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AGRAR/1661: TTIP-Leaks - Rinderhälfte gegen Kühlerhaube (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

TTIP-Leaks: Rinderhälfte gegen Kühlerhaube Kurz nach der Demo "TTIP & CETA stoppen" mit 90.000 Teilnehmern folgte der TTIP-Leak

Von Berit Thomsen


Wir haben bewegte Zeiten in der Landwirtschaft. Meine Verwandten im Weser-Elbe-Gebiet melken seit einem halben Jahr für einen Milchpreis unter 30 Cent und zuletzt 23 Cent", sagte Georg Janßen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in seiner Rede vor 90.000 Teilnehmern der Anti-TTIP-Demo in Hannover. "Und es gibt eine erste Molkerei in Nordrhein-Westfalen, die zahlt im April 15 Cent aus, das geht an die Nieren", so Janßen weiter. "Das ist brutal, das ist Strukturzerstörung. Und wenn dazu noch bei den geplanten Freihandelsabkommen die Zollschranken fallen und noch mehr Milch, noch mehr Fleisch auf die Märkte kommen, dann werden die Preise noch weiter in den Keller gehen und deshalb haben wir gute Gründe, als Bauern für einen gerechten Welthandel, für faire Preise und gegen diese Freihandelsabkommen aufzutreten." Der Demozug wurde beeindruckend von 33 Bäuerinnen und Bauern mit Treckern angeführt, die mit Transparenten und Schildern geschmückt waren.

Nicht gewollte Öffentlichkeit

Die "guten Gründe" erreichten neun Tage später das Licht der Leitmedienwelt. In den TTIP-Leaks von Greenpeace Niederlande wurde darauf verwiesen, dass mit TTIP mehr Gentechnik und weniger Schutz vor Umwelt-, Klima- und Chemiesünden kommen wird. Solche Informationen sind nicht neu. Dennoch verfestigen sie sich in den "durchgesickerten" TTIP-Papieren, die die Positionen der USA und der EU aufzeigen und somit als konsolidierte Fassung bezeichnet werden. In dem TTIP-Papier zum Marktzugang ist zu lesen, dass auch die Verhandlung um die Zölle ein dickes Brett ist. Es ist geplant, dass die Verhandlungen über besonders sensible Bereiche bis zum Schluss aufgeschoben werden. Dieses Verfahren wird in dem TTIP-Papier zynischerweise als "Endgame" bezeichnet. Für diese Phase bewahren sich die USA in erster Linie ihre Zölle für den Autosektor. Die EU will u. a. die Marktöffnung für Rindfleisch in diese letzte Phase tragen. Dann wird etwa der Rindfleischsektor gegen die Automobilbranche ausgespielt.

Aber noch mehr Marktöffnung ist geplant. Für 281 EU-Zolllinien soll noch verhandelt werden, wie hoch die zollfreie Quote sein wird, die die USA künftig in die EU exportieren sollen. Davon betroffen sind allein 128 Zolllinien Rindfleisch, Schweinefleisch und Geflügel. Wie hoch die zollfreie Quote ausfallen könnte, darauf gibt der fertige Vertragstext des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) einen Vorgeschmack: 80.549 Tonnen Schweinefleisch sollen künftig aus Kanada in die EU geliefert werden und 50.000 Tonnen Rindfleisch, wenn hormonfrei erzeugt. Die USA werden sich damit lange nicht zufrieden geben. Und das Interesse der US-Agrarindustrie ist groß. Deren Cheflobbyist David Salmonsen lässt sich in der Wochenzeitung "Die Zeit" zitieren: "Wir gehen fest davon aus, dass der Absatz unserer Fleischprodukte deutlich steigen wird, auch für die Landwirtschaft ist es ein sehr bedeutendes Abkommen." Da die US-Wirtschaftsleistung und die Bevölkerungszahl gegenüber Kanada das Zehnfache betragen, könnten sie auch auf mindestens die Zehnfache Erhöhung im Interesse der US-Fleischindustrie beharren. Das würde, auch wenn es nur ein Rechenbeispiel ist, rund 850.000 Tonnen Schweinefleisch (3,7 Prozent der europäischen Schweinefleischerzeugung) oder 500.000 Tonnen mehr Rindfleischimporte (6,4 Prozent der europäischen Rindfleischproduktion) aus den USA bedeuten.

