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AGRAR/1277: EU evaluiert die Saatgutgesetzgebung (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 310 - April 2008
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Brüssel will Besseres säen - wird es gut?
EU evaluiert die Saatgutgesetzgebung, um sie gegebenenfalls zu ändern

Von Claudia Schievelbein


Die EU will etwas besser machen. "Better Regulations" ist das Zauberwort, unter dem die Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz (DG Sanco) unter der neuen zyprischen Kommissarin Androula Vassiliou die zum Teil noch aus den 60er Jahren - also aus den Kinderschuhen der Europäischen Union - stammenden Regelungen zum Saatgutrecht durchforsten und gegebenenfalls entrümpeln will. Zunächst wird das Vorhandene erhoben und bewertet und in diesem Rahmen sind nun alle möglichen Verbände und Organisationen aufgefordert, Stellungsnahmen dazu abzugeben. Auch die IG Nachbau wird das mit ihren Positionen tun. Und schon wird deutlich, dass das, was für den einen besser, für den anderen noch lange nicht gut ist. Ginge es beispielsweise nach dem Willen der European Seed Association (ESA), dem europäischen Dachverband der nationalen Pflanzenzüchterverbände und diversen einzelnen großen Pflanzenzüchterkonzernen, so muss der Schutz geistigen Eigentums für die Züchter deutlich verbessert werden, während der uneingeschränkte Zugang zu genetischen Ressourcen endlich definitiv festgeschrieben werden muss. Explizid erwähnt die ESA in ihrer Stellungnahme die "heutzutage wachsenden Probleme bei der Durchsetzung der Rechte der Pflanzenzüchter bei Feldfrüchten (Nachbau)". Die Balance der Rechte sei schwerwiegend durcheinandergebracht, so dass die Innovatoren gebremst würden und nur noch reduziert investieren würden. Beklagt wird vom Pflanzenzüchterverband auch die bremsende Wirkung der Kommission auf die Zulassung von gentechnisch veränderten Sorten. Und unzufrieden ist man auch mit der Durchsetzung bestimmter vorhandener Regelungen. So gebe es beispielsweise für ökologisch wirtschaftende Betriebe nach wie vor die Möglichkeit, mit einer Ausnahmegenehmigung nicht ökologisch produziertes Saatgut einzusetzen, das verleide es Saatgutunternehmen, sich in diesem Bereich stärker ökonomisch zu engagieren.


Landeskultureller Wert in Frage

Einer, der sich hier lange schon engagiert, allerdings etwas anders, als es die ESA sich wohl vorstellt, ist der biologisch-dynamische Getreidezüchter Karl-Josef Müller aus dem niedersächsischen Darzau. Auch er hat eine Stellungnahme zur EU-Saatgutgesetzgebung abgegeben, für die Assoziation biologisch-dynamischer Pflanzenzüchter (ABDP). Ihr Anliegen ist vor allem eine andere - bessere - Regelung der Sortenzulassung und des Saatgutverkehrsgesetzes. Beides stammt noch aus einer Zeit, als der Gesetzgeber sich als Wächter über Saatgutqualität einsetzte, weil es darum ging, den Menschen genug zu Essen zu verschaffen. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei und eigentlich - so findet Karl-Josef Müller - sollte man es dem Markt überlassen, welche Sorten auf den Äckern Europas angebaut werden und welche nicht. Er hält das bei der Sortenzulassung angewandte Kriterium des "landeskulturellen Wertes" für schlicht überholt. In über 30 Prüfungen wählt danach das Bundessortenamt aus, ob eine neue Sorte in der "Gesamtheit der wertbestimmenden Eigenschaften" besser ist als vergleichbare Sorten. Nur wenn das nachweißbar ist, lässt das BSA die Sorte zu. Der Maßstab des landeskulturellen Wertes ist damit die höchste und teuerste Hürde, die eine neue Sorte überspringen muss. Viele, gerade kleinere Züchter, die beispielsweise für den ökologischen Markt züchten, scheitern häufig genug daran. Für Müller ist nicht mehr zeitgemäß, dass der Staat die Vielfalt auf dem Markt regelt, wenn es Leute gibt, die bereit sind, Sorten anzubauen, die sich zwar nicht entscheidend von anderen abheben, trotzdem aber zum Beispiel als Nischenprodukt in einer ganz bestimmten Region oder unter ganz bestimmten Anbaubedingungen ihre Berechtigung haben. Ähnlich sieht er das Kriterium der Homogenität, das eine neue Sorte ebenfalls erfüllen muss, in Frage gestellt. Besonders unter dem Hinblick des Klimawandels mit seinen zunehmenden Wetterextremen kann es zukünftig sogar von Vorteil sein, wenn Sorten eine gewisse Variabilität und damit auch Flexibilität an den Tag legen. Insgesamt geht es Müller und seinen Kollegen darum, mehr Züchtern und gerade eben auch den kleinen, finanziell nicht so üppig ausgestatteten, einen besseren Zugang zum Markt zu verschaffen. Das sei den großen Konzernen, die mit Massenware effizient wenige Sorten für alle regionalen Bedingungen anbieten wollen, zwar ein Dorn im Auge, es bringt sie aber nicht um. Im Sinne der Vielfalt ist aber natürlich der Mut, wieder mehr regionale Nischen zuzulassen, bestechend. Dass das auch schon ein Stück weit im Rahmen der bisherigen Brüsseler Regelungen geht, zeigen unsere Nachbarn. In Holland gibt es für Kartoffeln ein vereinfachtes Zulassungsverfahren, was eigentlich praktisch jeder neuen Sorte den Zugang zum Markt ermöglicht. Auch in Österreich ist die Sortenzulassung anders und erheblich preiswerter organisiert, so dass die Zulassung einer neuen Öko-Sorte 3.000 Euro statt der bei uns üblichen 19.000 Euro kostet.


