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AGRAR/1507: Aktueller Stand der Beratungen um die Reform der EU-Agrarpolitik (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 357 - Juli/August 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Der AbL-Ansatz zur Reform hat Bestand"
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf zum aktuellen Stand der Beratungen um die Reform der EU-Agrarpolitik

von Ulrich Jasper



Unabhängige Bauernstimme: Ein Dreivierteljahr nach den Vorschlägen der EU-Kommission zur Reform der EU-Agrarpolitik liegen nun im EU-Parlament die Entwürfe der Berichterstatter dazu vor. Parallel suchen die Agrarminister im EU-Rat weiter gemeinsame Linien. Wo steht die Reform?

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Bisher läuft es so schlecht nicht. Unseren AbL-Vorschlag vom Februar 2011 für eine einfache und wirksame Reform der Direktzahlungen hat der Agrarkommissar Dacian Ciolos vom Grundsatz aufgenommen, und er hält den vielen Diskussionen bis heute stand. Wir haben damals vorgeschlagen, 30 Prozent der gesamten Direktzahlungen eines Betrieb sofort einzubehalten, wenn der Betrieb eine von vier ökologischen Standards missachtet: Erstens eine dreigliedrige Fruchtfolge, bei der keine Frucht 50 Prozent überschreitet; zweitens mindestens 20 Prozent Leguminosen in der Ackerfruchtfolge; drittens Erhalt des Dauergründlands und viertens Nachweis ökologischer Vorrangflächen im Betrieb. Zudem haben wir eine Staffelung der 70 Prozent Basisprämien vorgeschlagen mit einer Obergrenze von 150.000 Euro je Betrieb und mit der Anrechenbarkeit von maximal 50 Prozent der betrieblichen Lohnkosten.

Unabhängige Bauernstimme: Aber eins zu eins hatte schon Ciolos das nicht aufgenommen.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Bei den ökologischen Standards haben wir den klaren Schwerpunkt auf eine zukunftsweisende Fruchtfolge gelegt, während die Kommission sich mit einer unzureichenden Beschreibung der ökologischen Vorrangflächen zur Zielscheibe einer Stilllegungskampagne gemacht hat. Bei der Staffelung fängt die Kommission erst bei 150.000 Euro Basisprämie an und will auch noch 100 Prozent der Lohnkosten anrechnen. Die Auseinandersetzungen aber drehen sich im Kern um die Frage, ob die jährlich 40 Milliarden Euro Direktzahlungen EU-weit an einige wenige, aber wirksame ökologische und soziale Standards gebunden werden. Die Agrarindustrie, der Bauernverband und Ministerin Aigner haben alles versucht, um das schon im Ansatz zu verhindern. Das ist ihnen bislang nicht gelungen. Wir haben für unsere Vorschläge eine große gesellschaftliche Rückendeckung.

Unabhängige Bauernstimme: Der Berichterstatter im EU-Parlament will 30 Prozent der Direktzahlungen an höhere Standards binden und damit 70 Prozent auch bei Verstößen voll auszahlen. Auch Ministerin Aigner fordert das.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Die Abzüge müssen so hoch angesetzt werden, dass es ein ökonomisches Interesse für die Betriebe gibt, die geforderten Standards im Gesamtbetrieb einzuhalten. Es werden also nicht nur 30 Prozent, sondern 100 Prozent der Fläche für ökologische Maßnahmen in Anspruch genommen. Wer mit einem Hektar die Fruchtfolge-Anforderung reißt, verliert dadurch auf einen Schlag nicht nur für diesen einen Hektar, sondern für seinen gesamten Betrieb 30 Prozent der Direktzahlungen. Die Fruchtfolge bezieht sich immer auf den Gesamtbetrieb. Wer sich mehrere Jahre hintereinander gegen die Einhaltung entscheidet, verliert nach dem Vorschlag der Kommission dann noch weit mehr als 30 Prozent. Das Parlament darf hier nicht einknicken, sondern muss diesen Vorschlag unterstützen.

Unabhängige Bauernstimme: Warum hat die Kommission die Forderung nicht aufgegriffen, in die Fruchtfolge-Vorgabe 20 Prozent Leguminosen aufzunehmen?

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Die Kommission fürchtet, dass das als Ankopplung der Gelder an ein bestimmtes Erzeugnis und damit als Abkehr von dem Prinzip der Entkopplung gesehen werden könnte. Das ist aber eine Fehleinschätzung, denn es geht nicht um die Bindung an eine Frucht wie Bohnen oder Kleegras, sondern darum, das ganze System der Erzeugung ökologischer und klimaverträglicher zu gestalten. Leguminosen kann man nicht in Monokultur anbauen, das macht keinen Sinn. Der besondere Wert dieser Pflanzen besteht gerade darin, dass sie den Stickstoff aus der Luft holen und auch für die Folgekultur noch 60 bis 100 kg Reinstickstoff je Hektar im Boden bereitstellen. Sie sind ein ökologischer Glücksfall der Evolution. Auf 20 Prozent der Ackerfläche - also alle fünf Jahre auf jeder Fläche des Betriebes - Leguminosen anzubauen, das ist die wichtigste Maßnahme zur Ökologisierung der Landwirtschaft und der Beginn, wieder von der ölgesteuerten zur sonnengestützten Erzeugung zu kommen.