Gorgonzola aus den USA

Im Milchsektor hat die EU in ihrem Zollvorschlag aus dem letzten Jahr bereits angekündigt, dass sie bereit ist, die Zölle etwa für Käse wie Roquefort, Gorgonzola, Emmentaler, Gruyere, Bergkäse, Appenzeller, Cheddar, Edamer, Tilsiter, Butterkäse, Feta und Brie auf Null senken zu wollen, wenn die USA ebenfalls im Milchsektor entsprechende Gegenleistungen bringen. Die EU-Molkereiindustrie hofft, Produkte in den USA absetzen zu können. Diese Logik setzt aber voraus, dass die europäischen Milchpreise weiterhin tief genug sind, damit sich die Exportträume der Molkereien auch realisieren können. Dass über die Zölle erst am Ende verhandelt wird, birgt auch die Gefahr, dass bäuerliche Organisationen und die Zivilgesellschaft darauf keinen Einfluss mehr nehmen können.

Die EU-Kommission will hinsichtlich der Standardaufweichung jetzt schon Vorleistungen zu TTIP gewähren, etwa durch die geplante Zulassung von Essigsäure zur Oberflächenbehandlung von Geflügelschlachtkörpern in der EU. Die AbL hat immer wieder darauf verwiesen, dass solche Standardaufweichungen nicht akzeptabel sind. "Dadurch wird unsere Prozessqualität ausgetauscht durch eine Produktqualität, die in den USA vorherrschend ist", sagt Gertraud Gafus, AbL-Bundesvorsitzende. "Das bedeutet, egal wie produziert wird, am Ende der Prozesskette wird das Produkt durch ein Chemiebad 'keimfrei' gemacht werden. Unsere Prozessqualität muss erhalten und verbessert werden. Außerdem ist zu befürchten, dass die Zulassung von Essigsäure nur der erste Schritt zum Chlorhühnchen ist."

US-Geflügelflut

Anlässlich der jüngsten TTIP-Verhandlungsrunde in New York Ende April hat die EU-Kommission angekündigt, die EU-Zulassung zur Behandlung von Geflügelschlachtkörpern mit Essigsäure aufzuschieben. "Das ist sicher auch ein Erfolg der bisherigen zivilgesellschaftlichen und bäuerlichen Aufklärungsarbeit zu diesem Thema", sagt Gafus. "Aber es reicht noch nicht aus. In den TTIP-Verhandlungen muss die EU jetzt deutlich machen, dass sie solche Verfahren strikt ablehnt." Durch TTIP und auch durch die vorausgehenden Maßnahmen der Standardaufweichung würden gemäß der jüngsten Studie des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) die US-Geflügelexporte in die EU um 18,03 Millionen US-Dollar steigen. Da derzeit kaum Geflügel aus den USA die EU erreichen, würde die Steigerung in Prozent ausgedrückt bei 33.505 Prozent liegen.

Die Kritik gegen TTIP verbreitert sich in der deutschen Landwirtschaft. 3.250 Bäuerinnen und Bauern haben sich an einer Umfrage von Topagrar.com zu TTIP beteiligt. Davon haben sich 83 Prozent gegen TTIP ausgesprochen, "weil dann bewährte EU-Standards unter Druck geraten und die Landwirtschaft noch stärker in die Kritik kommt".

Auch in den USA gibt es Widerstand gegen TTIP. "TTIP ist ein weiteres Freihandelsabkommen, das die Zahl der kleinen Betriebe reduzieren wird", sagt Jim Goodman, Biomilchbauer in den USA, und Mitglied der National Family Farm Coalition (NFFC) gegenüber der Bauernstimme. Und Lori Wallach von der größten Verbraucherschutzorganisation der Welt, Public Citizen, sagte in ihrer Demorede in Hannover: "Ich bin Amerikanerin und ich bin gegen TTIP. Gegen TTIP zu sein, ist nicht antiamerikanisch."


Berit Thomsen, AbL, Internationale Agrarpolitik


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

1994: Ein unterschiedliches Verständnis von landwirtschaftlichen Produktionsstandards hüben und drüben des Atlantiks sorgen nicht nur zur Zeit der TTIP Verhandlungen sondern seit Jahrzehnten für politischen Zündstoff. 1994 berichtete die Bauernstimme über eine von kämpferischen AbL Bäuerinnen und Bauern mitgegründete bundesweite Kampagne für ein Verbot des gentechnisch hergestellten Rinderwachstumshormons rBST zur Milchmengensteigerung - verkauft vom US-Agrarchemiekonzern Monsanto.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2016

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