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PARTEIEN/273: Irland streitet um Ratifizierung des EU-Fiskalpakts (SB)


Irland streitet um Ratifizierung des EU-Fiskalpakts

Dublin unter Druck das von Brüssel erwünschte Ergebnis einzufahren



In der Republik Irland hat am 30. April der Kampf um Ja oder Nein um die Zustimmung Irlands zum Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, auch Europäischer Fiskalpakt genannt, mit der amtlichen Festlegung des Datums für die Volksbefragung auf den 31. Mai begonnen. Aus verfassungsmäßigen Gründen ist Irland der einzige EU-Mitgliedsstaat, in dem die Bürger vorher gefragt werden müssen, ob die Regierung ihre Unterschrift unter das wichtige Vertragswerk setzen soll oder nicht. Wegen der anhaltenden Finanzkrise in der Eurozone steht Dublin unter massivstem Druck aus Brüssel, Frankfurt, Berlin und Paris, für ein Ja zum EU-Fiskalpakt zu sorgen. Doch derzeit herrscht auf der grünen Insel großer Unmut über die Bemühungen sowohl der politischen Elite des eigenen Landes als auch der EU, die Kosten der vom Bankensektor verursachten Wirtschaftskrise auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Folglich stehen die Chancen gar nicht so schlecht, daß die irischen Bürger wie 2008 beim Vertrag von Lissabon mehrheitlich gegen den Fiskalpakt stimmen werden.

In Irland herrscht derzeit eine Arbeitslosigkeit von 14,4 Prozent. Rund tausend junger Iren wandern jede Woche aus. Nach dem Platzen der Immobilienblase 2008 liegt die Baubranche immer noch am Boden. Um einen Staatsbankrott zu vermeiden, flüchtete Irland Ende 2010 unter die Kuratel der sogenannten Troika, bestehend aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank. Mit deren Hilfe versucht Dublin die Staatsfinanzen zu sanieren. Die von der Troika vorgeschriebenen Haushaltskürzungen, die von der im letzten Frühjahr gewählten Koalitionsregierung zwischen der national-konservativen Fine Gael und der sozialdemokratischen Labour-Partei umgesetzt werden, würgen die irische Wirtschaft ab. Viele Kleinunternehmen gehen wegen fehlender Nachfrage pleite. Die Einkaufsstraßen in den irischen Städten geben wegen der zahlreichen geschlossenen Läden ein deprimierendes Bild ab.

Während kleinere Schulen und Polizeiwachen auf dem Land geschlossen werden sollen, hat die FG-Lab-Koalition der unter dem Schock des plötzlichen Untergangs des "keltischen Tigers" stehenden Bevölkerung zwei neue Steuern - eine Haushalts- und eine Wassergebühr - verordnet. Bisher kannte man im regnerischen Irland keine Wassergebühr, und so ist es derzeit unklar, ob alle Wohnungen mit Zählern versehen werden können. Also steht der Widerstand gegen deren Einführung noch aus. Anders sieht es bei der Haushaltsgebühr von 100 Euro im Jahr aus. Bis zum Ablauf der offiziellen Frist am 31. März hatte sich rund die Hälfte der Bevölkerung geweigert, die Gebühr zu bezahlen. Unter anderem wurde daran die Gleichmäßigkeit kritisiert. Der Mieter einer Sozialwohnung soll genauso viel bezahlen wie etwa der schwerreiche U2-Frontman Bono Vox in seiner Villa im Dubliner Nobelvorort Killiney.

Das größte Ärgernis für den Durchschnittsiren ist jedoch die Tatsache, daß rund die Hälfte der Schulden, die Dublin in die Arme der Troika getrieben hat und nun auf Jahrzehnte zurückzahlen soll, nicht durch die nach dem Platzen der Immobilienblase entstandene fiskalische Schieflage wegen fehlender Steuereinnahmen aus dem Wohnungssektor, sondern durch die risikoreichen und letztlich abgeschmierten Spekulationsgeschäfte der irischen Finanzhäuser, allen voran der inzwischen abgewickelten Anglo-Irish Bank, entstanden sind. Bis heute will deshalb in der irischen Öffentlichkeit die Forderung, Dublin sollte sich weigern, die Spielschulden von Anglo-Irish, Permanent TSB, Bank of Ireland, Allied Irish Bank und Irish Nationwide zu begleichen, nicht verstummen. Gegen ein solches Ansinnen wehren sich wegen der Gefährdung der Bilanzen die früheren Spielkumpane der irischen Bankiers in London, New York und Frankfurt die Regierungen in Deutschland, Großbritannien und den USA mit Händen und Füßen.

