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PARTEIEN/318: Sinn Féin forciert Neuwahlen in Nordirland (SB)


Sinn Féin forciert Neuwahlen in Nordirland

Erkrankter Martin McGuinness tritt von der politischen Bühne ab


Der überraschende Rücktritt des sichtlich schwer erkrankten Martin McGuinness als Stellvertretender Erster Minister Nordirlands am 9. Januar hat dort ein politisches Erdbeben ausgelöst. Hält Sinn Féin an ihrer Weigerung fest, einen Nachfolger für den 66jährigen McGuinness zu benennen, dann sind Neuwahlen zum Regionalparlament im Belfaster Stormont Castle unvermeidlich. Wegen der unübersehbaren Entfremdung zwischen der katholisch-republikanischen Sinn Féin und deren Koalitionspartner, der protestantisch-probritischen Democratic Unionist Party (DUP), befürchten manche Beobachter nicht nur eine Schlammschlacht im Wahlkampf, sondern sogar einen Kollaps jener Institutionen, die aus dem Karfreitagsabkommen von 1998 hervorgingen, mit dem der Bürgerkrieg in der einstigen Unruheprovinz beigelegt wurde. Deshalb hat zum Beispiel Colm Eastwood, Chef der katholisch-nationalistischen Social Democratic Labour Party (SDLP), die Wiedereinführung der Direktverwaltung durch London - diesmal jedoch in Zusammenarbeit mit Dublin - in einer Art Joint Authority gefordert.

McGuinness hat seinen Rücktritt mit der "Arroganz" der DUP im allgemeinen und ihrer Parteivorsitzenden, der Ersten Ministerin Arlene Foster, im besonderen begründet. Die Selbstherrlichkeit Fosters und der DUP-Fraktion widerspreche dem Geist des Karfreitagsabkommens, dessen oberstes Prinzip "parity of esteem" für Nationalisten und Unionisten gleichermaßen gelte. Sie erinnere fatal an den früheren "orangenen Staat", als von 1922 bis 1969 die Protestanten die sechs nordöstlichen Grafschaften Irlands nach eigenem Gutdünken regierten und die katholische Minderheit wie Bürger zweiter Klasse behandelten, und sei für Sinn Féin jetzt und in Zukunft "inakzeptabel", so McGuinness. Auch wenn die DUP die Vorwürfe des ehemaligen Oberkommandeurs der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) als Wahlkampfrhetorik abtut, steckt mehr als nur eine Prise Wahrheit darin.

Seit fast zehn Jahren koalieren Sinn Féin und DUP als die jeweils größten katholischen und protestantischen Parteien Nordirlands in der Belfaster Regierung. Reaktionäre Teile der DUP und ihrer Wählerschaft haben sich niemals wirklich mit der Zusammenarbeit mit den angeblichen "Terrorpaten" aus Sinn Féin/IRA abgefunden. DUP-Gründer und -Urgestein Ian Paisley wurde von den eigenen Parteikollegen geschaßt, weil er aus ihrer Sicht als Erster Minister demonstrativ einen zu freundschaftlichen und versöhnlichen Umgang mit McGuinness pflegte, der von letzterem ebenso herzhaft erwidert wurde. Und auch Paisleys Nachfolger, der 2015 im Zuge eines Finanzskandals zurückgetretene Peter Robinson, bekam parteiintern große Probleme, nur weil er irgendwann in Begleitung von McGuinness ein gälisches Fußballspiel besuchte und sich für den Bau eines Museums auf dem Gelände des einstigen Hochsicherheitsgefängnisses Maze stark machte. Versöhnliche Gesten der Gegenseite, die für Ex-IRA-Kämpfer und Sinn-Féin-Anhänger schwer zu verdauen waren, wie etwa der überaus freundliche Empfang von Königin Elizabeth II. durch McGuinness bei einem Besuch der britischen Monarchin in Belfast, wurden von der DUP in ihrer Tragweite niemals gewürdigt.

Jedes Zugeständnis der DUP gegenüber der nationalistischen Bevölkerung war stets von Widerwillen begleitet. In keinem Bereich trifft das mehr zu als in dem der irischen Sprache. Obwohl 2006 im Saint Andrew's Agreement fest vereinbart, weigert sich die DUP bis heute beharrlich, einen von Sinn Féin verfaßten Gesetzentwurf zur Gleichstellung der gälischen Sprache zur Abstimmung kommen zu lassen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit werten DUP-Minister und -Hinterbänkler in der Öffentlichkeit die ursprüngliche Sprache Irlands, die eine mehr als tausend Jahre alte schriftliche Tradition aufweist, abfällig als Leprechaun-Kauderwelsch ab. Die Entscheidung Paul Givans, DUP-Minister für Gemeinden, zwei Tage vor Weihnachten aus Haushaltsgründen das Programm Líofa zu streichen, das jährlich rund 100 Kindern aus ärmeren Vierteln Sprachurlaub in der Donegal Gaeltacht ermöglicht und gerade einmal 50.000 Pfund kostet, war für Sinn Féin der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.

Zuvor war es der Skandal um die Renewable Heating Initiative (RHI), ein von Arlene Foster in ihrer früheren Funktion als Enterprise Minister zu verantwortendes erneuerbares Energieprogramm, dessen Kosten völlig außer Kontrolle geraten sind und bei dem nicht nur Mißwirtschaft, sondern auch schwere Korruption im Spiel sein soll, der im letzten Quartal 2016 die nordirische Regierung an den Rand der Auflösung brachte. Um das politische Problem RHI zu bewältigen, hatte Sinn Féin dem Koalitionspartner DUP vorgeschlagen, Foster solle eine Untersuchungskommission einsetzen und ihr Amt als Erste Ministerin ruhen lassen, bis die Kommission ihre Arbeit abgeschlossen hat. Die DUP-Chefin wies diese Anregung nicht nur zurück, sondern verhielt sich nicht zum ersten Mal nach außen hin so, als sei sie die alleinige Regierungschefin. Damit hat Foster nicht nur gegen den Geist, sondern auch die schriftlichen Vereinbarungen des Karfreitagsabkommens verstoßen, dem zufolge die Ämter des Ersten Ministers und des Stellvertretenden gleichrangig sind.

Fosters frostiger Umgang mit McGuinness und das RHI-Fiasko haben zum Absturz der Popularitätswerte der DUP-Chefin geführt. Um erneut als größte Fraktion aus den kommenden Wahlen hervorgehen zu können, gibt die DUP die alten Wagenburgparolen zum besten. Demnach steht zwischen einer Machtübernahme durch Sinn Féin und der Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik nur eine starke DUP. Ob die alte Leier die protestantischen Wähler auch diesmal mobilisiert, wird sich zeigen. Selbst wenn die DUP demnächst wieder als stärkste Fraktion ins Parlament einzieht, sind Fosters Tage als Parteivorsitzende gezählt. Mit ihrem Iron-Lady-Gebaren hat sie sich bei allen unbeliebt gemacht und ist für die eigene Partei zur Belastung geworden. Da sich die Zahl der Sitze im nordirischen Parlament von 108 auf 90 verringert, wird nicht nur der Streit zwischen den politischen Gruppierungen, sondern auch der parteiinterne Kampf um die Aufstellung der Kandidaten besonders erbittert geführt. Auch wenn der drohende Brexit eine Zusammenarbeit der politischen Klasse Nordirlands dringend erforderlich machen müßte, ist diese für die kommenden Wochen erst einmal mit sich selbst beschäftigt.

14. Januar 2017


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