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INTERVIEW/016: "Aggressiver Euro-Imperialismus" - Hannes Hofbauer zu Erinnerungsjustiz (SB)


Interview mit Hannes Hofbauer am 10. März 2012 in Berlin-Mitte



Der in Wien gebürtige und lebende Historiker, Journalist und Verleger Hannes Hofbauer setzt sich in seinem jüngsten Buch "Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung" [1] mit einer neuen Form von politischer Justiz auseinander, die eine strafbewehrte Kodifizierung historischer Ereignisse womöglich nicht nur genozidaler Art an die Stelle des freien wissenschaftlichen Diskurses treten lassen könnte. Am Rande einer Konferenz zum Thema "Aggressiver Euro-Imperialismus" beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Im Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

Hannes Hofbauer
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Herr Hofbauer, in Ihrem Buch "Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung" haben Sie auch die Bedeutung des Opfers in der Debatte um die Schuldfrage bei Völkermorden thematisiert. In der Strafjustiz wird seit längerem gefordert, den Schutz des Opfers gegenüber den Rechten des Täters zu stärken, als ob das ungerecht gewichtet wäre. Handelt es sich bei der Verabsolutierung des Opfers von Genoziden eher um eine moralische als eine juristische Komponente?

Hannes Hofbauer: Es ist sicherlich eine moralische Komponente. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, daß Opferberichte immer in großer Anzahl vorhanden sind, aber keine Täterberichte, was auch verständlich ist. Kein Täter würde das auf Befehl aufschreiben oder im nachhinein so darüber berichten, daß es ihn zu einem Täter abstempelt. Das moralische Motiv beispielsweise in der Frage des armenischen Völkermordes hat eine ganz große Rolle bei dem ersten großen Prozeß 1921 in Berlin gegen den Mörder von Talât Pascha gespielt. Salomon Teilirian, ein armenischer Freiheitskämpfer, war zu dem Zeitpunkt, als er vor Gericht gestellt wurde, weil er Talât Pascha auf offener Straße erschossen hatte, noch nicht als Mitglied einer politischen armenischen Gruppe bekannt, sondern galt als Einzeltäter. Es war spannend zu sehen, daß es im Prozeß, der sehr schnell abgewickelt wurde, überhaupt nicht um Mord ging, obwohl er ihn gestanden hat und noch am Tatort verhaftet worden war, sondern um die Beteiligung von Talât Pascha am Völkermord der Jungtürken an den Armeniern. Und deshalb ist der Mörder freigesprochen worden.

Das hat dann auch Auswirkungen auf verschiedene ganz entscheidende Entwicklungen im Zweiten Weltkrieg gehabt. Die Formulierung der UN-Völkermordkonvention durch die Mitgestaltung von Raphael Lemkin stand unter dem Eindruck, daß dieser damals bei dem Prozeß anwesend war. Die Nürnberger Prozesse standen auch unter dem Eindruck eines jungen Juristen, der bei dem Prozeß gegen Teilirian in Berlin 1921‍ ‍dabei war, nämlich Robert Kempner. Das zieht schon eine weite Spur. Allerdings möchte ich dazu sagen, daß ich mich in meinem Buch nicht um die Einschätzung einer Untat als Völkermord, Kriegsverbrechen oder Massaker bemühe, sondern ausschließlich darum, daß man es in jedem Fall diskutieren können muß und kein Tabu aufgebaut werden darf. Diese moralische Keule ist die eine Seite, die man noch verstehen kann, vor allem, wenn man betroffen ist. Die juristische Keule zeigt sich dagegen in der Bedrohung von Debatten und Zweifeln, im Leugnen durchs Strafrecht, und das ist manifest. Dagegen wende ich mich.

SB: In der heutigen Kriegführung werden die angeblich humanitären Zwecke militärischer Interventionen bisweilen mit tragischen Frauenschicksalen begründet. Wäre diese Art von verordneter historischer Wahrheit vielleicht nicht so wirksam, wenn sie nicht über emphatische Motivlagen verstärkt würde?

