Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → WIRTSCHAFT


AGRAR/1641: EU-Politik auf dem Holzweg (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

EU-Politik auf dem Holzweg

Von Sabine Ohm


In der Nachkriegszeit waren die meisten Menschen noch geprägt durch die Erfahrungen von Hunger, Kriegstraumata und Mangel an Arbeitskräften. Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft hatten das Gemeinwohl im Auge und schufen eine soziale Marktwirtschaft, um den gesellschaftlichen Frieden zu stabilisieren und weitere Kriege zu vermeiden. Um in Europa die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern, wurde die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) geschaffen als ein Instrument, Bauern durch Subventionen zu ermutigen, trotz täglicher Schwerstarbeit auf ihrem Betrieb zu bleiben und nicht in die Industrie abzuwandern. Diese ursprünglich wichtige Hilfsmaßnahme ist inzwischen verkommen zu einem wahnsinnigen Karussell aus Subventionen, Mengenexpansion und Exportabhängigkeit (siehe auch Artikel zur Milchwirtschaft in diesem Heft), das sich immer schneller dreht und zu bersten droht - mit schlimmen Folgen für Europas Bauern und die Selbstversorgung im Krisenfall.


Brot und Spiele

In den zurückliegenden fetten Jahren ohne Mangel und Kriege begann das Karussell sich heimlich, still und leise zu drehen. Zunächst störten auch kaum jemanden die Interessenskonflikte, die entstanden, wenn Politiker und EU-Granden auf gut dotierte Posten in Unternehmen der Privatwirtschaft wechselten, für die sie zuvor (noch als Amtsträger) die Weichen günstig gestellt hatten, oft genug zu Lasten der Gesellschaft.

Es entstand eine unheilige Allianz zwischen Politik und Wirtschaft unter dem Motto: "Immer mehr, immer schneller, immer billiger". Sie sorgte für billiges Essen, insbesondere Fleisch und Milchprodukte, das schön satt macht. Satte Bürger protestieren nicht. So können die Politiker und Eurokraten - ganz im Sinne der mit ihnen befreundeten Wirtschaftsbosse - in Ruhe am Volkswillen vorbei regieren und zum Beispiel die Verbreitung von Gentechnik, Klonen und Freihandelsabkommen durchdrücken (siehe Infobox).


Freihandelsfreaks ruinieren EU-Landwirtschaft

Die Entscheider wollen uns weismachen, dass ihre Politik - inklusive der geplanten Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP), Kanada (CETA) und Südamerika (Mercosur) - für alle vorteilhaft sei, mit angeblichen Exportchancen für hochwertige Produkte wie Käse mit geschützter Herkunftsbezeichnung (wir berichteten).

Doch die Politiker, Verbands- und Wirtschaftsbosse verschweigen systematisch, dass bei diesen angenommenen, aber keineswegs garantierten "Exportchancen" gravierende Nachteile überwiegen: Unsere Demokratie soll ausgehöhlt werden durch Investorenschutzklauseln (ISDS) und ein Mitspracherecht der Konzernlobbyisten bei der Ausformulierung von Gesetzesvorhaben, "die den Handel behindern könnten". An diesem Mitspracherecht könnte zum Beispiel scheitern, dass die EU hormonell wirksame Chemikalien in der Landwirtschaft verbietet oder die Kennzeichnung von Produkten aus Tieren einführt, die mit GVO (gentechnisch veränderten Pflanzen) gefüttert wurden.