Unabhängige Bauernstimme: Das Bundesministerium lehnt den Leguminosen-Anbau als feste Fruchtfolgeanforderung ab, will ihn aber auf den 7 Prozent ökologischen Vorrangflächen zulassen.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Frau Aigner versucht offenbar, ihr Gesicht zu wahren. Sie ist auf EU-Ebene mit ihrer Stilllegungskampagne gegen die Ökologisierung gescheitert. Die Kommission hat eine Lebensmittel-Erzeugung auf den ökologischen Vorrangflächen nie ausgeschlossen, sondern angemahnt, dass in der Art der Nutzung dieser Flächen ein klarer Umweltvorteil liegen muss. Beim Leguminosen-Anbau ist das der Fall, weshalb der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger sich dafür ausgesprochen hat, mindestens auf einem Teil der ökologischen Vorrangflächen Leguminosen-Anbau anzuerkennen. Allerdings reicht der Anbau auf sieben Prozent der Ackerfläche nicht. Sieben Prozent, das hieße Leguminosen alle 14 Jahre in der Fruchtfolge, das ist Augenwischerei, weil die Ökologisierungswirkung verpufft. Der Bundesrat ist da weiter, indem er fordert, dass erst ab einem Leguminosen-Anteil von 15 Prozent der betrieblichen Ackerfläche der Nachweis der ökologischen Vorrangfläche erfüllt ist.

Unabhängige Bauernstimme: Bei der Staffelung und der Berücksichtigung der Arbeit bleibt die Bundesregierung bei ihrer strikten Ablehnung. Für sie verdient jeder Hektar gleich viel Zahlung, auch wenn ein Betrieb Tausende von Hektar hat.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Auch die Kommission unterscheidet nicht zwischen dem ersten und dem tausendsten Hektar. Für jeden Hektar gilt weiterhin ein regional oder national einheitlicher Satz. Die Auszahlung der vollen Summe wird aber an Bedingungen geknüpft. Man kann 2.000 Hektar in der höchsten Rationalisierung im Ackerbau mit nur fünf Arbeitskräften erledigen, man kann einen 2.000 ha großen Betrieb aber in bäuerlicher Wirtschaftsweise führen mit 50 Arbeitskräften. Beides gibt es in der Praxis. Beim ersten würden wir die Auszahlungssumme kürzen, beim zweiten nicht. Nicht die Hektarzahl ist entscheidend für die Auszahlung der Summe, sondern die Wirtschaftsweise, die sinnvolle Arbeitsplätze schafft und damit zur Wirtschaftsentwicklung der ländlichen Räume beiträgt.

Unabhängige Bauernstimme: Der Berichterstatter im EU-Parlament hält zwar im wesentlichen am Staffelungs-Vorschlag der Kommission fest, will aber Genossenschaften ausnehmen, wenn diese die Zahlungen ganz an ihre Mitglieder weiterreichen.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Das ist so verrückt wie das Gerede des Bauernverbands, der die LPG-Nachfolgegenossenschaften als "Mehrfamilienbetriebe" tituliert. Diese Betriebe mögen zwar Flächen von vielen Familien gepachtet haben, aber von denen arbeitet nur noch der kleinste Teil dort. Das sind in der Regel hoch rationalisierte Betriebe mit einem geringen Arbeitskräftebesatz...

Unabhängige Bauernstimme: ... die sich aber vermutlich teilen werden, um die Staffel- bzw. Obergrenzen zu umgehen.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Sollen sie sich doch teilen, nichts dagegen, solange die Teilung nicht nur auf dem Papier steht. Das wäre mal ein Strukturwandel in die richtige Richtung. Großbetriebe leben viel mehr als die kleineren Betriebe von den Direktzahlungen. Offenbar sind sie nicht so wirtschaftlich wie die kleineren und mittleren Betriebe. Es spricht also auch von daher alles für unseren Reformansatz.

Unabhängige Bauernstimme: Parallel zur Agrarreform läuft in Brüssel die Haushaltsplanung für die Jahre 2014 bis 2020. Die Bundesregierung will den Finanzplan für diese sieben Jahre gegenüber heute um insgesamt über 120 Milliarden Euro kürzen. Was heißt das für den Agrarhaushalt?

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Wir halten eine Kürzung des Agrarhaushalts für falsch. Die Aufgabe besteht darin, das Geld endlich vernünftig einzusetzen. Das gilt für die Direktzahlungen, aber auch etwa für die Investitionsförderung der zweiten Säule, wo es eine Bindung an ökologische, soziale und Tierschutzkriterien geben muss. Für bestimmte Bereiche der zweiten Säule brauchen wir sogar eine Stärkung, um die notwendige umwelt- und sozialverträgliche Wirtschaftsentwicklung der ländlichen Räume Europas voranzutreiben. Hier zu kürzen passt nicht zur aktuellen europäischen Konjunkturlage. Berlin setzt die Spardiskussion im Agrarbereich gezielt ein, um Druck auf die inhaltliche Ausrichtung der Reform zu nehmen. Davon sollten wir uns aber nicht bange machen lassen. Kommt eine konsequente Reform, ist das Geld gut angelegt.

Unabhängige Bauernstimme: Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 357 - Juli/August 2012, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2012