HH: Ja, die französischen Historikeraufrufe gegen Erinnerungsgesetze und Meinungsjustiz [2] haben einen zentralen Satz. Wenn ich mich richtig erinnere, lautet er: Historische Wahrheit ist etwas anderes als Moral. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

SB: Sie haben in Ihrem Buch eine Entwicklungsfolge von der Straftatjustiz über die Gesinnungsjustiz bis zum präventiven Feindstrafrecht aufgestellt. Es läuft auf eine Bezichtigung unabhängig von der Frage der erwiesenen Schuld hinaus, so daß man den Eindruck gewinnen kann, daß die Schuld zugunsten einer Rechtsprechung verabsolutiert wird, in der das Urteil im Grunde genommen von vornherein feststeht.

HH: Das ist Teil dieses EU-Rahmenbeschlusses, und dahin geht auch unser gesamtes Rechtsverständnis in der Europäischen Union, nicht meines, aber das herrschende. In den USA geht es sogar noch weiter, indem es nicht nur strafrechtliche Relevanz hat, sondern auch das gezielte Töten erlaubt. Der Feind ist geortet, da braucht man keinen Prozeß mehr. Es reicht schon die Vermutung, daß es der Feind sein könnte, für die Erlaubnis, ihm das Leben zu nehmen. Die gesetzlichen Rahmenbestimmungen für die Europäische Union reichen nicht so weit, aber sie gehen ebenfalls davon aus, daß es keiner Tat mehr bedarf, sondern nur mehr einer Bedrohung, die irgendwer feststellen muß, und man dann auch juristisch einschreiten kann.

SB: Wobei es auch in den Terrorlisten der EU durchaus zu Vorverurteilungen kommt, die existentielle Auswirkungen für die Betroffenen haben. Auf gewisse Weise wurde das Feindstrafrecht also schon verwirklicht, weil diese Listen ja nicht von Justizbehörden erstellt werden, sondern administrativ verfügt sind.

HH: Die oberste Terrorliste ist die UN-Terrorliste, und da kann in einer Unterabteilung jedes Sicherheitsratsmitglied Menschen auf diese Terrorliste setzen, die verdächtigt werden, Terrorismus zu unterstützen. Es bedarf überhaupt keiner Beweisführung. Im Gegenteil ist es eigentlich so, daß geheimdienstliche Informationen auf Nachfrage ausreichen. Statt des Beweises wird auf die geheimdienstliche Information verwiesen, und die kann man nicht herausgeben. Es stehen mehrere hundert Menschen auf dieser Liste der Vereinten Nationen, und das spielt sich auf der EU- und US-Ebene ähnlich ab. Der inzwischen verstorbene Journalist Victor Kocher von der Neuen Züricher Zeitung hatte darüber ein Buch [3] verfaßt, in dem sehr schön beschrieben ist, wie Leute auf die Liste kommen, aber nicht mehr herunter, weil es für Einzelpersonen keine Möglichkeit gibt, an die EU oder UN zu appellieren. Das können nur Staaten. Ein Staat setzt eine Einzelperson auf die Liste, ohne daß er einen Beweis erbringen muß, da genügt schon eine Verdächtigung. Der einzelne kann nicht mehr rekurrieren.

SB: Sie haben in Ihrem Buch auch den allgemeinen Trend zur Verrechtlichung erwähnt. Dabei scheint es immer mehr um die Bezichtigung des einzelnen Menschen zu gehen, im Grunde genommen selbst an seiner Misere schuld zu sein. Wie würden Sie diese Entwicklung im politischen Kontext bewerten?

