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MELDUNG/099: Brexit belastet Einkommen in Deutschland mit bis zu zehn Milliarden Euro jährlich (idw)


Bertelsmann Stiftung - 21.03.2019

Brexit belastet Einkommen in Deutschland mit bis zu zehn Milliarden Euro jährlich


Wie sich der Brexit konkret auf die Einkommen in Europa auswirkt, hat eine Studie der Bertelsmann Stiftung untersucht. Sie zeigt: Die Briten müssten die größten Einkommensverluste schultern. Aber auch in exportorientierten Ländern wie Deutschland kostet der Brexit die Bürger Milliarden. Die USA oder China hingegen, könnten vom Austritt der Briten sogar profitieren.

Gütersloh, 21. März 2019. Wie der Brexit konkret aussehen wird, ist mehr als zwei Jahre nach dem Referendum in Großbritannien immer noch offen. Doch klar ist: Ein Brexit würde den Handel mit Waren und Dienstleistungen verteuern, die Unsicherheit vergrößern. Das drückt Wettbewerb, Konsum und Investitionen - insbesondere bei einem ausbleibenden Abkommen. Die Europäer, ohne Großbritannien, müssten bei einem harten Brexit Einkommensverluste von 40 Milliarden Euro pro Jahr hinnehmen. Am härtesten würde ein solcher "No-Deal-Brexit" die Briten selbst treffen: Auf das Vereinigte Königreich würden Einkommensverluste von 57 Milliarden Euro pro Jahr (rund 900 Euro pro Kopf) zukommen. Die Briten hätten also mehr Verluste als die 27 verbleibenden EU-Staaten zusammen. Die Deutschen müssten sich auf Einkommensverluste in Höhe von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr einstellen (rund 115 Euro pro Kopf). Das wären nach Großbritannien die zweithöchsten Verluste in der EU. Besonders betroffen wären hierzulande die Regierungsbezirke Düsseldorf, Köln und Oberbayern, in denen ein harter Brexit mit Einkommensverlusten von 520 bis 650 Millionen Euro pro Jahr schwer wiegen würde.

"Der Brexit könnte das Fundament des größten gemeinsamen Wirtschaftsraums der Welt schwer beschädigen. Brüssel und London müssen alles tun, um den Ausstieg vertraglich zu regeln", kommentiert Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, die Ergebnisse. Für die Analyse haben die Ökonomen Giordano Mion von der University of Sussex und Dominic Ponattu, Wirtschaftsexperte bei der Bertelsmann Stiftung, anhand von Simulationsrechnungen und Auswertungen europäischer Handelsströme die Folgen eines Brexits prognostiziert. Die Studie liefert Ergebnisse für rund 300 Regionen in Europa. Die Einkommensverluste sind als Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr angegeben.

Industrie- und Handelsregionen gehören zu den größten Verlierern

Europaweit wären die Regionen im Süden Englands die größten Verlierer des Brexits, egal in welcher Variante. Das liegt auch an der räumlichen Nähe und den engen Handelsbeziehungen zum europäischen Festland. Am stärksten wäre London von einem harten Brexit betroffen. Hier würden die Einkommensverluste für alle Einwohner bei mehr als fünf Milliarden Euro pro Jahr liegen (pro Kopf: rund 2.800 Euro). In Deutschland würde es den Regierungsbezirk Düsseldorf am stärksten treffen. Hier rechnen die Autoren mit Einkommensverlusten von insgesamt 650 Millionen Euro pro Jahr - dies entspricht rund 126 Euro jährlich pro Einwohner bei einem harten Brexit. Es folgen der Regierungsbezirk Oberbayern (mit dem Großraum München), wo die erwarteten Einkommensverluste bei 526 Millionen Euro pro Jahr liegen (115 Euro pro Kopf) und der Regierungsbezirk Stuttgart mit 473 Millionen Euro pro Jahr (116 Euro pro Kopf). Die niedrigsten Verluste würden bei einem harten Brexit die Regionen Trier (50 Millionen Euro jährlich) sowie Leipzig (76 Millionen Euro) und Chemnitz (95 Millionen Euro) treffen.

Nach Großbritannien und Deutschland müssten Frankreich und Italien die größten Einkommensverluste schultern: Die Franzosen müssten sich auf fast acht Milliarden Euro und die Italiener auf vier Milliarden Euro an jährlichen Einkommensverlusten gefasst machen. Bezogen auf die Kosten pro Einwohner würde ein harter Brexit vor allem in Irland gravierende Folgen haben: Laut Autoren würde er die Iren 720 Euro pro Kopf und Jahr kosten (rund 3,5 Milliarden insgesamt). Auch die Niederlande wären gemessen an der vergleichsweise geringen Einwohnerzahl mit insgesamt über drei Milliarden Euro an Einkommensverlusten stark betroffen.

