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AGRAR/1715: Eine verbindende EU-Politik braucht gemeinsame Ziele (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 422 - Juni 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Eine verbindende EU-Politik braucht gemeinsam Ziele
Die EU-Agrarpolitik könnte ein Vorbild für das Zusammenspiel zwischen Brüssel, den Mitgliedsländern und den Regionen sein - könnte!

von Marcus Nürnberger


Es geht um Geld. Es geht um Landwirtschaft. Aber auch um Umwelt, Grundwasser, ländliche Räume. 1962, zu Beginn der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP), stand vor allem die Ernährungssicherung durch eine Steigerung der Produktion im Mittelpunkt. Sie ist auch heute noch, obwohl einem das vor dem Hintergrund des Warenangebots absurd erscheinen mag, eine zentrale Aufgabe. Die in der Regel im Sieben-Jahres-Zyklus überarbeiteten Ziele und mit ihnen verbundenen Zahlungen sollen dazu dienen, auf europäischer Ebene festgelegte Politikziele in den Ländern umzusetzen. In der Vergangenheit ist die Zielgenauigkeit der Maßnahmen immer wieder in die Kritik geraten. Insbesondere die allein aufgrund der bewirtschafteten Fläche gezahlten Direktzahlungen, rund 70 Prozent des 56 Mrd. umfassenden EU-Agrarbudgets, werden immer wieder hinterfragt. Im Gegensatz zu vielen vorausgegangenen Förderperioden gab es während der jetzt zu Ende gehenden keine Halbzeitbewertung, die die Wirkungen der einzelnen Maßnahmen während der Förderperiode überprüft. Für eine "Landwirtschaft und Ernährung der Zukunft" ("The Future of Food and Farming"), wie der zuständige Agrarkommissar Phil Hogan sein im November 2017 vorgestelltes Kommunikationspapier nannte, müsste eine präzise Kenntnis der aktuellen Maßnahmen und ihrer Wirkung jedoch eine elementare Grundlage sein.

Alternativer Fitness-Check
Eine vom NABU, dem Europäischen Umweltbüro (EEB) und BirdLife Europe beauftragte Studie hat Ende vergangenen Jahres die EU-Agrarpolitik einer gründlichen Prüfung auf ihre eigene politische Zielsetzung hin unterzogen. Die 22 Wissenschaftler orientierten sich dabei mit ihrem Studienaufbau eng an den Kriterien, die die EU-Kommission selbst für ihre Fitness-Checks anlegt. "Wir haben aus der Perspektive verschiedener Disziplinen (Ökologie, Ökonomie und Sozialwissenschaften) gefragt, ob die GAP effektiv und effizient ist, ob die GAP-Maßnahmen intern kohärent sind und ob sie kohärent mit anderen Politiken (wie z. B. der EU-Handels- oder Biodiversitätspolitik) sind. Es wurde außerdem untersucht, ob die GAP einen europäischen Mehrwert schafft und ob sie aus Sicht von Bürgern und Landwirten relevant ist", so einer der beiden Leiter der Studie, Sebastian Lakner von der Georg-August-Universität Göttingen.

Die Kritikpunkte
Seit ihren Anfängen haben sich auch die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik verändert. Lagen diese in den Anfangsjahren hauptsächlich in einer Effizienzsteigerung durch bessere Technik und weniger, dafür größere Betriebe, so wurden im Laufe der 90er Jahre zunehmend auch Maßnahmen des Umweltschutzes und der Entwicklung des ländlichen Raumes als Ziele formuliert. In beiden Fällen waren es Probleme, die erst durch die vorangegangene Förderpolitik zugunsten weniger Erwerbstätiger in der Landwirtschaft und der Produktionssteigerung mit dem Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden entstanden waren. Aktuell ist die Gemeinsame Agrarpolitik eine Mischung aus die Produktion und die Effektivität steigernden Maßnahmen ebenso wie solchen der Förderung des ländlichen Raums und des Umwelt- sowie des Wasserschutzes. Die Ergebnisse des Alternativen Fitness-Checks zeigen, dass diese Mischung unterschiedlichster Interessenziele zu vielen Widersprüchen führt, die die Effektivität der Einzelmaßnahmen zum Teil ins Negative verkehren. Ein zentraler Kritikpunkt ist das kontinuierliche Festhalten an nicht qualifizierten Direktzahlungen. Auch in den neuen Planungen für die Förderperiode ab 2020 lässt sich keine Abkehr von den Direktzahlungen als pauschalem Verteilungsinstrument erkennen. Gerade in Zeiten, in denen außerlandwirtschaftliche Investoren verstärkt in Flächen und Betriebe investieren, scheint es jedoch geboten, Steuerungsmöglichkeiten einzuführen, die sicherstellen, dass die Zahlungen auch bei Bäuerinnen und Bauern ankommen, die auf dem Land wohnen. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel geht man mittlerweile davon aus, dass sich bereits 40 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der Hand von Investoren befinden. Bei 300 Euro/ha an Direktzahlungen fließen damit allein in diesem Bundesland über 160 Mio. Euro zu Investoren. Da deren Firmensitze oftmals in den Ballungszentren irgendwo in der Republik liegen, werden auch die Steuern nicht mehr in den ländlichen Regionen gezahlt.