HH: Verrechtlichung ist ein staatlicher Vorgang, weil er die Justiz für etwas in Einsatz bringt, was vorher vielleicht durch familiäre oder eigene Verantwortung geklärt war. Wenn jemand stolpert, hat niemand schuld, denn derjenige hat nicht aufgepaßt. Das hat genügt. Jetzt ist es zunehmend so, daß irgendwer irgend etwas nicht weggeräumt oder irgendeine Gemeinde den Weg nicht genügend gesäubert hat oder was auch immer. Jedenfalls mischt sich der Staat in Sachen ein, die ihn meiner Meinung nach nichts angehen. Als Zeichen verstanden ist es eine Schwäche des Staates, wenn dieser alles kontrollieren muß, weil er niemandem mehr traut. Das ist im Leugnungsverbotsgesetz ganz offensichtlich. Die Verrechtlichungen insgesamt stellen nicht eine Stärke des Staates dar, der durchaus sagen könnte, wir können diese Kräfteverhältnisse, wie sie sich im kleinsten abspielen, auch gesellschaftlich überantworten, da muß sich der Staat nicht jedesmal positionieren, aber statt dessen nimmt das zu.

SB: Die Berufsverbotpraxis der 1970er Jahre hat den Zwang zum aktiven Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung hervorgebracht. In Ihrem Buch haben Sie auf den Vorwurf des "kulturellen Schweigens" hingewiesen. Das scheint auf etwas Ähnliches hinauszulaufen, daß der Mensch genötigt wird, sich aktiv zu etwas bekennen, anstatt daß ihm etwas nachgewiesen werden muß.

HH: Es ist ein Phänomen in einem dieser kolonialen Gebilde in Europa, nämlich in Bosnien-Herzegowina, wo es ein Gesetz gibt, daß man nicht kulturell schweigen darf. Das bedeutet, wenn man Amtsträger ist oder in einem besonderen öffentlichen Interesse handelt, daß man auf Fragen wie zum Beispiel derjenigen, ob Radovan Karadzic ein Kriegsverbrecher ist, nicht mit einer ausweichenden Antwort reagieren kann, sondern die Frage bejahen muß, obwohl er nicht einmal verurteilt wurde. Ansonsten verliert man die bürgerlichen Rechte und wird seines Postens enthoben. Das ist wiederum nur möglich, weil über der Struktur Legislative-Exekutive in Bosnien-Herzegowina dieser Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, also im Prinzip die EU, steht und absolute Vollmachten besitzt. Und das passiert immer wieder. Ich habe selbst mit einem von seinem Posten als Parlamentssprecher enthobenen Menschen gesprochen. Zu dem Zeitpunkt waren es über 50 Personen, die ihres Postens enthoben worden sind, und damit eben auch ihrer Bürgerrechte, sprich: aktives, passives Wahlrecht, verlustig gegangen sind. Dahinter steckt die Idee, daß es einen mafiösen Zusammenhang gibt, wenn man zum Beispiel zum Tatbestand, ob Karadzic ein Völkermörder ist oder nicht, nichts zu sagen hat, sobald man eine höhere Funktion bekleidet.

SB: Bislang haben alle Verfahren beim Internationalen Strafgerichtshof Menschen aus Ländern gegolten, die nicht zu den NATO-Staaten gehören, während alle Versuche, Verfahren gegen Amtspersonen aus NATO-Staaten zu eröffnen, gescheitert sind oder abgeschmettert wurden. Wie erklären Sie sich das?

HH: Das gilt vor allem für Versuche in Bezug auf eine Schuld im Jugoslawienkrieg. Der Internationale Strafgerichtshof hat ein Legitimitätsproblem, weil ihn die wichtigsten Staaten nicht anerkennen, nämlich die USA, die Russische Föderation, China, Israel und der Iran. Es ist im Prinzip eine Einrichtung der Europäischen Union mit angehängten befreundeten Ländern. Wenn man sich vor Augen führt, daß die USA zum Beispiel aktiv darauf drängen, den Sohn Gaddhafis oder den Präsidenten des Sudan, al-Baschir, vor den Strafgerichtshof zu stellen, obwohl sie ihn gleichzeitig nicht anerkennen, weil sie sich damit ersparen wollen, daß ihre Leute, die irgendwo mordend und folternd durch die Gegend ziehen, angeklagt würden, dann ist damit das Kräfteverhältnis formuliert. Es geht nur darum, daß die Justiz als politisches Instrument benutzt wird.