Neues auch für alte Sorten

Da aber kaum auf nationaler Ebene bei uns mit Änderungen zu rechnen ist, bleibt nur die EU, die verbessern will. Mit ihren schon vollzogenen umfangreichen Stärkungen der Verbraucherrechte hat sie letztlich die Grundlage gelegt, damit sich der Staat aus dem Saatgutgeschäft herausziehen könnte. Wenn Sorten nicht halten was sie versprechen, kann der Kunde Schadensersatz geltend machen und kann beim nächsten Mal eine andere Kaufentscheidung treffen. Wird der Zugang von neuen, vielleicht auch nur regional bedeutungsvollen Sorten leichter, kann das auch alten Sorten zum Neustart verhelfen. Noch braucht es dafür die viel diskutierte Erhaltungssortenrichtlinie, die nun schnellstmöglich auf die Tagesordnung der neuen Kommissarin muss, damit sich endlich etwas bewegt. Denn darauf zu hoffen und zu warten, dass sie durch die "besseren" Neuregelungen der Saatgutgesetzgebung sowieso überholt wäre, ist gefährlich. Erstens ist der Zeitplan der EU noch lang, erst Ende 2008 soll die Evaluation des Ist-Zustandes abgeschlossen sein. Zweitens bleibt die Frage, ob besser wirklich gut wird. Daran darf man im Lobbyzirkus der EU wie so oft Zweifel haben. Die Auswertung der nun eingeforderten Stellungnahmen übernimmt eine externe Agentur - ihre Mitarbeiter haben in der Vergangenheit mit Promotion für die Gentechnik-Industrie geglänzt.


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Berlin - Brüssel

Wie wichtig es ist, auf die laufenden Prozesse in Brüssel Einfluss zu nehmen, macht auch ein Brief deutlich, den die beiden Sprecher der Interessengemeinschaft gegen die Nachbaugebühren und Nachbaugesetze Reiner Huber und Walter Humbold aus Berlin bekommen haben. Sie hatten vor Monaten bei dem aus ihrem-Wahlkreis stammenden Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer um einen Termin in Sachen Nachbaugebühren gebeten. Im Antwortschreiben bestätigt Seehofer offiziell, was intern längst raus ist: Das nationale Flaschenhalsmodell ist vom Tisch. Deshalb gebe es aufgrund "übereinstimmender Positionen" momentan keinen Gesprächsbedarf. Entscheidend ist die Perspektive, die in dem Brief offenbart wird: "Es erscheint mir deshalb zunächst wichtig, auf EU-Ebene nach einer geeigneten und unbürokratischen Lösung zur gerechteren Beteiligung aller Landwirte an der Finanzierung des Züchtungsfortschritts zu suchen. Mein Ziel ist weiterhin eine Nachbauregelung, die einen fairen Interessenausgleich ermöglicht und nicht nur Landwirten wie Ihnen, die mit ihrer Nachbaugebühr zur Verbesserung von Ertrag und Qualität beitragen, einen Finanzierungsbeitrag abverlangt."


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 310 - April 2008, S. 15
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2008