So gesehen steht die irische Regierung vor einer wahren Herkulesaufgabe, eine Mehrheit der eigenen Bürger für die Zustimmung zu einer vertraglichen Festschreibung der bisherigen Austeritätspolitik zu gewinnen. Möglicherweise war das auch der Grund, warum die Vorsitzenden von Fine Gael und Labour, Premierminister Enda Kenny und Außenminister Éamon Gilmore, nicht an der ersten Fernsehdebatte um den EU-Fiskalpakt teilnahmen, die am Abend des 1. Mai beim Privatsender TV3 unter der Leitung der Journalismuslegende Vincent Browne stattfand. Weil kein einziger Labour-Politiker anwesend war, traten auf der Ja-Seite der Fine-Gael-Minister für Landwirtchaft, Nahrungsmittel und Marine, Simon Coveney, und der Fianna-Fáil-Parteichef Mícheál Martin gegen Sinn-Féin-Vizepräsidentin Mary Lou McDonald und Joe Higgins, Chef der sozialistischen Partei, an. Wie üblich seit ihrem Einzug ins irische Unterhaus im vergangenen Jahr hat die frühere EU-Parlamentarierin McDonald ihre männlichen Gegner einmal mehr mit harten Fakten - zum Beispiel daß Irland zur Einhaltung des neuen Vertrags zwecks Erreichen der Schuldenobergrenze von 60 Prozent des Staatshaushaltes auf zwanzig Jahre zusätzlich 5,7 Milliarden Euro zur Schuldenbegleichung an Brüssel, Frankfurt und Washington überweisen müßte - in die Defensive gedrängt. Martin wurde zunehmend hysterisch und Coveney stellte immer wieder den Fiskalpakt als einzigen Garanten für Irlands politische und wirtschaftliche "Stabilität" dar.

Die Nervosität auf Seiten der Befürworter des Stabilitätspaktes in Irland ist leicht erklärlich. Jüngsten Umfragen zufolge schmilzt der Prozentsatz an Bürgern, die mit Ja zu votieren beabsichtigen, gegenüber denjenigen, die ihr Kreuz bei Nein setzen wollen, kontinuierlich dahin. Das Ergebnis der jüngsten, am 29. April bei der Sunday Business Post veröffentlichten Umfrage des demoskopischen Unternehmens Red C lautete: Ja 47%, Nein 35%, Unentschieden 18%. Das Ergebnis der Red-C-Umfrage in Bezug auf die politischen Parteien deutete zudem auf eine Stärkung des Nein-Lagers hin. Während Fine Gael mit 32% stärkste Kraft ist, fällt ihr Juniorpartner in der Regierung, die Labour-Partei, mit lediglich 14% hinter Sinn Féin - 19% - und sogar Fianna Fáil - 17% - zurück (Letztere hat sich von ihrem erdrutschartigen Niedergang bei den Parlamentswahlen im vergangenen Frühjahr immer noch nicht erholt). Die kleine United Left Alliance und Unabhängige liegen bei 18%.

Innerhalb von Fianna Fáil, die länger als jede andere Partei in Irland die Regierungsmacht innehatte, kommt es wegen des EU-Fiskalpakts zu einem heftigen Richtungstreit. Während Parteichef und Ex-Außenminister Martin und die meisten Fianna-Fáil-Abgeordneten und -Senatoren für ein Ja zum Vertrag werben, stellt sich der frühere Kulturminister Éamon … Cuív dagegen und warnt vor dem drohenden Verlust staatlicher Souveränität, sollte künftig - wie im EU-Fiskalpakt vorgesehen - der irische Haushalt in Brüssel und nicht mehr in Dublin festgelegt werden. An der Fianna-Fáil-Basis stößt … Cuív mit seinem Standpunkt auf keine geringe Zustimmung. Sollte Martin versuchen, den Rebellen aus der Partei auszuschließen, wäre dies das Ende von Fianna Fáil - denn … Cuív ist kein einfaches Mitglied, sondern Enkel und geistiger Erbe von Partei- und Staatsgründer sowie Held des Osteraufstandes von 1916‍ ‍Éamon de Valera.

3.‍ ‍Mai 2012