SB: Sie haben in Ihrem Vortrag eine neuartige koloniale Ordnung in Europa beschrieben, an der unter anderem auffällt, daß betriebswirtschaftliche Strukturen der Evaluation in die Politik eingeführt werden und viele NGOs und andere halbstaatliche bzw. parastaatliche Institutionen Mitspracherecht erhalten. Wo würden Sie die Ursprünge dieser Art von Regierungsverständnis ansiedeln?

HH: Im Kern im liberalen Kapitalismus selbst natürlich, denn der benötigt Regulative, die ihn seine Profite machen lassen. Das ging historisch nie ohne nationalstaatliche Revolutionen. Davor waren das Reiche oder andere Strukturen. In dem Moment, in dem eine staatliche Struktur entsteht, gibt es auch verschiedene Interessen und Akteure. Mit der Arbeiterbewegung hat sich ein sehr starkes Interesse formuliert und dabei Strukturen so weit ausgebildet, um in den Staat hineinzuwirken. Das Ende der Bipolarität mit dem Untergang der Sowjetunion, des Warschauer Pakts und des RGW hat durchaus bewirkt, daß in diesem Weltteil das politische Primat, das vorher existiert hatte, wiewohl es meiner Meinung nach kein System war, das kommunistisch oder sozialistisch zu nennen ist, aber auch nicht außerhalb des Weltmarktes gestanden hat, vollkommen zerstoben ist. Das hat jetzt Auswirkungen für ganz Europa.

Dieses aktuelle liberalistische Paradigma kommt aus Osteuropa und überschwemmt mittlerweile auch unsere Gesellschaft im Westen. Und darin heißt es eben, daß der Staat nunmehr notwendig ist, um das Militärische und den rechtlichen Rahmen zu garantieren. Wenn man sich anschaut, wo Sparpakete geschnürt werden, sind die Justiz, die Polizei und das Militär immer davon ausgenommen. Aber ansonsten ist dieser Staat laut liberalen Motiven als betriebswirtschaftliche Einheit zu führen. Es gibt manchmal sogar Politiker, die das genau so dekretieren. Ich erinnere mich da an den Wahlkampf kürzlich in Slowenien, wo einer der Kandidaten gesagt hat, er habe die Einzelhandelskette Mercator so gut geführt, daß er jetzt den Staat führen will. Die Leute haben ihm das zum großen Teil abgenommen.

Auch bei uns gibt es immer wieder Leute, die die Ansicht vertreten, wenn einer einen Betrieb gut geführt hat, könne er auch einen Staat führen. Natürlich ist das nicht miteinander zu vergleichen, denn die volkswirtschaftlichen Voraussetzungen sind ganz anders. Der Staat kann nicht so agieren, daß er hohe Profite bei der Daseinsvorsorge oder von der Gesundheit über die Infrastruktur bis zur Schule macht. Es ist nicht machbar, daß in diesen Bereichen auf Gewinnbasis gewirtschaftet wird.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Hannes Hofbauer mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Der Libyenkrieg wurde von vielen linksgesonnenen Menschen in der EU befürwortet. Im Falle Syriens und des Iran scheint die Zustimmung unter sich als links bezeichnenden Menschen für eine Intervention ebenfalls groß zu sein. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der europäischen Linken insbesondere im deutschsprachigen Raum und in Frankreich vor diesem Hintergrund?

