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PARTEIEN/295: Unterhauswahlen 2015 - Camerons Tories unter Druck (SB)


Unterhauswahlen 2015 - Camerons Tories unter Druck

Schottlands Nationalisten im Aufwind - bald auch in London


Im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ist der Kampf um Sitze im Unterhaus in London in die heiße Phase getreten. Am 30. März hat Königin Elizabeth II. auf Bitten ihres Premierministers David Cameron das Parlament aufgelöst. Die Wahlen finden am 7. Mai statt. Über den Ausgang läßt sich bereits jetzt eins mit Sicherheit vorhersagen: keine der beiden großen Parteien, weder Camerons Konservative noch die Sozialdemokraten um Labour-Chef Ed Miliband, werden die absolute Mehrheit erringen; die Ära, in der entweder Labour unter Harold Wilson, James Callaghan, Tony Blair und Gordon Brown oder die Tories unter Edward Heath, Margaret Thatcher oder John Major das Land eine Legislaturperiode lang allein regierten, ist vorüber.

Die Tendenz zur Aufsplitterung der britischen Parteienlandschaft machte sich bereits bei der Unterhauswahl 2010 bemerkbar. Die Labour-Partei, damals seit 1997 an der Macht, verlor 91 Sitze und fiel von 349 auf 258 zurück. Camerons Conservatives gewannen 97 Sitze hinzu und stiegen von 210 auf 306. Damit ging sie als stärkste Fraktion aus der Wahl hervor, verfehlte jedoch ihr eigentliches Ziel, die absolute Mehrheit im 650sitzigen Unterhaus. Damals dürften die von Nick Clegg angeführten Liberaldemokraten, die bei der Wahl zwar fünf Sitze verloren aber immerhin 57 erfolgreich verteidigt hatten, sich aussuchen, mit wem sie als Juniorpartner eine Koalition bilden wollten. Angesichts der Niederlage der regierenden Labour-Partei, deren Abgeordnetenzahl stark geschrumpft war, entschied sich Clegg für die Tories und wurde dafür mit dem Posten des Vizepremierministers belohnt.

Fünf Jahre später haben die Liberaldemokraten wenig für ihre Teilhabe an der Macht vorzuweisen. Lediglich das Gesetz, mit dem erstmals die Legislaturperiode eine festgelegte Frist bekam, wodurch die Dauer nicht mehr von der Entscheidung der Regierung und deren Erfolgsaussichten abhing, bleibt in Erinnerung. Zwar haben sich die Liberaldemokraten nach Kräften bemüht, die Austeritätspolitik des konservativen Finanzministers George Osborne - wie Cameron ein Produkt der Eliteschule Eton - abzumildern, doch ihr Einlenken in der Frage einer Erhöhung der Studiengebühren für die Hochschulen - entgegen früheren Zusicherungen - hat viele ihrer Wähler schwer enttäuscht. Bei den Kommunalwahlen 2012 in England und Wales haben die LibDems deshalb zahlreiche Sitze verloren. Ein ähnliches Debakel sagen ihnen Demoskopen bei der Parlamentswahl voraus. Demnach werden die Liberaldemokraten die Hälfte ihrer Sitze verlieren und im nächsten Unterhaus mit etwa 28 Abgeordneten vertreten sein.

Man kann davon ausgehen, daß die Labour-Partei von der Abwanderung der eher links tendierenden LibDem-Wähler am meisten profitieren und einige von deren bisherigen Sitzen im de-industrialisierten Norden und ländlich geprägten Westen Englands erobern wird. Doch solche Erfolge auf Kosten der LibDems wird den Sozialdemokraten, denen insgesamt rund 270 Sitze prognostiziert werden, nicht viel helfen, angesichts des politischen Erdbebens, das in Schottland erwartet wird. Dort gewannen bei der letzten Unterhauswahl die Labour Party 40 Sitze, die Liberaldemokraten elf, die schottischen Nationalisten (SNP) sechs und die Konservativen einen (Der letzte der 55 schottischen Sitze ging an einen unabhängigen Kandidaten). In Schottland sind die Nachwehen der Unabhängigkeitsabstimmung vom vergangenen September noch deutlich zu spüren. Trotz oder gerade wegen des knappen Siegs für die Befürworter des Erhalts der Union mit England (sowie Wales und Nordirland) ist die seit 2011 im Regionalparlament in Edinburgh allein regierende SNP stärker denn je. Ihre Mitgliedschaft steigt kontinuierlich an und ist inzwischen viermal größer als die aller anderen Parteien in Schottland zusammen.