Hohe Milliardenverluste müssen auch im Verhältnis zur Wirtschaftskraft gesehen werden. Beispielsweise müsste das britische Manchester hohe Einkommensverluste durch einen harten Brexit hinnehmen - doch aufgrund der Wirtschaftskraft der nordenglischen Stadt lägen die prozentualen Verluste der Einkommen dort im unteren Mittelfeld. Das gleiche Prinzip gilt für Bayern. Ein harter Brexit wäre für die ansässige exportorientierte Wirtschaft schmerzlich. Aber die weltweiten Handelsbeziehungen bayerischer Unternehmen könnten die Einkommensverluste zumindest abfedern.

Brexit drückt Produktivität und Wettbewerb - Mittelstandsregionen stark betroffen

Wesentliche Treiber für die Verluste sind Preisaufschläge und eine niedrigere Produktivität in Folge des Brexits: Neue Zölle, die im Binnenmarkt entfallen, würden Waren und Dienstleistungen verteuern. Der schwächere Handel mit Großbritannien würde darüber hinaus zu Preisaufschlägen führen, weil der Wettbewerb um die besten Produkte in Europa in vielen Branchen zurückgehen könnte. Gleichzeitig könnte die Produktivität von Unternehmen langsamer wachsen, weil Anreize für neue Investitionen und Produktinnovationen geringer würden. Der zu erwartende schwächere Wettbewerb und ein geringes Produktivitätswachstum könnten höhere Preisen bewirken und die Lohnentwicklung dämpfen.

"Gerade Regionen mit produktiven Mittelstandsunternehmen wären von einem Brexit besonders betroffen", sagt Dominic Ponattu, Mitautor der Studie. Dazu zählen in Deutschland unter anderem Regionen wie das Rheinland und Ostwestfalen-Lippe sowie das Umland der Metropolen Stuttgart und Hamburg. Je wichtiger die Handelsbeziehungen zwischen einer Region mit Großbritannien ausgeprägt sind, desto höher fallen die Verluste aus. Das gilt beispielsweise für Nordrhein-Westfalen: Dort ist Großbritannien nach den Niederlanden und Frankreich das wichtigste Exportland.

Weicher Brexit dämpft Einkommensverluste

Ein Brexit unter vertraglich geregelten Bedingungen, wie ihn die EU mit der britischen Regierung ausgehandelt hat, könnte die negativen Folgen stark abschwächen. Die Autoren zeigen, dass sich im Fall eines solchen weichen Brexit die Einkommensverluste für Deutschland im Vergleich zum harten Brexit auf fünf Milliarden Euro halbieren könnte. In Großbritannien wären die Einbußen mit rund 32 Milliarden Euro ebenfalls erheblich geringer als bei einem harten Brexit (57 Milliarden Euro). Die gesamte EU, ausgenommen Großbritannien, müsste bei einem weichen Brexit mit insgesamt rund 22 Milliarden Euro an jährlichen Einkommensverlusten rechnen (harter Brexit: 40 Milliarden Euro).

USA und China könnten vom Brexit profitieren

Die Studie zeigt auch, dass einige Länder außerhalb Europas vom Brexit profitieren könnten. Laut Autoren würden die US-Einkommen von einem harten Brexit profitieren und könnten um rund 13 Milliarden Euro jährlich steigen. In China würden die Einkommen um rund fünf Milliarden Euro jährlich steigen, in Russland wäre mit einem leichten Anstieg aufgrund des Brexits in Höhe von rund 260 Millionen Euro jährlich zu rechnen. "Vom Brexit sind europäische Wertschöpfungsketten negativ betroffen. Dadurch würde der Handel innerhalb Europas teurer und die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Rest der Welt attraktiver werden", so Dominic Ponattu.


Zusatzinformationen:
Die Studie "Estimating the impact of Brexit on European countries and regions" untersucht die ökonomischen Effekte eines harten und weichen Brexit-Szenarios auf Ebene der 28 EU-Staaten sowie in den 276 EU-Regionen (NUTS2-Ebene). Die Studie verwendet ein regionalökonomisches "Gravitationsmodell", das Marktgröße und Entfernung von Handelspartnern in seinen Berechnungen der wirtschaftlichen Entwicklung berücksichtigt. Die Analyse verwendet neueste Daten über internationale Handelsströme und untersucht so die Effekte des Brexits auf Einkommensänderungen, Produktivität und Preisaufschläge. Dafür schätzt die Studie die positiven Effekte des EU-Binnenmarktes auf die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern und Regionen und simuliert darauf basierend, wie sich steigende Kosten des Handels durch den Brexit auf Länder und Regionen auswirken würden. Für das Szenario eines weichen Brexits wird angenommen, dass der Brexit den positiven Effekt des Binnenmarktes schmälert, aber dieser immer noch vorhanden ist. Im Szenario des harten Brexits nimmt die Analyse an, dass bei einem ungeordneten Austritt Großbritanniens keinerlei positive Effekte des Binnenmarktes für Handelsströme zwischen Großbritannien und den EU-Ländern greifen würden.


Originalpublikation:
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/maerz/brexit-kostet-deutschland-bis-zu-zehn-milliarden-euro-jaehrlich/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution605

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Bertelsmann Stiftung, 21.03.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2019

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