HH: Es liegt gewissermaßen an der Sprachlosigkeit, daß man medial, aber auch intellektuell wenig hegemoniert sein kann und dann dem Krieg der Worte und damit der Kriegslüge ausgesetzt ist, die von Anfang an wesentlich dazu beitragen, daß man irgend etwas glaubt. Wir haben viele Beweise dafür, daß Kriege auf diese Weise begonnen wurden. Beispielsweise hieß es im Irak-Krieg, daß man Kuwait aus den Klauen des Diktators Saddam Hussein befreien müsse, weil dort die Kinder geröstet und den Frauen in den Geburtskliniken ihre Babys weggenommen und totgeschlagen werden, nur daß sich nachher herausgestellt hat, daß eine nahe Verwandte eines monarchistischen Trägers aus dieser Gesellschaft die Geschichten erfunden hatte, bis hin zu der Propaganda mit den Massenvernichtungswaffen des Irak, die nur dazu diente, die Weltmeinung zu hegemonisieren.

Ich habe in meinem Buch ein schönes Beispiel über Darfur gegeben. Erst in dem Moment, als eine der größten NGO-Bewegungen der Welt, nämlich Save Darfur in den USA, die in Deutschland und Österreich nicht wirklich zum Durchbruch kam, etabliert worden ist, wurden Strafforderungen laut. Bis zu dem Moment vertrat sogar der damalige US-Außenminister Colin Powell offiziell in Interviews die Meinung, daß dort kein Völkermord stattfinden würde. Dann wurde eine NGO-Kampagne von namhaften Intellektuellen und Schauspielern lanciert, der Powell nicht standgehalten hat. Man müßte noch nachforschen, wer ökonomisch dahintersteht, aber die Save-Darfur-Bewegung war eine Zäsur. Es geht um Meinungshoheit und wie man eine Position zu einem Ereignis macht und sie in einer Gesellschaft verankert.

Bei der Linken ist die eigene Position so schwach, daß man die vielfach atomisierten Leute nur den Mehrheitsmedien aussetzen muß, damit sie glauben, daß in Syrien desertierte Soldaten zusammen mit Demonstranten gegen eine wild um sich schießende syrische Armee kämpfen, wobei ich nicht ausschließen will, daß dort wild um sich geschossen wird, aber auf der anderen Seite weiß man mittlerweile von militärisch bewaffneten Einheiten, die auch strategisch vorgehen, sich aus einem Gebiet zurückziehen und woanders eine neue Front eröffnen. Es ist in diesem Konflikt nicht allein die Zivilbevölkerung, die um Hilfe schreit. Weil man aber eine bestimmte Meinung je nach vorherrschender Interessenlage positionieren kann, müßte die Linke eine völlige Gegenmeinung dazu haben, um sich nicht einbinden zu lassen. Man hat das Nein aus Moskau und Peking diskutiert, was bei uns allerdings weniger von Bedeutung ist, da wir als Europäer überhaupt nicht reflektieren, was in Peking medial und politisch los ist. Bei Moskau schaut man als Linker wahrscheinlich genauer hin, was dort in den auf englisch produzierten Medien über Syrien berichtet wird. Dort wird ganz anders über Syrien berichtet. Es ist grausig, was in Syrien passiert, aber es ist keine völlig einseitige Geschichte. Dort herrscht mittlerweile ein Bürgerkrieg, aber ein Gutteil der Leute steht auf der Seite von Assad.

SB: Die Linke war eigentlich immer herrschaftskritisch und hat auch eine entsprechende Medienkritik entwickelt. Wie erklären Sie sich als Publizist, daß Positionen, die ganz eindeutig auf der Linie herrschender Medien und kapitalistischer Verlagskonzerne liegen, von Linken für bare Münze genommen werden?