Bei der Wahl Anfang Mai gehen alle Demoskopen davon aus, daß die schottischen Wähler Labour für ihr letztjähriges Eintreten für die Union auf der Seite der Tories schwer bestrafen werden, daß die Sozialdemokraten einen Großteil ihrer Sitze nördlich des Hadrianwalls an die linksgemäßigte SNP verlieren und daß letztere unter der Führung ihres charismatischen Ex-Vorsitzenden Alex Salmond mit 40 bis 50 Sitzen als drittstärkste Fraktion in das Unterhaus an der Themse einziehen werden. Vor diesem Hintergrund hat Nicola Sturgeon, seit vergangenem Herbst Salmonds Nachfolgerin als schottische Premierministerin und SNP-Parteivorsitzende, deshalb Labour-Chef Miliband das öffentliche Angebot gemacht, nach der Wahl eine Minderheitsregierung der Sozialdemokraten in London zu dulden. Als Preis fordert die SNP, Labour müsse sich dazu verpflichten, die geplante Modernisierung der britischen Atom-U-Bootflotte zu streichen, deren Heimathafen im schottischen Faslane zu schließen und die eingesparten Milliarden in die chronisch unterfinanzierten Bildungs- und Gesundheitssyteme Großbritanniens zu investieren. Milibands Antwort auf die Offerte der SNP steht noch aus.

Gegen ein solches Szenario laufen die Konservativen, für die Großbritanniens Status als ständige Vetomacht im UN-Sicherheitsrat über alles geht, Sturm. In der Wahlwerbung stilisieren die Tories Miliband und Sturgeon zu den Totengräbern des Vereinigten Königreichs in spe hoch, die das Land mit listigen Tricks der angeblichen Bedrohung durch Wladimir Putins Rußland schutzlos ausliefern wollen. Doch der Versuch der Konservativen, die patriotische Karte zu spielen, überzeugt wenig. Seit den Tagen Thatchers haben sie fast ausschließlich die Interessen des Londoner Finanzplatzes verfochten und dadurch für relativen Wohlstand im Südosten Englands gesorgt, den restlichen Staat jedoch vernachlässigt und in Städten wie Manchester, Liverpool, Newcastle und Glasgow die dringend notwendigen Maßnahmen zum Umbau von der Schwerindustrie hin zur Dienstleistung nicht eingeleitet.

Hinzu kommt, daß die Konversativen seit mehr als 20 Jahren einen erbitterten, scheinbar niemals endenden innerparteilichen Streit um das Für und Wider der Mitgliedschaft in der Europäischen Union führen. In England und Nordirland ist die Euroskepsis mehrheitsfähig, in Schottland und Wales dagegen nicht. Für den Fall, daß er nach der Unterhauswahl erneut mit der Regierungsbildung beauftragt wird, hat Cameron für 2016 eine Volksbefragung über einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU angekündigt. Mit diesem Versprechen sorgt er für Ruhe in den eigenen Reihen und versucht gleichzeitig, der Konkurrenz am rechten Rand in Form der United Kingdom Independence Party (UKIP) um den Populisten Nigel Farage den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ob ihm letzteres gelingt, muß sich noch zeigen. Schätzungen zufolge wird die UKIP, die allein in England Kandidaten aufstellt, vermutlich nur eine Handvoll Unterhaussitze gewinnen; doch ihre Attraktivität könnte in nicht wenigen Landkreisen die konservative Wählerschaft splitten und somit für Siege entweder von Labour oder den LibDems sorgen.

Weil bereits absehbar ist, daß sie am 7. Mai nur rund 280 Sitze und damit erneut keine absolute Mehrheit erringen werden, sind die Konservativen - auch wenn sie es nicht öffentlich zugeben - längst auf der Suche nach Koalitionspartnern. Der protestantisch-reaktionären Democratic Unionist Party (DUP), die derzeit acht der nordirischen Sitze im britischen Unterhaus innehat und aller Voraussicht nach halten wird, hat Cameron bereits Avancen gemacht. Sowohl eine erneute Zusammenarbeit mit einer geschwächten LibDem-Partei als auch eine Allianz mit der neuen UKIP-Fraktion wäre denkbar. Doch beide unter einem Hut zu bekommen, dürfte wegen deren völlig gegensätzlichen Positionen in der EU-Frage für die Tories unmöglich sein. Die Spannung, welche aktuell den britischen Wahlkampf auszeichnet, dürfte sich nach dem eigentlichen Urnengang, sobald es um die Bildung der neuen Regierung geht, bestimmt noch steigern.

9. April 2015


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