungen:
(1) Il Partito oggi, Rinascita, 6. Jan. 1978.
(2) Interview für Panorama, Nr. 485/1975.
(3) Palmiro Togliatti: Ausgewählte Reden und Aufsätze, Berlin (DDR) 1977, S. 637 f.
(4) Francesco Piscione (Hg): Il memoriale di Aldo Moro rivenuto in Via Monte nevoso a Milano. Rom 1993.
(5) Beitrag des Autors: Von der eigenen Klasse umgebracht. Das Schicksal des bürgerlichen Reformers Aldo Moro, Weißenseer Blätter, 4/2000.


Wir verweisen auf einige Publikationen unseres Autors zum Thema:

• Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo.
Moro, Rote Brigaden und CIA. PapyRossa, Köln 2000.

• Aldo Moro und das Bündnis von Christdemokraten und
Kommunisten im Italien der 70er Jahre. Neue Impulse,
Essen, 2003.

• Die Recherchen des Commissario Pallotta. Warum Aldo
Moro sterben musste. Eine Kriminalgeschichte nach
Tatsachen. Offensiv Verlag Hannover 2008.


*


Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2011