HH: Es ist deswegen leicht, weil die Autokraten, gegen die es geht, also Slobodan Milosevic, Saddam Hussein oder jetzt Baschar al-Assad, keine Sympathieträger sind. Aber man kann auch da ein Fragezeichen setzen. Ich erinnere mich an die Nicaragua-Kampagne, die die USA gegen die Sandinisten gestartet haben, aber die Linke in ganz Europa ist dagegen aufgestanden, weil die Sandinisten in ihrer Wahrnehmung Sympathieträger waren. Der Versuch der US-Propaganda, die Sandinisten als Vernichter von ethnischen Minderheiten zu verunglimpfen, daß sie also Indianer und Miskitos ausrotten, ist seinerzeit bei den Linken nicht durchgedrungen. Wenn man sich jetzt dagegen Assad anschaut, wird niemand für ihn in die Bresche springen, weil er Sozialist oder ein besonders guter Mensch wäre. Insofern ist es sehr schwer, antibellizistische Positionen einzunehmen und zu sagen, ich bin prinzipiell gegen die imperialistische Intervention, was eigentlich reichen müßte, um dieser Falschmeldung und Kriegslüge nicht aufzusitzen.

SB: Im Promedia-Verlag fassen Sie durchaus heiße Eisen an und widmen sich auch Themen, bei denen Sie nicht von vornherein davon ausgehen können, daß sie große Leserzahlen generieren werden, die aber dennoch von Bedeutung sind, wie auch Ihr letztes Buch oder das Buch von Moshe Zuckermann über den Antisemitismusverdacht [4] belegen. Was bewegt Sie dazu, solche Werke zu publizieren und sich damit auch angreifbar zu machen?

HH: Sie hätten mich vor 25 Jahren fragen sollen, warum ich nicht in die Uni gehe und Assistent werde, was ich ja durchaus gemacht habe. Mir war klar, daß ich linke Publizistik machen will. Ich sehe nicht, daß ich deswegen besonders mutig bin. Es ist richtig, daß diese Auseinandersetzung in vielen Medien kein Gehör findet. Wenn ich eine Chance sehe, so etwas zu machen, dann versuche ich es. Wenn man an der Uni lehrt oder Zeitschriften macht, wird man immer wieder mit Gegenstimmen konfrontiert sein, die man parieren und dazu die entsprechenden Antworten finden muß.

SB: Meine Frage zielt auch auf das publizistische Kalkül, das der Verlagsmensch immer im Auge hat, nämlich die Auflagenzahl.

HH: Unser Verlag ist ein Kleingewerbebetrieb und überschaubar strukturiert, eine kleine GmbH mit zwei Teilhabern, und insofern genügen uns Auflagen von 1500 bis 2500 Stück, damit wir über die Runden kommen. Und das gelingt eigentlich mit sehr vielen Büchern. Ausnahmen sind eher Bücher mit reinem Österreich-Bezug oder wissenschaftlichen Themen, die wir auch publizieren. In diesem Fall wird es immer schwieriger, aber hin und wieder hat man auch die Möglichkeit, für ganz spezielle Bereiche Subventionen zu bekommen, denn wir haben in Österreich für Vereine eine Verlagsförderung, wenngleich sie immer mehr heruntergefahren wird. Aber über Veröffentlichungen mit einem allgemeinen Titel, die auch kritisch sind und nicht unbedingt ein breites Lesepublikum finden, wie Moshe Zuckermanns Buch über den Antisemitismusverdacht, brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Die werden verkauft.

SB: Herr Hofbauer, vielen Dank für das Gespräch.

Fußnoten:

[1]‍ ‍http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar578.html

[2]‍ ‍http://www.lph-asso.fr/index.php?option=com_content&view=article&id=2&Itemid=13&lang=en

[3]‍ ‍http://www.mediashop.at/typolight/index.php/buecher/items/kocher-victor-terrorlisten

[4]‍ ‍http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar543.html

Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen. - Foto: 2012 by Schattenblick

Widerständige Enklave im Imperium der Jasager
Foto: 2012 by Schattenblick

3.‍ ‍Mai 2012