Flexibilisierung und Subsidiarität
Ausbauen will Agrarkommissar Hogan die Flexibilität der GAP. Die Mitgliedsstaaten sollen mehr Freiheiten erhalten, die Zahlungen an ihre länderspezifischen Anforderungen anzupassen. Schon die aktuelle GAP enthält solche flexiblen Steuerungsmechanismen. "Nach meinem bisherigen Kenntnisstand haben die Flexibilitäten dazu geführt, dass die Mitgliedsstaaten meist den Weg des geringsten Widerstands gewählt haben. Beim Greening wurden überwiegend Maßnahmen implementiert, die die Landwirte bereits erfüllen. Bei den Maßnahmen der Umverteilung wurden gerade in Osteuropa Varianten gewählt, die große Betriebe bei Umverteilungen schonen, so dass hier nur ein geringes Volumen an Umverteilung realisiert wurde", ist das ernüchternde Fazit von Sebastian Lakner. Dabei könnte die Flexibilisierung, wenn sie wie im Kommissionsentwurf beschrieben zu einer Subsidiarität führte, durchaus zu einer neuen Facette der Agrarpolitik werden: Subsidiarität als Prinzip der Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung mit dem Ziel der Entfaltung der eigenen Fähigkeiten innerhalb einer größeren Gemeinschaft. Bisher wird dieses Prinzip innerhalb der EU selten bis auf die Ebene der Kommunen oder Gemeinden heruntergebrochen. Damit diese Flexibilisierung nicht zu einem Verlust der (EU-)Gemeinschaft führt, braucht es einen klaren Rahmen, der festlegt, welche Ziele erreicht werden sollen. Allerdings fehlen solche Vorgaben in den aktuellen Ausblicken der EU-Institutionen.

Visionen
Dabei gäbe es zahlreiche Vorschläge. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hat mit ihrem Modell vorgestellt, wie eine Qualifizierung der Direktzahlungen möglich wäre, die einen Schwerpunkt auf den Erhalt bäuerlicher Betriebe legt, mit der die Biodiversität und der ländliche Raum nicht nur erhalten sondern gefördert und entwickelt werden können. Auch auf EU-Ebene gäbe es mit den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) schon Vorgaben, die als Kernziele einer zukünftigen GAP dienen könnten. Mit Blick auf die negativen Wirkungen von direkten und indirekten Zuschüssen für Produktion und Export empfehlen BirdLife, EEB und der NABU deren Abschaffung. Würde man diese Ansätze weiterverfolgen, könnte man eine GAP entwickeln, die einen die Europäische Gemeinschaft verbindenden Rahmen schafft und gleichzeitig zu mehr Entscheidungsfreiheiten in den Einzelregionen führt. Die in der Vergangenheit oft kritisierte Regelungsdichte und -tiefe der EU-Behörden würde von konkreten und überprüfbaren gemeinschaftlichen Zielvorgaben ersetzt, die dann individuelle Umsetzung erfahren würden. Die aktuell vorgesehenen Flexibilisierungen greifen dies jedoch nicht auf. Sie lassen keine klaren Perspektiven für eine gemeinsame Vision der EU-Agrarpolitik erkennen und scheinen vielmehr weg von einer Gemeinschaft hin zu mehr Nationalstaatlichkeit zu führen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 422 - Juni 2018, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 32,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2018

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