Im Ergebnis würden die Abkommen eine Verschärfung bestehender Gesetze zu Gunsten von Mensch, Tier oder Umwelt fast unmöglich machen und unsere Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards unterlaufen, weil eine Überprüfung der Einhaltung von Produktionsstandards in den USA und Kanada de facto unmöglich ist. (vgl. dazu PROVIEH Magazine 1-4/2014). Zudem wären unsere Landwirte trotz der massiven Agrarsubventionen in der EU der Konkurrenz aus Nord- und Südamerika hoffnungslos unterlegen. Ein Beispiel bietet die Schweineindustrie in den USA: Über die Hälfte aller Betriebe gehören Großinvestoren, die riesige Tierfabriken betreiben. 60 Prozent aller Mastschweine stehen in Anlagen mit 50.000 Tieren und mehr. Der Kostenvorteil wird laut Experten auf insgesamt ca. 20 Prozent im Vergleich zu europäischen Erzeugern geschätzt, auch dank der bei uns nicht erlaubten Leistungsförderer wie Wachstumshormone, Betablocker und Antibiotika. Europäische Bauernfamilien würden durch diese ungleichen Wettbewerbsbedingungen massenhaft in den Ruin getrieben, was unserer Selbstversorgung im Krisenfall massiv schaden würde.

Am liberalisierten Handel würden im Lebensmittelsektor höchstens einige wenige Marktriesen unter den Molkereien und Lebensmittelkonzernen verdienen (wie Nestlé, Arla Food und Danone). Deshalb unterstützt PROVIEH die Position des Bundes der Deutschen Milchviehhalter (BDM) und des europäischen Dachverbands (EMB), die - anders als der Deutsche Bauernverband - sowohl die Freihandelsabkommen TTIP und CETA als auch das in Amerika weit verbreitete Klonen zur Nahrungsmittelgewinnung eindeutig und umfassend ablehnen. Diese Position verdient mehr Unterstützung als die Interessen der Agrarindustrie. Die europäische Bürgerinitiative "Stoppt TTIP und CETA" können Sie unter https://stop-ttip.org/de unterzeichnen.


Ist die Landwirtschaft noch zu retten?

Die neue Gemeinsame Agrarpolitik gilt mit einem Jahr Verspätung erst seit 1. Januar 2015. Von der ursprünglich vorgesehenen "Begrünung", also einer ökologisch nachhaltigeren Ausrichtung der GAP, kann keine Rede mehr sein. Vom Ziel der engeren Koppelung öffentlicher Gelder (Agrarsubventionen) an die Bereitstellung öffentlicher Güter (Landschaftspflege, Schutz von Tieren Artenvielfalt, Umwelt und Klima) ist kaum etwas übriggeblieben.

Dafür haben vor allem deutsche Politiker und Agrarlobbyisten in Brüssel gesorgt. Sie machten sich stattdessen für eine "Entbürokratisierung" der GAP stark, was im Klartext heißt: Noch weniger Kontrollen darüber, wie die jährlich immerhin 53 Milliarden Euro von den EU-Landwirten verwendet werden! Die europäischen Bürger hatten in allen Umfragen eine nachhaltige, tier- und umweltfreundliche Landwirtschaft gefordert. Das rührte die Mächtigen nicht. Also werden die "Flächenprämien" weiterhin ohne Sinn und Verstand in Milliardenhöhe ausbezahlt, selbst wenn die Flächen für riesige Maismonokulturen ohne Fruchtwechselbewirtschaftung eingesetzt werden. Andere Länder deckeln die Zahlungen zumindest bei maximal 150.000 Euro, Deutschland tut das nicht.

Und trotz der extrem hohen Ablehnung gegen Gentechnik in der EU-Bevölkerung hat die EU im März 2015 beschlossen, dass jedes der 28 EU-Mitgliedsländer selbst über den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) auf seinem Territorium entscheiden darf. Voraussetzung ist, dass die GVO in der EU zugelassen sind. Damit wird die schleichende Ausbreitung von GVO auf europäischen Äckern gefördert, denn Pollenflug macht nicht an Landesgrenzen halt. Und eine sinnvolle Regelung für Schadenersatz im Falle ungewollter Verunreinigung oder Kreuzung bzw. Vermischung von konventionellen Pflanzen mit GVO gibt es nicht. Den Schaden hat also der, der weiterhin gentechnikfrei zu produzieren versucht.


Bio als Zukunftsmodell?

