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PARTEIEN/292: Marschsaison in Nordirland droht explosiv zu werden (SB)


Marschsaison in Nordirland droht explosiv zu werden

Protestantische Politiker stellen sich eilfertig dem Oranier-Orden zu Diensten



In Nordirland stehen die Zeichen auf Sturm. Am 12. Juli finden in der ganzen Provinz die alljährlichen Umzüge des Oranier-Ordens zur Feier des Sieges des protestantischen Wilhelm von Oranien über den katholischen Jacob II. im Jahre 1690 bei der Schlacht am Boyne statt, bei denen es regelmäßig zu Ausschreitungen kommt. Dieses Jahr drohen die scheinbar unvermeidlichen Unruhen besonders heftig zu werden, denn die unabhängige Parades Commission hat am 3. Juli drei Logen des Oranier-Ordens die Erlaubnis verweigert, nach ihrer Teilnahme an der zentralen 12.-Juli-Kundgebung in Belfast durch einen Abschnitt der Crumlin Road im katholischen Viertel Ardoyne zu marschieren.

Dort an der Kreuzzung Twaddell Avenue/Crumlin Road, wo die sogenannten Ardoyne Shops liegen, war es 2013, nach einer ähnlichen Entscheidung der Parades Commission, zu tagelangen Straßenschlachten protestantischer Jugendlicher mit Beamten des Police Service of Northern Ireland (PSNI) gekommen. Seitdem halten Mitglieder des Oranier-Ordens und der loyalistischen Paramilitärgruppierungen Ulster Volunteer Force (UVF) und Ulster Defence Association das sogenannte "Twaddell Camp", das im Grunde aus einem Wohnwagen und zahlreichen Transparenten besteht, besetzt, um für ihre "Menschenrechte" zu demonstrieren. Rund um das Lager kommt es nachts immer wieder zu Gewalttätigkeiten, weswegen die Kosten des dortigen Polizeieinsatzes inzwischen auf 10 Millionen Euro beziffert werden. Ungeachtet dessen gehört es für unionistische Politiker zum guten Ton, sich am Twaddell Camp zu zeigen, sich mit den Demonstranten solidarisch zu erklären und vollmundige Reden wider das angebliche katholisch-nationalistische Komplott zur Vernichtung der protestantischen Kultur Nordirlands zu schwingen.

Jene Verschwörungstheorie grassiert in Teilen der protestantischen Bevölkerung Nordirlands, seit im Dezember 2012 der Belfaster Stadtrat entschieden hat, die britische Fahne über dem Rathaus nicht mehr ganzjährig, sondern entsprechend der üblichen Praxis im restlichen Vereinigten Königreich nur an gesetzlichen Feiertagen wehen zu lassen. Die hysterischen Flaggen-Proteste gegen diesen Entschluß, die bis heute nicht abgeklungen sind, sind Ausdruck steigenden Unbehagens der Protestanten darüber, daß sie inzwischen weder die Bevölkerungsmehrheit in Belfast noch die Mehrheit der Kommunalvertreter im Stadtrat stellen.

Zwei Vorfälle der letzten Wochen haben die ungeheure Tiefe der "Wagenburg"-Mentalität der nordirischen Protestanten deutlich gemacht. Ende Mai kam es zu einer Kontroverse, als ein presbyterianischer Pastor namens James McConnell, der offenbar die frühere Rolle Ian Paisleys als Hetzprediger einnehmen will, den Islam zum "Werke Satans" erklärte. Nordirlands Erster Minister, Peter Robinson, der vor einigen Jahren seinen langjährigen Freund Paisley an der Spitze der Democratic Unionist Party (DUP) ablöste, nahm McConnell in Schutz indem er behauptete, der Geistliche habe nicht den Islam, sondern lediglich den Islamismus verurteilen wollen. Ohne es zu beabsichtigen, goß Robinson jedoch mehr Öl ins Feuer, als er anmerkte, der Durchschnittsmoslem sei gut, denn er, Robinson, würde ihn ohne Bedenken für sich einkaufen schicken. Damit wollte er sagen, daß er dem "guten" Moslem vertraue, mit dem Eingekauften und dem Restgeld in voller Höhe wiederzukommen. Jedenfalls kostete es den DUP-Vorsitzenden nicht wenige Mühe - Entschuldigungen, richtigstellende Erklärungen und ein Treffen mit führenden Vertretern der muslimischen Gemeinde -, um sich aus den Nesseln zu befreien, in die er sich da hineingesetzt hatte.

Vor wenigen Tagen ist im protestantischen Ostbelfast weit sichtbar eine große Flagge des Klu-Klux-Klan gehißt worden. Die gezielte Provokation wiegt deshalb schwer, weil es gerade in diesem Teil der nordirischen Hauptstadt seit Monaten zu rassistisch motivierten Straftaten gegen polnische, chinesische und schwarzafrikanische Einwanderer kommt. Diese werden auf offener Straße angepöbelt oder tätlich angegriffen. Die Türen und Fenster ihrer Wohnungen und Geschäfte werden mit häßlichen Sprüchen besprüht bzw. mit Steinen eingeworfen.

Vor diesem Hintergrund trägt der am 4. Juli verkündete, gemeinsame Beschluß aller protestantischen Parteien im nordirischen Parlament - der DUP, der Ulster Unionist Party (UUP), der Traditional Ulster Voice (TUV) und NI21 - in Reaktion auf das Verbot des Oranier-Umzuges entlang der Ardoyne Shops nicht nur die Zusammenarbeit mit der Parades Commission aufzukündigen, sondern auch die bevorstehenden Verhandlungen über eine Beilegung der Streitereien in Sachen Märsche, Flagge und die geschichtlichen Hinterlassenschaften des Bürgerkrieges platzen zu lassen sowie ein für den 4. Juli geplantes Treffen des Nord-Süd-Rates auf September zu verschieben, nicht gerade zum gesellschaftlichen Frieden bei. Die Unterwerfungsgeste der Unionisten gegenüber dem Oranier-Orden stellt eine durchsichtige Aufforderung an alle gewaltbereiten Loyalisten dar, am 12. Juli für Radau zu sorgen. Hierfür spricht die Tatsache, daß die unionistischen Politiker ihre Erklärung im Beisein von Vertretern der UDA und der UVF abgaben.

Führende Politiker der irisch-nationalistischen Sinn Féin und Social Democratic Labour Party (SDLP) haben ihren unionistischen Kollegen vorgeworfen, sich völlig unverantwortlich zu verhalten und der Gewalt auf den Straßen das Wort zu reden. Selbst der nordirische Justizminister David Ford von der konfessionslosen Alliance Party hat die Aufkündigung der Zusammenarbeit der Unionisten mit der Parades Commission als ein wenig hilfreiches und gefährliches politisches Manöver kritisiert. Nun befürchten alle - auch die beiden Regierungen in Dublin und London - für die kommenden Tage in Nordirland das Schlimmste. Die sich abzeichnenden Gewalttätigkeiten wären zu vermeiden gewesen, wäre der Oranier-Orden der Einladung der Einwohner der Ardoyne zu Gesprächen gefolgt. Doch auf den Brief, der noch im Mai per Hand überbracht wurde, hat es bis heute keine Antwort gegeben.

5. Juli 2014