Der Streit um die Reform der EU-Ökoverordnung (834/2007/EG) tobt derweil weiter. Deutschlands Politiker und Bioverbände lehnten den Entwurf des ausgeschiedenen Agrarkommissars Ciolos von Anfang 2014 ab (wir berichteten). Sie wollen stattdessen an der bestehenden Verordnung aus 2007 kleinere Änderungen vornehmen. Der amtierende Agrarkommissar Hogan will dagegen den völlig neuen, in vielerlei Hinsicht strengen Ciolos-Entwurf in einigen Punkten ändern, aber noch in diesem Jahr verabschieden. Das Tauziehen zwischen den Institutionen und den Mitgliedsstaaten war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet.

Geschüttelt von Betrug und Skandalen in den letzten Jahren, unter anderem durch Billigimporte aus nicht recht vertrauenswürdigen Erzeugerländern, steckt die Biolandwirtschaft in Deutschland in einer Krise. Die Nachfrage nach Bioprodukten ist zwar weiterhin hoch. Die Erzeugung stagniert aber oder ist rückläufig, weil Biobauern aufgeben müssen wegen vergleichsweise zu hoher Kosten und zu geringer politischer Förderung.

PROVIEH plädiert für eine Reform der Ökoverordnung, die die wichtigen Merkmale der Biolandwirtschaft besser betont, zum Beispiel die ausnahmslose Erfüllung substantiell höherer Tierwohlkriterien sowie strengere und effizientere unabhängige Kontrollsysteme für in- und ausländische Bio-Erzeuger. Ökobetriebe müssen auch wirksam vor Verunreinigung mit GVO und konventionellen Pestiziden geschützt werden; denn Bio macht nur Sinn, wenn der Verbraucher sicher sein kann, dass er auch das bekommt, was ihm durch das Biolabel versprochen wird.

So, wie die Subventionen heute verteilt werden, ist unser Ökolandbau aber kaum konkurrenzfähig. Das ist weder fair noch vernünftig. Ressourcenschonende, tier- und umweltfreundliche Landwirtschaft muss wesentlich stärker gefördert werden, weil solche Leistungen vom Markt bisher nicht ausreichend vergütet werden. Im Gegenzug müssen umweltverschmutzend hergestellte tierische Erzeugnisse finanziell belastet werden nach dem Prinzip, dass der Verschmutzer für die Beseitigung der Verschmutzung zahlt. Als Beispiel möge die Aufbereitung von nitratverseuchtem Trinkwasser dienen. Handelbare Verschmutzungszertifikate - analog zum Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten - gibt es seit Jahren in den Niederlanden als sogenannte "Varkensrechte". Die haben uns holländische Investoren scharenweise ins Land getrieben, weil Deutschland keine Verschmutzungsrechte eingeführt hat. Denkbar wäre auch die Einführung einer Stickstoffsteuer für Tierhaltungsbetriebe ohne Kreislaufwirtschaft, oder ein erhöhter Mehrwertsteuersatz für Fleisch wie in Ungarn (35 Prozent). Es gibt also Lösungsansätze, es fehlt nur noch am politischen Willen.


INFOBOX
 
Die GAP taugt nicht als Instrument zur Verteilungspolitik

Nicht nur PROVIEH, auch namhafte Wissenschaftler wie Prof. Isermeyer vom Thünen-Institut fordern die Abschaffung der konventionellen Flächenprämien ("Direktbeihilfen"). Gefördert werden sollte mit Steuergeldern ab 2020 nur noch, wer wirklich Herausragendes für Umwelt, Tiere und Gesellschaft leistet. Konventionelle Nahrungsmittel müssen im Handel von den Verbrauchern zu ehrlichen Preisen bezahlt werden. Sie würden teurer, aber dadurch auch mehr wertgeschätzt werden, so dass weniger im Müll landen würde (heute ca. 40 Prozent). Die Hartz IV Sätze müssten entsprechend heraufgesetzt und die Lohnpolitik in unserem Land angepasst werden. Dafür fehlt bisher der politische Wille.

*

Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2015, Seite 38-41
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.
Schutzgebühr: 2 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang